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Verlorene Generation

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In den letzten Wochen sah sich die österreichische Staatsgewalt gezwungen, gegen bestimmte Presseerzeugnisse und Vereinigungen, die im Verdacht standen, „neonazistische“ Tendenzen zu verfolgen, vorzugehen. Der Vorgang reißt wieder einmal das Problem der österreichischen Innenpolitik auf: die Gewinnung der politisch heimatlosen Bürger unseres Staates, deren Masse hauptsächlich durch jene Generation vertreten wird, die zwischen den beiden Kriegen aufwuchs und auf deren Schultern gemäß dem Aufbau unserer Bevölkerungspyramide einmal die schwere Verantwortung für die Zukunft des Landes liegen wird. Man kann in der Politik, durch äußere Notwendigkeiten gedrängt oder durch die Staatsräson gezwungen, zeitweise mit dem

Mittel des Verbots arbeiten. Aber geht es wirklich nur um die polizeimäßige Verfolgung des noch immer in unserem Volks- körper kreisenden Leichengiftes einer Ideologie, deren Träger ewige Landsknechte und Verschwörer zu sein scheinen, oder steht nicht dahinter eine tiefe Problematik der ganzen österreichischen Geschichte seit 1918, die darin wurzelt, daß Teile einer ganzen Generation politisch verlorengingen und nie die Heimat fanden? Liegt die Schuld nur an der Verführung, an dem Gleißen der Fahnen und hohlen Phrasen, oder liegt sie nicht auch an allen, die seit 1918 für dieses Land verantwortlich waren? Blicken wir einmal unvoreingenommen denen ins Antlitz, die heute als Dreißigjährige vor den Toren der Verantwortung stehen und die schicksalsbestimmt durch die Zeit zwischen den beiden Kriegen gehen mußten, die all das Grauen am eigenen Leib erlebten und denen diese Zeit der politischen Unrast und des Hasses schon die Jugend nahm.

Ihre Väter waren die Namenlosen, die am

3. November 1918 den altehrwürdigen Bau eines Reiches, dem sie durch Generationen gedient hatten, zerbrechen sahen. Die wachen Augen der Halbwüchsigen erblickten nur Haß und Not, Verzweiflung und Selbstzerfleischung, sie erlebten nicht mehr das Bewußtsein, Bürger eines Staates zu sein, der mit seinen politischen und wirtschaftlichen Interessen in die Welt hinausreichte, um o mehr als Erziehung und Elternhaus je nach den politischen Tagesschwankungen oft genug das wahre Bild Österreichs verzeichneten oder überhaupt nicht entstehen ließen. Die Wirtschaftskatastrophe der dreißiger Jahre sah sie die Hörsäle füllen, ohne Aussicht auf eine Stellung, vor den Stempelstellen wurde täglich aufs neue die scheinbare Unfähigkeit wirksam dokumentiert. War es ein Wunder, daß sie zum Teil den Versuchungen erlagen um so mehr, als die Großen dieser Welt den Staat auf den politischen Aussterbeetat setzten, ehe er noch um sein Leben kämpfen konnte? Als diese Generation am 3. September 1939 in den sinnlosesten Krieg gejagt wurde, war sie dabei, die letzten Züge ihrer österreichischen Herkunft zu verlieren. Erst auf den Kasernenhöfen, noch mehr aber an den Fronten, als man mit eigenen Augen sah, was die Väter überall geleistet hatten, als aus dem Munde des „Feindes“ die Achtung oder oft die Sehnsucht nach dem Verlorenen sie ansprach, da vollzog sich in Wahrheit ein österreichisches Wunder in den Seelen dieser jungen Menschen. Viel inneres Ringen wurde oft durch den Tod besiegelt. Die übrigblieben, hüteten ihre Erkenntnisse wie einen heimlichen Schatz für die Zukunft, argwöhnisch bewacht vor dem Mißtrauen des Systems. Als da« Furioso der Schlachten abebbte, da brach für sie alle eine Welt zusammen, an deren Gültigkeit die meisten bereits gezweifelt hatten. Aus dem Chaos des Unterganges blieb nur die blutende Heimat, die sie zum erstenmal wirklich erkannten. Eine Sternstunde der Geschichte schienen die Monate nach dem April 1945 zu «ein, erfüllt von dem unbändigen Willen zum Aufbau durch Heranziehung oller willigen Kräfte die«er Generation, die schon während des Krieges nur durch eine dünne Wand von den politisch anders eingestellten Schicksalsgefährten getrennt war. Aber die bald einsetzenden Maßnahmen, die Flut der Gesetze und Verordnungen, das Hineinpferchen in Lager gemeinsam mit den wirklichen Verführern, die jetzt wieder die Möglichkeit hatten, ihr Gift zu säen, legte sich wie ein Reif auf die Hoffnung vieler Tausender. Al« die Tore der Gefängnisse und Camps sich wieder öffneten, standen die meisten ohne Dach und Beruf, aber häufig mit der Familie vor dem Nichts und waren gezwungen, inmitten der Heimat in eine Emigration zu gehen, die um so schmerzlicher wurde, als Unverstand und Herzenshärte gar manchen selbst die bescheidene Position des Hilfsarbeiters unmöglich machte. Damals wäre für alle, denen Österreich wahrhaftig am Herzen lag, die Stunde da gewesen, die Verirrten durch die tätige Hilfe und durch wahrhaften Glauben an die ewige Sendung des Landes zu überzeugen und heimzuführen. Sie ist nicht genützt worden oder konnte damals ohne unsere Schuld nicht genützt werden. Fraglos gab es nun eine Gruppe von Unbelehrbaren, deren Repräsentanten den Grazer Gerichtshof beschäftigten, aber die Masse dieser Generation stand ferne, biß sich durch das Gewirr von Hindernissen und Alltagsnöten durch, schrieb Titel und einstige Stellungen, Wohnung und Besitz ab und arbeitete als Kohlenhäuer und Holzfäller, als Hilfsdreher und Verladearbeiter in der

Hoffnung, eines Tages einen lichteren Horizont zu ehen. Und tut es heute noch. Darin liegt der Sinn dieser Ausführungen, daß Unzählige noch immer glauben und hoffen, trotzdem die Heimat sie nach Gefangenschaft und Lager in die neuen Klassen nach dem Grad der Belastung einreihte. Diese Hoffnung aber darf nicht länger enttäuscht werden, sie darf nicht länger ein Kapital für politische Desperados oder Wahlgeometer werden, wir müssen daran arbeiten, sie möglichst bald zu verwirklichen. An allen liegt es, die wahrhaft guten Willens sind, durch beharrliche Arbeit am einzelnen der gesamten Heimat die verlorenen Söhne wiederzugeben. Nur wenn wir so handeln, als ob von uns selbst das Wohl des Landes abhinge, und uns freimachen von billigen Rachegefühlen, uns nicht beugen dem Druck jener, die an dem Fortschwelen des Unruheherdes ihr höchstes Interesse sehen, kann das Werk der inneren Befriedung gelingen.

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