6870021-1978_20_01.jpg
Digital In Arbeit

Die Wurzeln des Terrors

Werbung
Werbung
Werbung

Aldo Moro wurde zur Märtyrerfigur, der Terror geht weiter. Die Welle der Erschütterung und der Empörung, die die Welt durchlief, ebbt, wie jede solche Welle, wieder ab, und nur die Verbrecher selbst sorgen mit immer neuen Anschlägen dafür, daß das Bewußtsein um ihrer Existenz nicht einschläft. Damit aber kann auch die Frage nach dem Woher, nach dem Wieso, nach dem Warum nicht unter den Teppich gekehrt werden, ohne eine Antwort darauf zu versuchen.

Die Analysen des Terrorismus der siebziger Jahre füllen die Zeitungen und Publikationen. Ihre historischen, soziologischen, pädagogischen, politologischen, psychologischen Wurzeln werden seziert, die Aufarbeitung ergibt faszinierende Ein- und Ausblicke. Aber wie immer, wenn man einen kleinen Ausschnitt eines großen Gemäldes unter der Lupe betrachtet, verschwimmen die andern Teile, verzerrt sich das Gesamtbild. „Der Kult der Gewalt“, wie er seit den zwanziger Jahren bis zu Che Guevara gepflegt wurde, sei „das Schlangenei des Terrorismus“, schrieb Wolfgang Mantl in der FURCHE. Die akademische und intellektuelle Kulturrevolution baute die Terrorlandschaft der Gegenwart auf, konstatiert Hermann Lübbe („Endstation Terror“).

Aber kann es für uns eine „Beruhigung“ sein, daß sich der Terror bisher in seinen Schwerpunkten auf Deutschland und Italien beschränkt hat und seine „grenzüberschreitenden“ Ausläufer mehr Abfallprodukte als eigene Schwerpunkte darstellten? Auch wenn wir uns darauf verlassen, daß Iren, Palästinenser, Basken ihre eigenen Probleme haben, die mit den un-sern - Gott sei Dank - nicht vergleichbar seien - bieten nicht die Geschehnisse nördlich und südlich unserer Grenzen so manchen Aspekt, der durchaus auch für uns Geltung hat?

Auch die deutschen Bischöfe fragten: „Wie konnte das kommen?“ Wie konnten jene Menschen, denen wir solches noch vor wenigen Jahren nie zugetraut hätten, jene Menschen, die aus unserer Gesellschaft hervorgegangen sind, nun ihr radikales Nein zu dieser Gesellschaft sagen? Wo in dieser Gesellschaft ist solcher Nährboden zu finden?

Am Beginn der Terrorbewegung standen Zielbilder einer Gesellschaft der totalen Gerechtigkeit und Gleichheit, stand aber auch die Überheblichkeit des Menschen, der glaubt, ausschließlich mit eigener Kraft sein Ziel erreichen zu können, ohne letzte Maßstäbe, die irgendein Mittel verbieten. „Solcher Hochmut und Wahn erwek-ken einen Rausch und eine Radikalität, die vor nichts zurückschreckt.“

In ihrem radikalen Nein zu jeder Institution fanden die Terroristen viele Bundesgenossen, die nicht überschauten, wohin solche Gemeinsamkeit führen kann. „Ehe, Familie, Kirche und Staat werden verdächtigt, die Freiheit des einzelnen zu behindern, ihn an das Interesse anderer zu versklaven und seinen Spielraum einzuengen. Sie werden beschuldigt, bestehende Verhältnisse zu zementieren, überkommene Vorurteile gegen Vernunft und Freiheit durchzusetzen.“

„Wenn die Treue uns nicht mehr benagt, wenn Bindungen uns nichts mehr bedeuten, wenn Überzeugungen sich nicht mehr bezahlt machen, wenn das was uns einmal heilig war, uns ein ungewohntes Opfer abverlangt, dann sind wir rasch bei der Hand mit dem Wort .unzumutbar'. Und wen wundert es dann, wenn auch unser Leben und das Leben anderer in Gefahr gerät, Wegwerfleben zu werden?“

Sind solche Worte auf Rhein oder Tiber beschränkt? Ist nicht der Begriff „Treue“ längst auch bei uns zum Fremdwort geworden, wo die Ehe zur Kalkulation der materiell günstigsteh Form des Zusammenlebens auf Widerruf geworden ist, wo der altgewordene Mitarbeiter der Sozialversicherung, der gebrechlich gewordene Mitmensch dem Altersheim überantwortet wird? Wo die Zugehörigkeit zu Parteien und Freundesbünden je nach Opportunität gewechselt wird?

Ist nicht auch bei uns die Familie unter dem Druck familienfeindlicher Ideologien in Gefahr, aufzuweichen zur Zweckgemeinschaft mit stark durchlässigen Grenzen? Wird nicht die Kirche von so manchen als Interessenvertretung angesehen, hicht anders als Gewerkschaftsbund und Handelskammer? Muß solche Aufweichung nicht letzten Endes auch den Staat in Frage stellen, dessen Verankerung im Bewußtsein der Österreicher vielleicht doch noch eine der wenigen Bremsen vor einem Abgleiten in den Anarchismus geboten hat?

„Wohl noch nie war die Sehnsucht nach Freiheit so. mächtig wie heute“, stellten Deutschlands Bischöfe fest. Nun aber stehe die menschliche Freiheit vor der Alternative, ihre Abhängigkeit von Gott anzunehmen, oder aber sich selbst zu zerstören. „Die Abhängigkeit der Freiheit von Gott bedeutet zugleich verfügen können, bedeutet Ehrfurcht vor dem Menschen und vor aller Schöpfung und schließlich auch das Ja zu einer konkreten geschichtlichen Ordnung in Gesellschaft und Kirche“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung