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Wozu auf der Bühne ?

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Kommt das Theater tatsächlich nicht ohne Stücke aus, die, obwohl in unserem Jahrhundert entstanden, veraltete Situationen vorführen? Zum Exempel: Würde ein reicher Antiquitätenhändler heute, in der Zeit der Bikinis, der Hot pants, des Strip-tease ein junges Mädchen aus gutem Haus gegen eine erhebliche Summe, die es für seinen Vater benötigt, als Gegenleistung eine Viertelstunde lang lediglich nackt sehen wollen? Und gäbe es das, wäre solch eine Zumutung für das Mädchen Ursache genug, sich mit Veronal umzubringen? Kaum anzunehmen.

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Kommt das Theater tatsächlich nicht ohne Stücke aus, die, obwohl in unserem Jahrhundert entstanden, veraltete Situationen vorführen? Zum Exempel: Würde ein reicher Antiquitätenhändler heute, in der Zeit der Bikinis, der Hot pants, des Strip-tease ein junges Mädchen aus gutem Haus gegen eine erhebliche Summe, die es für seinen Vater benötigt, als Gegenleistung eine Viertelstunde lang lediglich nackt sehen wollen? Und gäbe es das, wäre solch eine Zumutung für das Mädchen Ursache genug, sich mit Veronal umzubringen? Kaum anzunehmen.

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In dem Schauspiel „Fräulein Else”, das Ernst Lothar vor 35 Jahren nach der bekannten Novelle gleichen Namens von Arthur Schnitzler schrieb — derzeitige Aufführung im Akademietheater —, gerät die Titelgestalt durch die von dem Antiquitätenhändler Dorsday gestellte Bedingung in solche Wirrnisse, daß sie schließlich im Tod Erlösung sucht. Der außerordentliche Reiz der

Fräulein Else: Erika Pluhar

Erzählung — sie spielt im Nobel- hotel eines Urlaubsortes — besteht darin, daß wir alles aus der Sicht dieser Neunzehnjährigen erleben. In ihren Gedankenmonolog sind die Gespräche mit ihren Bekannten und dem Antiquitätenhändler einschließlich des von ihr dabei Gedachten eingeschnitten. Überaus subtil ersteht vor uns dieses feinfühlige Geschöpf im Widereinander bedrängender, peinigender Vorstellungen.

Da die dialogischen Teile kaum die Hälfte der Novelle einnehmen, boten sich der Bühnenfassung erhebliche Schwierigkeiten, das Essentielle, das Monologische, war nicht zu übernehmen. Das nahezu Hauchartige geht verloren, eine arge Vergröberung ergibt sich zwangsläufig. Wozu also die Bühnenfassung? Doch erwies Ernst Lothar handwerkliches Geschick. Eine Tante, die in der Erzählung nur am Rand vorkommt, wird in die Geschehnisse stärker einbezogen, eine Szene zwischen den Eltern, die den Vater, einen berühmten Advokaten, der vom Gefängnis bedroht ist, charakterlich aufhellt, erweitert das Vorgeführte.

Unter der konventionell guten Regie von Emst Haeusserman wird eine Angleichung an die Novelle durch die mehrfach eingesetzte sordinierte Stimme Elses im Lautsprecher versucht, wie durch überlanges stummes Spiel, ehe die Verstörte das Veronal nimmt. Das eine erweist sich als inadäquat, das andere bewirkt ein unnötiges Absacken. Namhafteste Darsteller wurden eingesetzt, allerdings ist eine ganze Reihe für ihre Rollen zu alt. Nicht zu alt wirkt Erika Pluhar als Else, sie überzeugt als das Mädchen aus gutem Haus, das in schwere Bedrängnis gerät. Adrienne Gessner ist eine reizende, sehr alte Tante. Paul Hoffmann als Dorsday? Ein weiß-

haariger, untadeliger Elegant, dem man die gestellten Bedingungen nicht glaubt. Gutes Spiel von Attila Hörbiger und Alma Seidler als Elses Eltern, von Else Ludwig, Heinz Ehrenfreund und Susi Nicoletti in weiteren Rollen. Ansprechende Lösung der Bühnenbilder durch Lois Egg. Der Beifall war bei der Premiere bemerkenswert stark, wohl bedingt durch die Prominenz der Darsteller.

*

Die Verringerung des Dramatischen in neueren Bühnenwerken bis zur Handlungslosigkeit mußte zwangsläufig zu monologischen Formen führen. In zwei Einaktern von Harold Pinter, die im Kleinen Theater der Josef Stadt aufgeführt werden, monologisieren die Gestalten, es gibt zwi schen ihnen kaum nennenswerte Berührung.

In dem Stück „Schweigen” ergeben sich ein älterer, ein jüngerer Mann und ein Mädchen Selbstgesprächen, völlig Belangloses ersteht aus der Gegenwart, aus der Erinnerung. Durch das Fragmentarische bleibt alles offen, das Unbestimmbare soll • spürbar werden. Der Einakter „Landschaft” bietet konkretere Vorstellungen. Ein Diener berichtet seiner Frau, was er gestern erlebte, sie aber verschließt sich im Erinnern an ein zartes Liebeserlebnis vor vielen Jahren mit ihm. Die Worte, die er an sie richtet, hört sie nicht. Die Vergangenheit steht gegen die Gegenwart auf.

Den ersten Einakter läßt Regisseur Hermann Kutscher, der auch die Bühnenbilder schuf, vor einem Spiegel als Hintergrundwand spielen, so daß man die Darsteller, die sitzend über das Publikum hinwegblicken, auch von hinten sieht. Der Eindruck ihrer Isoliertheit wird dadurch verstärkt. Das Bühnenbild des zweiten Stücks, ein Wohnraum, weist nur wenig Spiegelflächen auf. Franz Gary, Eva Pilz und Klaus Wildbolz sprechen die Rollen des ersten Einakters, Jochen Brockmann und Ursula Schult kommen im zweiten zu stärkerer Wirkung. Nur wer dem Meditativen zuneigt, den vermögen diese stillen Bühnenwerke einigermaßen zu beeindrucken, die anderen langweilen sich.

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