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Pladoyer fur die Zukunft

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Man sagt dem Österreicher nach, daß er ein gutes Verhältnis zur Vergangenheit, ein gestörtes zur Gegenwart und gar keines zur Zukunft habe. Die Vergangenheit wird verklär die Gegenwart erduldet („Ja, früher war das alles ganz anders!“), die Zukunft jedoch allem Anschein nach ignoriert mit der einleuchtenden, aber kurzsichtigen Begründung: „Bis die Zukunft anbricht, bin ich längst schon tot.“

So ist es auch nicht verwunderlich, daß die gesellschaftlichen Kräfte in Österreich nicht gerne von der Zukunft sprechen, abgesehen von politischen Parolen in Wahlzeiten. Dieser Eindruck wird durch die politische Entwicklung nur bestätigt und erhärtet. Man errichtet Kernkraftwerke, ohne sich über die Beseitigung des anfallenden Atommülls im klaren zu sein. Man „bastelt“ an der Wirtschaft herum, um kurzfristig jeden Arbeitsplatz um jeden Preis zu erhalten, ohne nach den strukturellen Ursachen der Krise und den Grenzen eines „Defi-cit-Spending“ zu fragen, ohne dadurch eine langfristige Vollbeschäftigung, die nur durch neue Industrien, neue Produkte und neue Technologien erreichbar ist, zu sichern.

Man setzt Grundwerte wie Familie,, Kind, Leben aufs Spiel, ohne dabei zu bedenken, daß dadurch der jetzigen wie zukünftigen Gesellschaft ihre tragenden und festigenden Elemente entzogen werden. Man errichtet gigantische Wohnhausanlagen am Stadtrand, ohne gleichzeitig die nötige Konsuminfrastruktur zu schaffen. Was wird mit den dort lebenden Mensehen geschehen, wenn diese einmal alt sind und nicht mehr weit einkaufen gehen können? Die öffentliche Hand verschuldet sich weiter; vom „öffentlichen“ Sparen hört man wenig. Die Rückzahlung überläßt man getrost den zukünftigen Generationen, denn Tilgungsraten und Zinsen werden noch jahrelang als massive Fixposten im Budget aufscheinen. Hauptsache, die nächsten Wahlen werden glücklich überstanden, die Zukunft müssen dann unsere Nachfolger meistern!

Auch die Kirche scheint noch kein angemessenes Verhältnis zur Zukunft gefunden zu haben. Eine den Anforderungen der Zeit entsprechende Pastoral steckt noch in den Kinderschuhen; nur zögernd werden neue Wege der Glaubensverkündigung beschritten. Fundierte kirchliche Stellungnahmen, Initiativen, Projekte zu Problemen der Zukunft, zur zunehmenden Verstädterung und Bürokratisierung etwa, zur Armut in der Welt, zur Weltwirtschaftsordnung, zur wachsenden Freizeit, zu den Menschenrechten, der Enthumanisierung vieler Lebensbereiche sind in den Ansätzen steckengeblieben oder fanden kein Echo in der Öffentlichkeit- vielleicht, weil uns Christen die Zukunft nichts bedeutet?

Und doch ist es grundsätzliche Aufgabe der Christen, an der Gestaltung der Zukunft mitzuwirken. Denn christliche Diakonie umfaßt nicht nur die „Nächsten“ und „Fernsten“ (in der Dritten und Vierten Welt), sie umfaßt auch die Sorge um die zukünftigen Generationen, um die Menschen, die in 20, 30 oder mehr Jahren in dieser Welt leben müssen. Wir Christen sind, wenn auch nicht allein, dafür verantwortlich, daß die kommenden Generationen menschenwürdig leben können. Dies entspricht durchaus dem Auftrag Gottes, die Welt zu gestalten. Die Welt gestalten, heißt aber auch, an der Zukunft mitzubauen, zu verhindern, daß egoistischer Raubbau an den gegenwärtigen Reserven aller Art betrieben wird, damit die kommenden Generationen eines Tages nicht vor einem von uns produzierten Scherbenhaufen stehen, sondern in einer Welt leben können, in der es sich zu leben lohnt.

Unsere Aufgabe als Christen ist es auch, die Öffentlichkeit für die Zukunft und ihre Probleme zu sensibilisieren und Modelle der Zukunftsbewältigung zu entwickeln, damit unsere Nachkommen auch in Zukunft als Menschen leben und zur vollen Entfaltung ihrer Persönlichkeit gelangen können. Wir Christen dürfen die Zukunft nicht auf die leichte Schulter nehmen oder den anderen gesellschaftlichen Gruppen überlassen, sondern wir müssen sie im Geist des Evangeliums zu gestalten trachten, geleitet von der Liebe zu unseren Nachkommen und der christlichen Verantwortung für alle Menschen - auch für die, die erst geboren werden!

Die „Randbemerkungen eines engagierten Christen“ geben die Meinung des Autors wieder. Diese muß sich nicht mit der Meinung der Redaktion decken.

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