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Volk ohne Zukunft

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Scheidungsreform und Abtreibung haben in der abgelaufenen Legislaturperiode zu schwerer Kritik an der Familienpolitik der Regierung geführt. Hinweise auf finanzielle Hilfen und verschiedene Sachleistungen haben die Kritik nicht zum Verstummen gebracht. In dieser Woche (Mittwoch, 14. März) ist die Familienpolitik Gegenstand einer parlamentarischen Enquete. Aus diesem Anlaß bat die FURCHE den Präsidenten des Katholischen Familienverbandes Österreichs um einen Beitrag.

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Scheidungsreform und Abtreibung haben in der abgelaufenen Legislaturperiode zu schwerer Kritik an der Familienpolitik der Regierung geführt. Hinweise auf finanzielle Hilfen und verschiedene Sachleistungen haben die Kritik nicht zum Verstummen gebracht. In dieser Woche (Mittwoch, 14. März) ist die Familienpolitik Gegenstand einer parlamentarischen Enquete. Aus diesem Anlaß bat die FURCHE den Präsidenten des Katholischen Familienverbandes Österreichs um einen Beitrag.

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Die „goldenen“ siebziger Jahre neigen sich in voller Konsumseligkeit dem Ende zu. Eine Generation, die von zwei Weltkriegen, einer friedlosen und entbehrungsreichen Zwischenkriegszeit und harten Jahren des Wiederaufbaues gezeichnet war, leistete sich in den siebziger Jahren die Erfüllung ihrer Sehnsüchte nach Frieden, Sicherheit, Wohlstand und Überfluß.

Dies ging nur über Not, Hunger und Tod in jenen Teilen der Welt, die durch ihre billigen Rohstoffpreise unseren Überfluß ermöglichten. Dies ging auch nur zu Lasten der Zukunft unseres Volkes, dessen Reserven wir verprassen: Kinder werden zur unerwünschten Belastung, die man sich bestenfalls in kleineren „Dosen“ leistet, für die man aber weder Platz noch Zeit hat.

Die gesellschaftliche Legitimierung der Massenabtreibungen (80.000 Lebendgeburten stehen - nach Primarius Rockenschaub - 120.000 Abtreibungen gegenüber), die totale Gleichgültigkeit gegenüber Scheidungswaisen, eine Wohnpolitik, der Parkplätze wichtiger sind als Kinderspielplätze und schließlich das Abschieben der Kinder in anonyme staatliche Institutionen sind nur die krassesten Auswirkungen einer allgemeinen Grundhaltung, die von Bindungslosigkeit und egoistischer Bedürfnisbefriedigung geprägt ist.

Der Uberfluß ging aber auch zu Lasten der Fremden: Sie wurden ausgebeutet, ihre Arbeitskraft wurde zur Ware, die man beliebig abstieß, wenn ihre Existenz unseren Überfluß bedrohte. Die Einstellung der sozialistisch dominierten Gewerkschaften zur Frage der Fremdarbeiter hätte den Vätern der Sozialismus die Schamröte ins Gesicht getrieben.

So hatten denn die goldenen siebziger Jahre ihren hohen Preis. Sie wurden erkauft um den Hunger der Welt, die Vernichtung unserer Kinder und um die Ausbeutung der Fremden. Familienpolitik in den siebziger Jahren: ein schwaches, hilfloses Stimmchen, das im Gegröle der Konsumseligkeit unterging, ein belächelter und angefeindeter Versuch, eine angeblich anachronistische Lebenshaltung aufrechtzuerhalten.

Die Welt der siebziger Jahre wird

auf jeden Fall zu Ende gehen. Die nichtindustrialisierten Völker - etwa die islamischen Völker, die Völker Südamerikas - finden zusehends ihre staatliche und wirtschaftliche Identi-

tät. Im dritten Jahrtausend werden sie sich kaum noch als billige Rohstofflieferanten mißbrauchen lassen. Dann werden unsere Kinder zur Kasse gebeten werden.

Dann wird sich aber auch die Kinderfeindlichkeit unserer Tage bitter rächen: Für die gering nachwachsende Bevölkerung wird die Pensionslast untragbar, der Pensionsschock um das Jahr 2017 unvermeidbar. Unser scheinbar so fest geknüpftes Netz sozialer Sicherheiten wird zusammenbrechen. (Gräßliche Vision: Wird der Legitimierung des Kindesmordes in den siebziger Jahren die Legitimierung der Euthanasie am Beginn des dritten Jahrtausends entsprechen?)

Haben die Politiker die Zeichen der JJeit erkannt? Im Waltlkampf wurde die Familie zum bevorzugten Thema aller Parteien. Gelder, die den Familien ein Jahrzehnt hindurch vorenthalten worden sind, werden in Aussicht gestellt. Genügt das? Man muß befürchten, daß die meisten Politiker dies annehmen.

Die verschiedenen „Wahlplattformen“ lassen nicht erkennen, daß die Politiker in der Lage und willens sind, über zwei Wahlperioden hinwegzudenken. Keine der Parteien weist die Bevölkerung darauf hin, daß nur ein radikales Umdenken in den verbleibenden zwei Jahrzehnten unseren Kindern die Möglichkeit eröffnet, den Beginn des dritten Jahrtausends zu bewältigen.

Von der Familienpolitik, von den Eltern, die in der Lage und willens sind, über eine Generation hinwegzudenken, müssen die Impulse für die nächsten zwei Jahrzehnte ausgehen. Ein schon verloren geglaubtes Leben muß wieder sinnvoll werden: Teilen statt prassen! Offener Blick für die Nöte der Welt statt verantwortungsloses Wegschauen! Leben in die Zukunft und weiter Raum für Kinder und Fremde statt eigensüchtiges In-den-Tag-Hineinleben!

Familienpolitik steht vor der Tatsache, daß die Welt ständig vom Rückfall in die Barbarei bedroht ist. Sie steht vor ihrer größten Herausforderung: das Schwache zu schützen und das Bösartige, das in unserer Gesellschaft gewaltig durchbricht, zu korrigieren. Sie muß den Menschen und dessen ethische Verantwortlichkeit in den Mittelpunkt der Politik stellen.

Familienpolitik: nicht nur Interessenvertretung derjenigen, die Kinder haben, gegenüber jenen, die keine Kinder haben; “nicht nur das Bemühen, die autonome Einheit der Familie vor den Ubergriffen des Staates zu schützen; Familienpolitik als der umgreifende Versuch, unseren Kindern auch noch in dreißig Jahren ein lebenswertes Leben zu ermöglichen.

Diese Familienpolitik ist nicht am Ende, sondern am Anfang. Sie hat noch Zeit, aber keine Zeit mehr zu verlieren. Sie stellt den legitimsten politischen Anspruch dar, dem alle anderen Ziele nachzuordnen sind.

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