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Digital In Arbeit

Steuertarif fehlt Dynamik

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Die geplante Änderung und Erhöhung der Besteuerung von Kapitalerträgen wird sicher noch lange für lebhafte Diskussion sorgen. Dieser Auseinandersetzung fehlt aber merkwürdigerweise ein Gesichtspunkt, obwohl er sehr wesentlich erscheint.

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Die geplante Änderung und Erhöhung der Besteuerung von Kapitalerträgen wird sicher noch lange für lebhafte Diskussion sorgen. Dieser Auseinandersetzung fehlt aber merkwürdigerweise ein Gesichtspunkt, obwohl er sehr wesentlich erscheint.

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Führen wir uns zunächst eine Tatsache vor Augen, die uns längst selbstverständlich erscheint, obwohl sie grundsätzlich änderbar wäre. Technischer und organisatorischer Fortschritt der Produktionsprozesse ermöglichen ständige Wohlstandssteigerung. Die Vermehrung der Kaufkraft wird nun nach überlieferten Ritualen nicht (nur) derart herbeigeführt, daß die Preise der mit weniger Kosten produzierten Güter und Leistungen sinken, sondern vor allem dadurch, daß Einkommenserhöhungen „erkämpft" werden. Damit wird die Arbeit auch dort, wo keine Rationalisierung wirkt, teurer. Auf diese Weise wird die Geldentwertung zum festen Bestandteil unseres Wirtschaftssystems. (Die Volkswirtschaftler mögen die Vereinfachung in der Darstellung vergeben).

Wenn es uns also immer besser geht, liegt das nur daran, daß die Ein kommenssteigerungen höher liegen als die Inflationsrate. Das Steuersystem wirft freilich diese beiden Bestandteile unserer nominellen Entgeltsteigerung in einen Topf. Die Abgaben steigen genau so, als ob alles, was wir mehr bekommen, echte Einkommenser höhung wäre. Die Progression verschärft sich, die Steuerbelastung steigt, ohne daß es eines diesbezüglichen Beschlusses im Parlament bedürfte, also auf „kalte" Weise.

Genau genommen ist dies ein moralisch anfechtbares Vorgehen des Staates. Er fingiert ganz bewußt, daß der Geldwert stabil ist, um sich den steuererhöhenden Effekt der Inflation anzueignen. Wenn die Sache den Bürgern zu bunt wird, „senkt" er gnädig den Steuertarif, wobei er aber eigentlich nur auf einen Teil des Supergewinnes wieder verzichtet.

Diese - es sei bewußt nochmals betont - moralisch bedenkliche Vorgangsweise wird nun auf die Zinsenbesteuerung ausgedehnt. Auch hier wird ganz bewußt die falsche Annahme zugrundegelegt, daß der gesamte Zinsenertrag ein Einkommen ist. In Wahrheit liegt aber auch hier ein Bestandteil vor, der lediglich den Wertverlust des gesparten Kapitals ausgleicht und daher eben keinen Ertrag darstellt.

Was hier geplant wird, ist besonders gegenüber den Sparern verwerflieh, die mit täglich fälligen Einlagen nur den Eckzinssatz erhalten. Bei ungünstiger Entwicklung - und solche Konstellationen hat es schon gegeben - würde damit die Zinsenbesteuerung sogar zu einem Wertverlust des Kapitals führen.

Die vom Finanzminister angepeilte Reform, die durchaus auch ihre positiven Seiten hat, müßte daher vorsehen, daß nur jene Anteile der Zinsen, die über die Geldentwertung hinausgehen, der Besteuerung unterliegen. Technisch ließe sich das unschwer bewältigen: Eine jährliche Verordnung könnte die Veränderung der Preisentwicklung feststellen.

Das will aber der Staat nicht. Er möchte nicht zugeben, daß die Geldentwertung fixer Bestandteil unserer vielgerühmten (sozialpartnerschaftlichen) Wirtschaftsordnung ist. Und er möchte vor allen nicht zugeben, daß er selbst ein Nutznießer der Inflation ist. Und das, wie nunmehr zu befürchten ist, in steigendem Maße.

Niemand möge sagen, daß man der Änderung der Geldwertverhältnisse nicht durch die Rechtsordnung Rechnung tragen kann. Die Dynamik der Sozialleistungen tut dies schon seit langem und auch bei der Neuregelung der Wohnungsmieten wird man auf die Fiktion der Stabilität verzichten müssen. Es wäre also überfällig, daß der Staat gerade dort, wo er seine finanziellen Beziehungen zum Bürger ordnet, fair vorgeht und auf die Besteuerung von nur scheinbaren Einkommenssteigerungen und ebensolchen Kapitalerträgen verzichtet. Der „dynamische Tarif mag schrecklich in den Ohren von Fiskalisten klingen, aber irgendwann kommt er sicher. Der Autor ist Volksanwalt.

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