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Die „Stevenson story“

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Schätzt Präsident Kennedy persönlich seinen ehemaligen Parteirivalen für das höchste Amt der Nation? Vertraut das Weiße Haus rückhaltlos der Weisheit des amerikanischen Botschafters bei den Vereinten Nationen? Stimmt Adlai Stevenson mit den Ansichten, Zielen, Entscheidungen Kennedys in allem überein?

In den verschiedensten Variationen kommentiert, mit Gerüchten und Vermutungen ventiliert, hat ein in der angesehenen Zeitschrift „Saturday Evening Post“ erschienener Artikel der bekannten Washingtoner Korrespondenten Stewart Alsop und Charles Bartlett über die Kubakrise Fragen dieser Art wieder einmal aufgewirbelt. In diesem Artikel wurde „enthüllt“, daß Stevenson in den streng vertraulichen Sitzungen, die der präsidentialen Verkündung der Blockade und dem damit zusammenhängenden Ultimatum vorangingen, für ein „München“ eingetreten sei, von aggressiven Maßnahmen abgeraten habe und bereit gewesen wäre, amerikanische Militärbasen im Austausch für die Entmilitarisierung Kubas eventuell aufzugeben.

Die mit sensationellen Überschriften versehenen Zeitungsreaktionen beschäftigten sich nicht nur mit der Frage, ob hier wirklich die damals von Stevenson im Sicherheitsrat (National Security Council) ausgesprochenen Ansichten exakt wiedergegeben worden sind, sondern vor allem auch mit dem Problem: Wer hat den Journalisten das Material zur Verfügung gestellt und welchen Zweck verfolgte wer mit der Veröffentlichung?

Will man Stevenson „abschießen“? Wer steht hinter der Aktion? Stevenson hat die ihm unterlegten Formulierungen bestritten und sich als in völliger Übereinstimmung mit der Position des Weißen Hauses in der Kubakrise erklärt.

Die Intrige als Bumerang

Kennedy hat in sehr herzlichen Worten den Botschafter bei den VN seines vollen Vertrauens versichert und festgestellt, daß Stevenson vollinhaltlich die getroffenen Maßnahmen unterstützt habe.

Damit ist erst einmal dem Gerücht der Boden entzogen, das die republikanische Presse in Großaufmachung am Erscheinungstag der Publikation als Faktum mitteilte: „Adlai wird seines Postens enthoben werden!“

Davon kann jetzt kaum noch die Rede sein. Die Intrige erwies sich als Bumerang. Und es bleiben Indizien dafür, daß die „Stevenson story“ in der Tat eine bewußte Intrige war.

Der Botschafter selbst schweigt über das, was er denkt — oder weiß. Er hält Disziplin. Er hat das schon einmal unter Beweis stellen müssen: er schwieg, als zwei Tage nachdem er vor den Vereinten Nationen jede Beteiligung der USA an der Kuba-Invasion — weil ohne diesbezügliche Information! — abgeleugnet hatte, der Präsident ihn öffentlich mit dem Eingeständnis der Mitverantwortung desavouierte, und blieb nach einer langen Wochenendaussprache mit Kennedy im Amt.

Was bei der „Saturday Evening Post“-Affäre auffällig erschien war, daß ausgerechnet Charles Bartlett — einer der nahesten persönlichen Freunde Kennedys und dessen Trauzeuge —, der bereits einmal sich über die Absichten des Präsidenten ausgezeichnet informiert gezeigt hatte, über das Geheimmaterial der internen White-House-Sitzungen verfügte. Bartlett hatte seinerzeit — offiziell dementiert — die wahrscheinliche Abberufung von Unterstaatssekretär Chester Bowles angekündigt — und einige Monate später bewahrheitete sich die „inside Information“! Konnte hier ein ähnlicher Versuchsballon, die Öffentlichkeit auf eine für später beabsichtigte Maßnahme vorzubereiten, direkt oder indirekt im Weißen Haus ihren Ursprung gehabt haben?

