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Ratten, Wölfe und wilde Tiere

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Findigen Spezialisten mag es gelingen, die chemische Formel des Sprengstoffs, die Technik, ja die „Ideologie" des Zündmechanismus herauszufinden; vielleicht wird man sogar eines Tages einen Täter ergreifen. Doch wird je faßbar werden, was in der Psyche von Leuten vorgeht, die, wie es in Bologna geschah, mitten unter unbekannten Menschen eine Bombe explodieren lassen?

Was im Wartesaal des Bahnhofs von Bologna geschah, läßt auf den ersten Blick jeden politischen Hintergrund sich ins buchstäbliche Nichts auflösen. Terror nicht mehr als gezielte Aktion, sondern - wie Nietzsche, der Prophet des Willens zur Macht, definierte-Terrorismus als leeres „Zeichen der Skepsis gegenüber der eigenen Macht"? Als verzweifelter Ausbruch von Nihilismus?

Von solchen Zweifeln sind freilich die übereifrigen Schüler von Umsturzphilosophen so wenig angenagt wie von der modischen Frage, wie weit „rechts" oder „links" sie angesiedelt sind. Nicht von ungefähr hat ein Apostel der Gewalt wie Georges Sorel (der 1922 starb) Lenin und Mussolini gleichermaßen bewundert, ohne zu ahnen, was aus beiden - und ihren Erben werden konnte.

Im antifaschistischen Italien pendelte in den sechziger und siebziger Jahren das Augenmerk, das sich auf den

gewalttätigen Radikalismus richtete, zwischen rechts und links. Wer beide als zwei Seiten der gleichen Medaille betrachtete, geriet in den Verdacht, Spuren verwischen zu wollen.

Erst als sich die Kommunisten Mitte der siebziger Jahre so weit gemausert hatten, um mitregieren zu dürfen, lokalisierten sie ihren Feind auch links und strichen öffentlich die Roten Brigaden aus ihrem Familienalbum.

Die regierenden Christdemokraten hingegen vergaßen bald - zumal nach der Ermordung Moros -, daß der Feind ebenso rechts steht; auch von der neofaschistischen „Sozialbewegung" hatten sich radikale Fanatiker gelöst und waren zum Teil in den Untergrund gegangen.

„Neue Ordnung" hieß die bedeutendste von über sechzig rechtsextremistischen Gruppen, die einzige, die gerichtlich verboten wurde. Aus ihr gingen dann die „Revolutionären bewaffneten Zellen" hervor - blindwütige Bombenwerfer.

Anders als die Rotbrigadisten nimmt diese Gruppe ihre Ziele selten genau ins Visier. Eine Ausnahme war im Juni der Mord an dem römischen Untersuchungsrichter Amato, der als einziger

gegen die Rechtsterroristen systematisch ermittelt hatte.

„Rache ist heilig", verkündeten sie anschließend. Sie gaben auch ihre Methode bekannt: „Wir müssen bewaffnete Spontanität erzeugen - dafür genügen drei vertrauenswürdige Kameraden", kleine Zellen also, die nichts voneinander wissen. Gemeinsam ist allen

„Die Ratten, das sind stets die anderen, nicht Menschen, sondern Ungeziefer, das zu vertilgen ist. . ."

die finstere Parole: „Gegen eine Welt von Ratten steht ein Volk von Wölfen auf."

Die Ratten, das sind stets die anderen; nicht Menschen, sondern Ungeziefer, das zu vertilgen ist - zum Beispiel mit Bomben. Nicht der Mussolini-Faschismus, der als „schlapp" bezeichnet wird, steht hier Pate, sondern Hitlers und Himmlers SS-Ideologie.

Da wird elitärer Rassenkult mit Menschenverachtung, Antikapitalis-mus mit Antikommunismus, kulturrevolutionäre Mao-Schwärmerei mit militaristischen Ordnungsidolen zu einem hirnverbrannten Gebräu vermischt. Es vergiftet und berauscht. Der Aktivismus, den es entfesselt, läßt sich rechts wie links lokalisieren. Nur seine Herkunft aus dem neofaschistischen Lager färbt ihn ein.

Doch während für Rotbrigadisten präzise Zielansprachen und utopische Zwecke noch einen Schein von Rationalität erzeugen, ja das Gefühl, verlorene Söhne eines (wo immer) real existierenden Kommunismus zu sein, bewegen sich die Rechtsterroristen im selbstgeschaffenen Vakuum. Die neofaschistische Sozialbewegung hält es sogar „für unnötig", sich von ihnen zu distanzieren.

Anders als die Kommunisten, die unentwegt ständig mit dem Schatten ihres Stammbaums kämpfen, ist die legale Partei der Neofaschisten - von zweieinhalb auf eineinhalb Millionen Stimmen geschrumpft - heute nicht viel mehr als ein Sammelbecken konservativer Ressentiments gegen ein Regime, von dem sie jetzt gleichwohl Kriegsrecht und Todesstrafe gegen Terroristen fordert.

Dazu neigen, da es sich um „wilde Tiere" handle, sogar ein Sozialdemokrat wie Pietro Longo und ein Erzliberaler wie Indro Montanelli. Massenmord und Barbarei sind jedoch Menschenwerk und dem Tierreich fremd. Die große Mehrheit der italienischen Demokraten in Regierung und Oppositionsparteien sind sich dessen bewußt. Sie lassen sich von Bombenlegern nicht den Ausnahmezustand aufzwingen. Der Terror schreckt sie, doch er bricht sie nicht.

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