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Spiel mit dem Schrecken

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Eine junge Frau, hochschwanger, stapft durch hohen Schnee zu einem düsteren Herrenhaus in englischem Stil; sie hat nach kurzer Ehe ihren Mann durch einen Unfall verloren und ist auf dem Weg zu ihrer Schwiegermutter, die sie bisher noch nicht kannte. Die Tür öffnet ihr eine große Frau mit harten Zügen, die sie kaum eintreten lassen will; sie ist abweisend, ungastlich, man merkt, sie haßt die junge Frau, die ihr den Sohn genommen hat. Doch wird der Schneesturm immer schlimmer, notgedrungen muß die junge Frau in dem Haus übernachten — das zu einem Alptraum wird... Der Film beginnt wie eine Familientragödie, wie ein Eifersuchtsdrama zweier Frauen, ein Schauspiel im Sinne Ibsens (und auch in dessen Milieu scheinbar) scheint abzurollen; doch es kommt ganz anders: Der überraschte Zuschauer entdeckt bald, daß er in eine Welt des Schreckens geraten ist, die hier ein exemplarisches filmisches Abbild liefert...

Bei uns spricht man, auch der Fachmann, vom Genre des „Gruselfilms“ (seit einiger Zeit hat sich auch der Begriff „Horrorfilm“ eingebürgert), um jene Sorte von Filmen zu charakterisieren, bei denen dem Publikum Spannung durch Erzeugung von Gänsehaut geboten werden soll; im angelsächsischen Sprach- und Filmraum unterscheidet man da noch viel nuancierter: zum einfachen Horrorfilm, in dem Schrecken durch den Anblick monströser Dinge erzeugt wird, gibt es noch den Film des „Terrors“, eine weitaus diffizilere Form der Angst-einflößung durch psychologische

Methodik, nämlich nicht durch sichtbares Grauen, sondern durch Einengung, Zwang in einer bedrohlichen, ja meist tödlichen Gefahr. Opfer solcher Terrorakte sind gewöhnlich hilflose, zumeist weibliche Geschöpfe, durch eine Krankheit oder physische Mängel geschwächt, denen somit das ganze Mitleid(en) des Zuschauers gehört, das sich ganz mit ihnen identifiziert und daher auch den unentrinnbar-drohenden Schrecken psychisch miterlebt.

Musterbeispiele dieses Genres des Terrorfllms waren z. B. „Die Wendeltreppe“, „Das Haus der Lady Al-quist“ und einige Hitchcook-Filme der vierziger Jahre. „You'll Like My Mother“, von dem hier die Rede ist, wird bald zu diesen Beispielen gezählt werden müssen. Sicherlich, es geht nicht hundertprozentig nach den Gesetzen der Logik zu (doch gäbe es keine dramaturgischen Effekte, würde man den Zufall nicht einbeziehen) und ebenso fehlt eine tiefere Absicht. Moral oder Tendenz — außer eben der, eineinhalb Stunden lang den Zuschauer in Hochspannung, in Nervenschauer zu versetzen — besitzt der Film nicht. Aber ist der Ursinn, die Uraufgabe des Kinos nicht die Zerstreuung, Unterhaltung? Und wenn dies so dezent geschieht wie im vorliegenden Film, wenn er so ausgezeichnet inszeniert, so hervorragend gespielt ist und vor allem — ein besonderes Lob! — in der englischen Originalfassung belassen ist als besondere Delikatesse, dann darf man ihn wohl jedem wirklichen Filminteressenten empfehlen...

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