Acheson tritt auf

Es ist unwahrscheinlich, daß Kennedy selbst von dem Artikel Kenntnis gehabt hat. Wahrscheinlicher ist, daß ein anderer Teilnehmer der Geheimsitzung ihm durch die Veröffentlichung von Material, das die Haltung Stevensons als unvereinbar mit der Politik des Präsidenten „aufzeigt“, die Möglichkeit geben wollte, sich mehr als bisher mit denen zu solidarisieren, die militärische Aktionen in Krisensituationen diplomatischen Verhandlungen vorziehen, das heißt den Chiefs of Staff, der CIA und — Dean AchesonI Washingtoner Beobachter neigen immer mehr der Auffassung zu, daß Acheson, dessen Antipathie gegen seinen Parteifreund Stevenson nie abgeleugnet wurde und der (zufälligerweise?) gerade in diesen Tagen nach längerem Schweigen mit einer Rede an die Öffentlichkeit trat, in der er unmißverständlich für „scharfe“ Maßnahmen im Ost-West-Konflikt eintrat (man will wissen, daß er einen Luftangriff auf die Missile-Basen Kubas befürwortete), es vor allem ist, der an der Erledigung Stevensons interessiert ist.

Aber neben dem Rätselraten um die Begleitumstände der Aslop-Bartlett-schen „Enthüllungen“ hat die Presse bemerkenswerterweise sehr bald die nationalpolitische Seite der Affäre beschäftigt — und durchaus auch in Zirkeln, die Stevenson keineswegs zu günstig gesinnt sind.

Man hat — auch in oppositionellen Zeitungen — beunruhigt die Frage aufgeworfen, wozu ist eigentlich ein „National Security Council“ gut, der seiner Struktur nach die Verantwortung für die schwerwiegendsten Entscheidungen über Krieg und Frieden zu treffen hat, wenn über seine Sitzungen von unbefugter Seite Informationen in den Dienst „fraktioneller“ Auseinandersetzungen gestellt werden?

Habichte und Tauben

Der Bericht erwähnte, daß zwischen den „Habichten“ und den „Tauben“, wie man spöttisch den Unterschied zwischen denen, die eine „harte“ und denen, die eine labile Politik wollen, kennzeichnet, innerhalb des Ratgeberkreises im Weißen Haus Meinungsverschiedenheiten bestehen! Was allgemein bekannt ist —, auch in der Kubafrage.

Aber, fragt man weiter, was haben denn Beratungen, bei denen schließlich jeder „Ratgeber“ nach seiner Meinung gefragt werden soll, für einen

Sinn, wenn später diejenigen, die, bevor sie sich dem Mehrheitsbeschluß verpflichtend anschließen, abweichende Ansichten vertreten oder andere Vorschläge gemacht haben, direkt oder indirekt in der Öffentlichkeit als unzuverlässig denunziert werden können?

Die „Stevenson Story“ handelt nicht nur von dem ehemaligen Gouverneur von Illinois, obwohl der weltgewandte, bei den Vereinten Nationen insbesondere in den Delegationen farbiger Völker sehr geschätzte USA-Botschafter von den Vertretern der „harten“ Politik in beiden Parteien seit langem mit Mißtrauen betrachtet wird — Intelligenz wird in diesen Kreisen nicht geschätzt.

Sie stellt darüber hinaus zweifellos einen Versuch dar, auf dem Umweg über die öffentliche Meinung einen Druck auf den Präsidenten dahingehend auszuüben, daß ihm deutlichgemacht wird: die „Habichte“ sehen es nicht gerne, wenn er weiterhin einer „Taube“ sein Vertrauen schenkt.

Kennedy hat nicht gezögert, sich unmißverständlich vor den Angegriffenen zu stellen. Für diesmal schlug die Aktion fehl, weil die Öffentlichkeit — nach kurzer Anfangshysterie — ihre Zweischneidigkeit schnell erkannte und das „Kreuzige ihn“ verweigerte.

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