6683105-1962_02_06.jpg
Digital In Arbeit

Kennedy und Stevenson

Werbung
Werbung
Werbung

Nicht wenige Beobachter haben, als vor einem Jahr Kennedy ins Weiße Haus einzog, gehofft, daß er Adlai Stevenson als Außenminister der USA berufen werde. Er entschied sich für eine weniger umstrittene Persönlichkeit: Dean Rusk.

Aber er ernannte seinen zweimal geschlagenen Rivalen für das höchste Amt des Landes, zum amerikanischen

Vertreter bei den Vereinten Nationen, ihm Kabinettsrang verleihend und der ausdrücklichen Hoffnung Ausdruck gebend, daß Stevenson die amerikanische Außenpolitik maßgeblich mitbestimmen würde.

Obwohl Stevenson eine ausgesprochen „gute Presse“ fand — überraschenderweise haben selbst republikanische Blätter seinem Auftreten im Weltparlament mehr als einmal Tribut gezollt —, hat er sich offensichtlich in seinem Amt nicht sehr glücklich gefühlt. Konservative Zirkel des State Department haben es immer wieder, deuten seine Freunde an, verhindert, daß sein Rat — Probleme der Wirtschaft betreffend — befolgt wurde, und ihn in Situationen gedrängt, wo er anstatt eigene Initiative entwickeln zu können, ausführendes Organ für von ihm für unklug gehaltene Positionen des Außenministeriums wurde.

Am falschen Platz

Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß er zur Frage des Kubaabenteuers — von dem er dringend abgeraten hatte — Erklärungen abgeben mußte, die seiner Einsicht widersprachen. Auch zur Fr ige der Aufnahme Rotchinas in die UN hat er, registrieren Eingeweihte, die Haltung des State Department loyal vertreten, aber nicht ganz vergessen machen können, daß er sich früher persönlich weit undogmatischer zum Thema geäußert hatte. Kurz und gut: die amerikanische Politik bei den Vereinten Nationen ist selten von ihm, meist von solchen Tendenzen im Außenministerium bestimmt worden, die dem „linken“ Gouverneur ein wenig mißtrauten. In solcher Situation nationale Disziplin zu halten, ist eine Sache. Das Gefühl zu bekommen, am falschen Platz zu stehen, eine andere. — Als kürzlich einflußreiche Gruppen der demokratischen Parteiorganisation von Illinois an den Botschafter bei den UN mit dem Vorschlag herantraten, sich um den Sitz des neu zu wählenden Senators in diesem Staat zu bewerben, ließ Stevenson ziemlich deutlich durchblicken, daß er nicht abgeneigt sei, dem Ruf zu folgen.

Ein Angehöriger des Senats hat eine sehr viel größere Möglichkeit, eigenen Ansichten Ausdruck zu geben, als ein — anscheinend nur auf dem Papier als Minister rangierender — Untergebener des State Departments, zumal Stevenson den Eindruck haben mußte, daß das Weiße Haus kaum Anstalten gemacht hat, seine Unabhängigkeit diesem gegenüber zu schützen. Eine gewisse Unsicherheit in den persönlichen Beziehungen zwischen Kennedy, dem jungen Präsidenten der „New Frontiers“, und dem wesentlich älteren Stevenson hat kaum etwas mit grundsätzlichen politischen Differenzen zu tun. Wo Meinungsverschiedenheiten aufzutauchen scheinen, handelt es sich zumeist um solche, die sich aus Temperamentsunterschieden und individuellen Reaktionen ergeben. Nicht ganz vergessen aber ist wahrscheinlich die innerparteiliche Geschichte der Präsidentschaftskandidaturen. 1956 wäre Kennedy beinahe an Stelle von Kefauver der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten neben Stevenson geworden; 1960 hat die wohlorganisierte Team arbeit der Kennedy-Gruppe diesen, der noch einmal sich der Parteikonvention als Kandidat stellte, erfolgreich aus der eigentlichen Präsidentenwahl ausgeschaltet. Es wäre unnatürlich, hätten diese Erlebnisse nicht auf beiden Seiten psychologische Hemmungen im Verhältnis zueinander zurückgelassen.

Stevensons Bemerkungen, daß er an der Senatorwahl durchaus interessiert sei, schlugen wie eine Bombe ein. Gerüchte aller Art überstürzten sich.

Neue Begegnung

Der Präsident, der bereits kurz vorher gewissen Schwierigkeiten, die sich zwischen dem State Department und dem Expertenkreis des Weißen Hauses, dem „Küchenkabinett“, ergeben hatten, dadurch Rechnung getragen hatte, daß er eine Reihe Funktionen auswechselte, ohne indes Entlassungen zu verfügen — die Hoffnung der Konser vativen auf Entlassung von Chester Bowles erfüllte sich nicht —, griff ein.

In einer eingehenden Aussprache ergab sich, scheint es, so etwas wie eine erneute menschliche Begegnung zwischen ihm und Stevenson. Als Stevenson nach New York von der Besprechung in Virginia zurückkehrte, erklärte er, daß er nicht die Absicht habe, sich an der Wahl in Illinois zu beteiligen und überhaupt im Moment keine Änderung seiner Aufgaben anstrebe.

Kennedy seinerseits versicherte noch einmal Öffentlich, daß sein Botschaftet bei den Vereinten Nationen mehr denn je an der Gestaltung der amerikanischen Außenpolitik beteiligt sein werde.

Niemand weiß, ob Adlai Stevenson als Präsident der Vereinigten Staaten die in ihn von einer nicht kleinen Zahl seiner Landsleute gesetzten Hoffnungen erfüllt hätte. Niemand weiß, ob der Posten des Außenministers für ihn die beste Position gewesen wäre.

Daß die USA es sich aber einfach nicht leisten können, einen Mann von der überragenden Intelligenz, Weitsichtigkeit und Integrität dieses Mannes aus der Weltpolitik, im Grunde dem Element, in dem der redebegabte, auf seltene Art mit Einfühlungsvermögen für Nichtamerikaner ausgestattete ehemalige Gouverneur zu Hause ist, ausscheiden zu sehen, weil die Bürokratie ihm Fußangeln anlegt, ist auch denen klar, die ihm nicht immer zustimmen.

Es verhindert zu haben, ist ein Verdienst Kennedys.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung