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Reform erwünscht

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Im Ostblock ist wider alles Erwarten viel in Bewegung geraten. Perestrojka scheint nicht mehr nur ein Schlagwort zu sein. Der Warschauer Pakt ist kein einheitlicher Block mehr, sondern jedem Mitglied wird nunmehr das Recht auf Selbstbestimmung zugestanden.

In Rußland gibt es seit langem wieder echte Wahlen, Kritik ist erlaubt, die Nationalitäten fordern ihre Rechte, Arbeiter können streiken und das Wirtschaftssystem soll li-beralisiert werden. Was Gorbatschow im eigenen Land vorantreibt, macht auch anderen Ländern Mut. Kein Wunder, daß es in diesen Tagen in Warschau von kommunistischen Spitzenfunktionären wie von Kirchenführern heißt:„Wir beten für Gorbatschow.“

In Polen wird die durch Jahre verbotene Solidamosc „regierungsfähig'', und feiert triumphale Wahlerfolge. Ihretwegen wurde sogar der Treueeid der Mandatare geändert. Sie müssen nur mehr geloben, „zum Wohle der Volksrepublik Polen zu wirken“, sich aber nicht mehr auch auf die sozialistische Entwicklung verpflichten.

In Ungarn sind die „Landesverräter''von 1956posthumzu Ehren gekommen. Mehrere Parteien sind zugelassen, und ein Pastor zog anstelle eines geeichten Kandidaten der US AP in das Parlament.

Auch im Westen haben diese Reformen Zufriedenheit und große Hoffnung ausgelöst. Ein starres System ist nun dennoch in Bewegung geraten, in Ländern strengster Hegemonie zeichnen sich Anfänge demokratischer Formen ab. Gorbatschow steht im Beliebtheitsgrad plötzlich weit über noch so berühmten Politikern des Westens.

Neben so viel Freude und Hoffnung geht aber auch die Angst um, es könnten sogenannte konservative Kreise diese Reformen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterbinden. Was kann sie zu solchem motivieren?

Wo etwas in Bewegung kommt, kann man das Ende nicht absehen. Man fürchtet um die „Stabilität'', so sagt man, meint aber eher den Verlust der eigenen Macht. Angestammte Privilegien bestimmter Funktionäre sind in Gefahr. Anfangsschwierigkeiten werden hochgespielt, um das Ganze zu verteufeln. Und die oft militanten Reformgegner bekommen sogar noch „von unten “Applaus, weil man dort enttäuscht ist, daß die Erneuerungen nicht sofort spürbare Erfolge bringen, weil Eigenverantwortung mühsamer ist alt sich gängeln zu lassen.

Bleibt nur zu hoffen, daß, wo so unerwartet begann, nicht deshalb ebenso schnell wieder endet.

Wem bei diesen Gedanken zufällige Vergleiche mit Vorgängen in der Kirche gekommen sind, der sei nicht gehindert, sie weiterzudenken -jedoch auf eigene Gefährt

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