Das Vermächtnis Ralf Dahrendorfs

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Es passiert mir leider nicht zum ersten Mal, dass ich ein Vorhaben so lange aufschiebe, bis es für seine Realisierung zu spät ist. Ich wollte Ralf Dahrendorf noch besuchen, um mit ihm über seine Befindlichkeit zu sprechen, mich aber auch über die gesellschaftliche Entwicklung mit ihm auszutauschen. Ein Gespräch mit ihm brachte einen stets weiter, fachte an, machte nachdenklich. Auch Positionen, die man nicht mit ihm teilte, erschienen plötzlich in einem neuen Licht. Er hatte die Gabe, einen auch nach einem ernsten Gespräch optimistisch zurückzulassen. Aktiviert und tatendurstig. Und so wollte er es auch.

Der Besuch hat nicht mehr stattgefunden. Aber es bleiben die Eindrücke, Aufzeichnungen, Bücher und Fernsehgespräche. Es bleibt, was Wurzeln geschlagen hat von dem, was er vermittelte. Und das ist nicht wenig. Er wusste, dass es für die Politik keine einfachen Formeln gibt, und verstand es, nicht nur diese Botschaft, sondern so manche Kompliziertheit der Politik selbst begreifbar zu machen. Er wurde nicht müde, zu neuer Demokratie zu ermuntern, gerade weil er die Funktionsuntüchtigkeit der „alten“ Demokratie erkannte. Wenn er die fortschreitende Datenerfassung geißelte, so auch deshalb, weil er hinter ihr die Förderung von Duckmäuserei sah: Wer befürchten müsse, selbst Jahre später benachteiligt zu werden, weil man als Junger Flugblätter oder Demos mitverantwortet hatte, würde sich demokratiepolitisches Engagement wohl überlegen. Das war nicht die Gesellschaft, die sich Dahrendorf wünschte.

Er stritt für Freiheit mit Verantwortung, für Zivilcourage, für Solidarität, für eine Politik, der die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit genauso wichtig ist wie die Unversehrtheit der Bürger/innen/rechte und der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft. Diese drei Ziele gleichzeitig zu erreichen, bezeichnete er zwar als die „Quadratur des Kreises“, aber gerade um diese Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit ging es ihm, weshalb man in den Anstrengungen nicht nachlassen dürfe. Er war seiner Zeit voraus, wenn er in den frühen 80er Jahren bereits forderte, Freiheit und Wirtschaftswachstum zu trennen, weil eine Marktgesellschaft auch bei schwachem Wirtschaftswachstum gedeihen könne.

Im Liberalen Forum, in dem Dahrendorfs Gedanken eine wichtige Rolle spielten, haben wir am „Dahrendorf’schen Dreieck“ gemessen, wenn wir so manchen politischen Zustand analysiert haben. (Ich glaube, dass ich diesen Begriff geprägt habe.) Nachdem wir nicht mehr ins Parlament gewählt wurden und ich für das überparteiliche Institut für eine offene Gesellschaft Mitstreiter/innen gesucht habe, rief ich Dahrendorf an. Wir kannten einander von so manchem Gespräch.

Ich brauchte keine lange Überzeugungsarbeit zu leisten, er, immer mit Arbeit belastet, in der andere erstickt wären, sagte sofort zu, den Vorsitz für das Kuratorium zu übernehmen. Ich bin stolz darauf, einen Mann seines Zuschnitts für diese Aufgabe gewonnen zu haben.

Für ihn war der Weg zu einer Weltbürgergesellschaft eben keine Kant’sche Phantasie, sondern ein moralisches Gebot. Er war Realist genug zu wissen, wie weit wir davon entfernt sind. Er war bodenständig genug, dieses Ziel durch praktische Bespiele und Geschichten „Normalverbraucher/inne/n“ nahezubringen. Und er war mit seinen 80 Jahren jung genug vorzuleben, was auch sein Anspruch an Liberale war: „Der Überzeugungsprozess darf nie aufhören.“ Das ist sein Vermächtnis.

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