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Von 6:5 zu 5:5

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Im Libanon war die Wiederaufnahme des normalen Linienflugverkehrs von und nach Beirut durch die „Middleeaet Airlines“ diesmal nicht mit einer erneuten Massenflucht der Bevölkerung ins Ausland verbunden. Beobachter werten dies als sicherstes Zeichen für eine dauerhafte Normalisierung in dem von einem dreivierteljährigen blutigen Bürgerkrieg zwischen Moslems und Christen heimgesuchten Levanteland.

Die bewaffneten Milizen beider Seiten haben sich vertragsgemäß fast vollständig aus Beirut und den übrigen städtischen Zentren des Landes zurückgezogen. In der Hauptstadt sind Armee-Einheiten, unterstützt von den Freischärlern beider Seiten, mit dem Abbau der Barrikaden beschäftigt. Feuerwehr und Zivilschutz begannen bereits mit der Räumung der Straßen von den Schutt- und Unratbergen. Besonders rasch normalisierte sich die Lebensmittelversorgung. Die Geschäfte sind durchwegs geöffnet, und wo sie durch die Bürgerkriegshandlungen in Mitleidenschaft gezogen wurden, behilft man sich mit improvisierten Verkaufsständen. Es gibt wieder Brot, Milch und Frischgemüse. Die Vorratskäufe der Bevölkerung halten sich nach Augenzeugenberichten in Grenzen. Das mag allerdings auch am allgemeinen Geldmangel liegen. Man wartet dringend auf die Wiedereröffnung der Banken.

Die Normalisierung des Postverkehrs mit dem In- und Ausland dürfte noch einige Zeit auf sich warten lassen, doch funktionieren bereits meistens Telephon- und Fernschreibverbindungen auch ins Ausland wieder. Die Regierung setzte vor allem zwei Prioritäten. Sie wartet darauf, daß sich die Ordnungskräfte der „Jarmuk-Brigade“ der „Palästinensischen Befreiungsarmee“ vereinbarungsgemäß wieder über die syrische Grenze zurückziehen und den libanesischen Streitkräften die Sicherstellung von Ruhe und Ordnung überlassen. So schnell wie möglich sollen wieder die öffentlichen Verkehrsmittel eingesetzt und soll die Arbeit bei Behörden, Banken und Betrieben wieder aufgenommen werden.

In Damaskus und Amman hoffen viele geflüchtete Familien auf eine baldige Rückkehr. Hierbei dürfte es allerdings schwerwiegende Probleme zu überwinden geben. Viele Wohnungen und Häuser sind geplündert, ein Teil ist völlig zerstört. Man kann sich jedoch im gesamten Beiruter Stadtgebiet ungehindert und sicher bewegen. Die kriminellen Randgruppen scheinen sich wenigstens vorerst wieder in den Untergrund zurückgezogen zu haben.

Kenner der Verhältnisse machen die Dauerhaftigkeit des jetzigen Übereinkommens davon abhängig, wie rasch und vertragstreu jetzt die politischen Vereinbarungen des jüngsten Waffenstillstandsabkommens erfüllt werden. Auszuarbeiten ist vor allem eine Verfassung, die das bisherige 6:5-Verhältnis in ein Fifty-fifty-Verhältnis zwischen

Moslems und Christen umwandelt. Staatschef soll auch weiterhin ein Christ bleiben, doch ist bislang nichts über die künftige Stellung des Regierungschefs bekannt geworden. Er wird jedenfalls demnächst vom Parlament gewählt werden.

Da die Amtsperiode des gegenwärtigen Präsidenten Suleiman Frandschiej in diesem Sommer ohnehin abläuft, ist die Chance zu einer raschen Reform des politischen Systems gegeben. Größte Chancen, neuer Staatschef zu werden, hat der gemäßigte christliche Politiker Raymond Edde, dessen Anhänger sich nicht an den blutigen Auseinandersetzungen beteiligt haben. Edde genießt auch das Vertrauen der Moslems, während der amtierende Premier, Raschid Kerami, sich auf Ansehen auch bei vielen Christen stützen kann.

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