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Christliche und universelle Staatengemeinschaft

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Schon die letzte Philosophie der vorchristlichen Antike, die Stoa, hat die ganze Menschheit als eine große, allumfassende Gemeinschaft betrachtet, da sie der politischen Hauptgestalt der Antike, der Polis, die K o s m o p o 1 i s gegenübergestellt hat. Diese Kosmopolis wurde aber von der Stoa nicht als eine Gemeinschaft von Staaten, sondern als eine Gemeinschaft von Weltbürgern aufgefaßt. Daher konnte die römische Stoa die Idee der Kos- mopolis mit dem römischen Weltreich verbinden, das die damaligen Kulturvölker zu einer politischen Einheit zusammengeschweißt hatte.

Hingegen finden wir die Idee der universellen Staatengemeinschaft erst beim heiligen Augustinus, der in der Zeit des Zersetzungsprozesses des Imperium Romanum die universalistische Idee der Stoa mit der Vielheit von Staaten verbindet und so zur Einsicht gelangt, daß die Menschheit keine einförmige Einheit bildet, sondern in eine Vielheit von Völkern gegliedert ist. Sie darf daher nicht in einen Weltstaat zusammengefaßt werden, sondern sie muß als eine Gemeinschaft von Gemeinschaften, eine „Communitas communitatum“ angesehen werden. Damit hat Augustinus das fruchtbare Prinzip de Föderalismus in die große Politik eingeführt, das allein die Einheit und die Vielheit versöhnen kann, in dem er die Einheit betont, zugleich aber auch der Verschiedenheit Rechnung trägt. Auch hier bewährt sich das bekannte Prinzip: in necessariis unitas, in dubiis libertas, in omnibus Caritas.

Dieses Baugesetz der Staatengemeinschaft bildet also keine bloß zufällige und gelegentliche Konzeption des heiligen Augustinus, sondern sie fließt aus seinem allgemeinen Ordnungsprinzip, das die ganze Welt durchwaltet, da es sich überall darum handelt, durch einen geordneten Zusammenklang der Teile einen Zustand der Harmonie zu begründen. Daher ist auch der Friede unter den Völkern nichts anderes als eine geordnete Eintracht (pax e t ordinata concordia) oder eine Ruhe in der Ordnung. Diese Eintracht kann aber nur dadurch erreicht werden, daß sich alle Geschöpfe dem göttlichen Gesetze unterwerfen, da sie nur in und durch Gott untereinander verbunden sind. Die spätere Philosophie hat diesen großen Gedanken prägnant in die Formel gekleidet: Conjunctio hominum cum Deo eit conjunctio hominum inter sese.

Wird hingegen das göttliche Gesetz mißachtet oder geleugnet, dann entstehen daraus Kriege und Aufstände, die nur zeitweise durch einen Scheinfrieden unterb

, in dem der Eroberer den besiegten Völkern sein willkürliches Gesetz auferlegt. Die Welt hat daher nur die Wahl zwischen dem brüderlichen und daher gerechten Frieden Gottes oder einem ungerechten Scheinfrieden „nach dem Kopfe und Plane" des Siegers.

Die augustinische Konzeption der Staatengemeinschaft fiel auf fruchtbaren Boden, da sich schon im frühen Mittelalter eine Gemeinschaft der christlichen Völker herausgebildet hat. In dieser Gemeinschaft war der Papst nicht nur dos geistliche Oberhaupt, sondern zugleich auch das zentrale politische Organ. Den eindeutigen, urkundenmäßigen Beweis dafür erbringt ein neues Quellenwerk, da 1946 von zwei italienischen Gelehrten, dem Mailänder Völkerrechtslehrer Balladore Pallieri und dem Rechtshistoriker Vism ara, unter dem Titel „Acta pontificia juris gentium" veröffentlicht wurde. Dieses Werk' hat aus verschiedenen Archiven 2803 Regestenstellen zusammengetragen, die bis zum Exil von Avignon reichen und uns zeigen, wie die Päpste Jahrhunderte hindurch unermüdlich darüber gewacht haben, daß auch zwischen den Völkern das Recht gewahrt wird. Aus diesem Mosaik von einzelnen Anordnungen hat sich allmählich das positive Völkerrecht der christlichen Staatengemeinschaft herausgebildet, das durch zahlreiche Schiedssprüche bestätigt wurde.

