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Budapest: langsame Lockerung

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Als ich mich vor wenigen Monaten in Polen aufhielt, war es ohne weiteres möglich, mit jedem beliebigen Schriftsteller vollkommen privat nach einem Anruf vom Hotel aus zusammenzutreffen und sehr freie Ge- ] spräche zu führen, die von keinerlei Angst des Gesprächspartners überschattet waren. Man sprach sich auch über heikle Probleme recht offen aus und dokumentierte gerade damit, daß dem Wort in diesem Land tatsächlich ein beachtenswertes Maß an Freiheit gegeben ist. In Ungarn, so war nach einer erheblichen Reihe von Begegnungen mit verschiedensten Schriftstellern und Persönlichkeiten des kulturellen Lebens eindeutig festzustellen, besteht nun eine so relativ unbekümmerte Möglichkeit der privaten Aussprache — vom Spielraum des gedruckten Wortes soll dann später die Rede sein — längst nicht in ähnlicher Weise, doch wäre es ein grober Irrtum, mit einer schematischen Klassifizierung das außerordentlich wichtige Kräftespiel im Hintergrund zu verkennen.

Vor allem wird dem Besucher von orientierter, aber politisch keineswegs landesangehöriger Seite sogleich dringend geraten, mit dem offiziellen „Institut für kulturelle Beziehungen“ in Verbindung zu treten und sich jeweils von dieser Stelle anmelden zu lassen, da ein Umsehen auf privatem Fuß nicht nur die Besuchten in Schwierigkeiten bringen könne, sondern bei vielen überhaupt zu keiner Begegnung führen werde, da man sich meist hüte, mit einem Einblick suchenden Ausländer ohne Rückversicherung zusammenzukommen. Außerdem wurde mir vom Hotel am dritten Tag mitgeteilt, daß meine Aufenthaltsbewilligung morgen ablaufe. Die Verlängerung vermittelte die sehr genau orientierte Pressestelle des ungarischen Außenamtes. Das „Institut für kulturelle Beziehungen" erwies sich nun als durchaus bereitwilliger Helfer, allerdings nur bis zu einem bestimmten Punkt. Man wurde nämlich fürsorglich zwar nicht ausschließlich zu allen, aber doch fast allen Zusammenkünften begleitet, und die Gespräche fanden über die offiziell dolmetschende Vermittlung statt, auch wenn der Befragte genug Deutsch sprach, wobei man zumindest an den heiklen Punkten übersetzen ließ, so daß sich der Partner stets beobachtet, aber vor eventuellen späteren Folgen auch im Schutz einer amtlichen Zeugenschaft wußte, deren Aufgabe es ja war, seine Worte an mich weiterzuleiten. Was mir verdolmetscht wurde, war offiziell genehmigt. Das machte nun freilich manche rein private Äußerung unmöglich, zeigte mir dafür aber vollkommen klar den gewünschten und zugelassenen kulturellen Kurs, der einige wichtige Schlüsse erlaubt. Und außerdem, so sei gleich verraten, ergab sich die Pointe, daß ich schließlich die heikelsten Persönlichkeiten ganz offiziell, ohne jeden fremden Zeugen sprach.

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