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Theologe und Politiker

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Eine der schillerndsten Gestalten auf dem glatten Bonner Parkett, der langjährige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier, zieht Bilanz. Der Titel, der dem Alten Testament (Prediger Salo-mo 3,8) entnommen ist, könnte fast jede Autobiographie zieren.

Immerhin mag hier der biblische Bezug auch deutlich machen, daß es sich beim Verfasser um einen „homo politicus ac christia-nus” handelt, um einen evangelisehen Theologen, den die Wirrnis der Zeitläufe nicht nur die Übernahme umfassender politischer Verantwortung zur Pflicht werden ließ.

Konrad Adenauer mochte in der Phase der politischen Konsolidierung des Nachkriegsdeutschlands auch aus Gründen des konfessionellen Proporzes innerhalb der CDU einen evangelischen Kirchenmann kaum entbehren; zumal einen, der über ausgezeichnete internationale Kontakte und die Reputation eines Widerstandskämpfers als Mitglied des Kreisauer Kreises um Helmuth von Moltke und Peter Yorck von Wartenburg verfügte.

Letzteres ist in Zweifel gezogen worden, ebenso auch die an der Universität Rostock 1937 erfolgte Habilitation. Wohl wurden solche Anwürfe aus der Propagandaküche der DDR zurückgewiesen und Gerstenmaier rehabilitiert. Doch veranlaßte ihn die entfesselte „Hexenjagd”, von seinem hohen parlamentarischen Amt im Jahre 1969 zurückzutreten.

Gerstenmaiers Lebensbericht entspricht durchaus dem Genre „Politikerbiographie”, mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen. Hier verdichtet sich die Geschichte zum persönlichen Schicksal. Dennoch: Der Verfasser hat das Recht, seinen Lebensvollzug unabhängig vom Urteil der Um- und Nachwelt zu sehen und darzustelllen.

Und doch wirken andere Biographien ehrlicher, insofern sie auch dem eigenen Zweifel Raum gewähren und diese Spanne Leben, über die quasi Rechenschaft abgelegt wird, nicht ausschließlich überhöhen. Ein erfolgreicher Politiker vom Schlage des deutschen Parlamentspräsidenten will sich aber offensichtlich diesen Zweifel in der Öffentlichkeit nicht erlauben.

Die Selbstsicherheit, mit der hier Positionen bezogen werden, scheint mitunter grenzenlos und verschüttet interessante und lesenswerte Episoden (z. B. die Auseinandersetzung mit dem späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann).

Daß dieser Lebensbericht eine Fülle an Hintergrundinformationen bereithält, kann nicht bestritten werden, vermag aber den schalen Eindruck nicht auszulöschen, der sich bei der Lektüre eingestellt hat: daß das Buch ad maiorem gloriam auctoris verfaßt wurde. Der Theologe war dem Po-litker nicht gewachsen.

STREIT UND FRIEDE HAT SEINE ZEIT. Ein Lebensbericht. Von Eugen Gerstenmaier. Propyläen Verlag Frankfurt/M.-Berlin-Wien 1981. 628 Seiten, Ln.. öS 364,80.

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