Dieses in den christlichen Werten verankerte Recht hat die Sprengung des mittelalterlichen Kosmos durch die Glaubensspaltung und den Eintritt neuer, nichtchristlicher Völker in die Arena der Geschichte und Politik überdauert. Es ragt ebenso wie die gotischen Dome in die Neuzeit hinein. Ja, zu Beginn der Neuzeit war. es noch die spanische Moraltheologie unter: der Führung von Vittoria und Suarez welche die Weiterbildung des Völkerrecht und sein Universalwerden mächtig geför- hat. j

Bei einer näheren Betrachtung zeigt eä sich aber, daß auch diese Denker in deft augustinischen Idee der universellen Staaten-“ gemeinschaft wurzeln, da sie ebenfalls leh-’ ren, daß die ganze Menschheit eine naturrechtliche, in V ö W kern gegliederte Einheit b i I-j det, die letztlich im ewigen,Gesetzt in der lex aeterna, verankert ist. Diese Idee? fordert daher auch die Erweiterung der europäischen zur universellen Staatengemeinschaft.

Tatsächlich hat sich die moderne Staatengemeinschaft schrittweise erweitert und umfaßt seit dem Ende des ersten Welf-

krieges alle Völker der Erde. Zugleich Hat sie aber allmählich ihren ursprünglich christlichen Charakter abgestreift. Dasselbe gilt für das Völkerrecht, das immer mehr säkularisiert wurde. Gleichwohl bleiben seine römischen und christlichen Wurzeln unverrückbar weiterbestehen.

Daher sind gerade wiederum die letzten Päpste in zahlreichen Botschaften und Ansprachen für die Idee des Völkerrechts und den Ausbau seiner Einrichtungen eingetreten: So hat zum Beispiel Benedikt XV. am 1. August 1917 den Staatshäuptern der damaligen Kriegführenden einen Plan für einen gerediten und dauernden Frieden vorgelegt, worin er auch die Errichtung einer allgemeinen, obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit vorgeschlagen hat, ein Vorschlag, der bis heute trotz Errichtung der Organisation der Vereinten Nationen einschließlich des Internationalen Gerichtshofes noch nicht verwirklicht wurde, was gerade für kleine Staaten nachteilig ist, da ihnen mangels freiwilliger Unterwerfung des Gegners unter ein Schiedsgericht oder den Internationalen Gerichtshof keine Instanz zur Verfügung steht, bei der sie ihr Recht suchen und finden können. Vor allem a

der gegenwärtige Papst Pius XII. in verschiedenen Weihnachtsbotschaften die moralischen Grundlagen des Völkerrechts neu herausgearbeitet und ihre Bedeutung für den Weltfrieden dargelegt.

Dieses Recht des Papstes, auch in der säkularisierten Staatengemeinschaft als Hüter des Rechts aufzutreten, wird nunmehr auch positivrechtlich im Artikel 24 des Lateranvertrages vom 11. Februar 1929 anerkannt, in dem der Papst zwar erklärt, daß er den weltlichen Streitigkeiten fernbleiben wird, sofern picht die Streitteile an seine Friedensmission appellieren, sich aber das Recht vorbehält, auch im internationalen Bereiche seine moralische und geistige Autorität geltend zu machen. In diesem Rechte lebt daher, wenngleich in neuer Gestalt, das alte, früher besprochene Recht des Papstes weiter, das er einst in der christlichen Staatengemeinschaft ausgeübt hat. Dieses Recht steht aber heute im Dienste der ganzen Menschheit, da sich die päpstlichen Friedenskundgebungen an alle Menschen wenden, die eines guten Willens sind. Möge daher die Stimme des Papstes bei allen Menschen Gehör finden, die einen brüderlichen Frieden unter Gleichen anstreben.

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