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Die Uberwindung der Inquisition

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Im Verlag der „Frankfurter Hefte“ erschien vor kurzem das Werk „Die Antwort der Mönche“, ein Buch, das eine der bedeutendsten Auseinandersetzungen eines katholischen. Laien mit der Existenz des Mönch-tums in der Jetztzeit darstellt. Der folgende Beitrag ist dem letzten Kapitel „Sie und wir heute“ entnommen.

Die Situation der Dominikaner ist paradox, und sie wissen es, besonders in Frankreich, England und Deutschland. Ihrer ist es, aus dem Geist des Thomas die Schola- ■ stik und die Inquisition zu überwinden.

Im leiblichen und geistigen Raum der Kirche kühn und irei zu denken, das war die Tat des heiligen Thomas. Die Freiheit des Geistes dar! aber nicht wie die Freiheit des Geldes geschichtlich zu Ende gehen, sondern sie ist unendlich: deshalb bleibt die dominikanische Aulgabe im Grunde heute noch die gleiche: der Mut zum Forschen und Denken, der Mut zur Wahrheit, zur alten und zur neuen Wahrheit.

Die Schwierigkeit des Dominikanertums liegt also nicht in einer grundlegenden Aenderung der Situation, sondern anderswo — darin nämlich, daß der Orden, als die meisten freien Denker erst innerlich, dann auch äußerlich die Kirche verließen, damals in die Rolle der Verteidiger gedrängt wurde, der Verteidiger sodann nicht nur des wahren Glaubens, sondern auch der überlielerten „alten“ und nur der alten menschlichen Weisheit.

Die Inquisition war fürchterlich, das steht nicht nur in historischen Romanen und im Plaflenspiegel, und es hat gar keinen Sinn, diese Tatsache zu verdrängen und zu bagatellisieren; sie war in tödlicher Logik aus Prämissen entwickelt, die im Christentum enthalten sind, vor allem aus der Prämisse der Wahrheit, unter denen aber einige andere wesentliche christliche Prämissen fehlen; und für die Wahrheit zu töten, ist noch schrecklicher als die jakobinische' Bereitschalt, lür den Irrtum zu töten. Die Katholiken haben nicht Anlaß, diese schreckliche Episode zu bagatellisieren, sondern sie haben mehr Anlaß ihr abzusagen als die Freidenker. Auch der Hinweis auf den „weltlichen Arm“ und alle Maßnahmen, welche die Kirche von der Blutschuld freihalten sollten, ändern nicht das geringste an dem unteilbaren Sachverhalt, an dem die politischen Machthaber, das kirchliche Amt und das christliche Bewußtsein und in beider Hinsicht vor allem die Dominikaner beteiligt waren.

Aber das ist vorbei. Der Dominikanerorden könnte sich an die Reste klammern, an die innerkirchliche Zensur, an den Geist der Polemik, an das komplette Schulsystem, aber das wäre eine kleinliche Haltung. Der Orden des heiligen Dominikus enthält in sich selbst die Möglichkeit, die Phase der allzu aggressiven Defensive zu überwinden und, wie Thomas, in unbestechlicher Nüchternheit von dem auszugehen, was er voriindet: vom Dogma, von der Ueberlielerung — der ganzen, nicht nur der dominikanischen! — und von jedem Gedanken, der seit dem 12. Jahrhundert gedacht worden ist, von Bacon, Abälard, Luther und Calvin, von Descartes, Leibniz und Pascal, von Kant und Hegel, Kierkegaard und Marx, Nietzsche und Heidegger bis zu Einstein und Heisenberg. Nichts ist ihm entzogen, alles steht ihm zur Verfügung: dem nämlich, der betend denkt. Er kann aus dem Vertrauere in den Gott der einzigen, erlorschbaren und erforschten, unerforschbaren und unerforschten Wahrheit den Mut finden, kühn zu denken, denkend zu experimentieren. Der eigentliche „Thomismus“, der des heiligen Thomas nämlich, ist gar kein geschlossenes Schulsystem, sondern der großartige Versuch, allen vorgelundenen Gedanken nach und von ihnen aus weiterzudenken.

Die Dominikaner, die das inquisitorisch-scholastische Zwischenstadium überwinden, sind in der glücklichen Lage, bei derselben Aulgabe zu bleiben, welche die Geburtsstunde des Ordens ihnen zuwies: betende Freidenker zu sein. Es gibt solche Dominikaner. Sie sind die Freunde der Laien, die eigene Gedanken haben.

Es darf nicht vergessen werden, daß die Dominikaner nicht nur Denker, sondern auch Prediger waren; im allerersten Stadium waren sie sogar mehr Prediger als Denker. Auch diese Autgabe, die Wahrheit zu verkünden, bleibt ihnen. Und auch hier steht ihnen die inquisitorische und die scholastische Vergangenheit im Wege. Keine noch so wirksame Rhetorik wird dahin dringen, wohin immer und heute erst recht das Wort des Predigers dringen muß: ins Herz, wenn zwischen dem Heilswort und dem Herzen die Drohung oder die Schule steht. Die Dominikaner, die als Denker aul den heiligen Thomas zurückgreifen können, können sich als Prediger an den heiligen Dominikus selbst halten. Er war vom Geist der Inquisition und der Schule frei; er hat die Ketzer geliebt, und er hat mit ihnen diskutiert; er wußte, wie getährlich sie waren, aber er hat sie weder verbrennen lassen, noch sie mit Schulweisheit zugedeckt: er hat sich ihnen gestellt.

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