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Ein heißes Eisen

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KIRCHE UND FORTSCHRITT. Von Christian Daquoc .OP. Verlag Herold, Wien 1967. 110 Seiten. S 88.—. — DIE KIRCHE IN EINER NEUEN ZEIT. Von Andreas G. M. van Meisen. Gedanken eines Naturphilosophen. Aus dem Niederländischen von Willy Leson. Verlag J. P. Bachem, Köln, 1966. 60 Seiten, kart., DM 4.20.

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KIRCHE UND FORTSCHRITT. Von Christian Daquoc .OP. Verlag Herold, Wien 1967. 110 Seiten. S 88.—. — DIE KIRCHE IN EINER NEUEN ZEIT. Von Andreas G. M. van Meisen. Gedanken eines Naturphilosophen. Aus dem Niederländischen von Willy Leson. Verlag J. P. Bachem, Köln, 1966. 60 Seiten, kart., DM 4.20.

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Nach der Intention Johannes' XXIII. sollte das Zweite Vaticanum in erster Linie ein pastorales Konzil sein; um verständlich zu bleiben, darf die Kirche den Kontakt mit der Welt nicht verlieren. Eine Anpassung an unsere veränderte und ständig sich verändernde Welt zumindest in Fragen der Pastoral erschien als das Gebot der Stunde. Wenn es nun freilich zutrifft, daß von der Entwicklung und Veränderung der Welt die Kirche ebenfalls mitbetroffen ist, so wurde doch während des Konzils wiederholt voll großer Sorge die Tatsache beklagt, daß Kirche und Welt weithin einander fremd gegenüberstehen. Ging es letztlich nicht doch um fundamentalere Fragen als um eine bloße pastorale Anpassung?

Während v. Meisen die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Begegnung von Kirche und Welt vom Weltbild der modernen Naturwissenschaft her begründete, versucht dies Duquoc in ähnlichem Sinne unter dem Gesichtspunkt der umfassenden Idee des „Fortschrittes“. Er wählte ihn als Thema für den Dialog zwischen Kirche und Welt trotz des Verfalls der Fortschrittsideologien in unserer Zeit und trotz der an ihnen geübten Kritik. Dazu kommt, daß die Thematik „Kirche und Fortschritt“ nach wie vor ein „heißes Eisen“ ist: während die einen in der Kirche nur eine Feindin jeglichen Fortschrittes sehen, unterstreichen die anderen ihre Bedeutung als wichtigen Faktor des Fortschrittes. Auf alle Fälle bietet die Haltung der Kirche im Laufe der Geschichte sowohl der Anklage wie auch der Verteidigung genügend Argumente, weshalb der ganze Streit unentschieden bleiben muß. Die in Frage stehende Wirklichkeit ist ja zudem ungemein komplex. Duquoc versucht daher auch gar nicht, eine Bilanz zu ziehen. Es geht ihm um mehr!

Wenn man die Geschichte der westlichen Welt als Geschichte der Bedingungen begreift, die den sozialen Beziehungen auf den Gebieten des Wissens und des Rechts zugrunde liegen, so ist sie eine Geschichte des Fortschrittes des Kol-lektivtoewußtseins. — Die Kirche hinwiederum ist mehr als ihre historische Gestalt und Wirklichkeit. Sie vermittelt ja das Evangelium; sie hat den Zugang zu ihm zu ebnen durch die vitale Annahme seiner Forderungen und seiner Hoffnung. Durch sie tritt das Evangelium in die Welt ein. Damit ist aber die Geschichte des Okzidents nicht die eines evangelischen und eines profanen Bewußtseins, sondern sie ist untrennbar beides.

Die Grundidee seines Buches läßt sich in Kürze so umreißen: „Der Dialog mit der ,Welt' (im Sinne der ganz allgemein verstandenen menschlichen . Realität) ist eine der Bedingungen für die Treue der irdischen Kirche zu ihrem evangelischen Plan“. Die Mission, die der historischen Kirche aufgetragen wurde, lautet: „für die Welt“ dazusein. Wann immer sie für sich allein die Welt sein wollte, sei es im Bereich des Denkens, des Handelns und der Leitung, verlor sie ihren Dynamismus und ihre Anziehungskraft. Wenn sie dieser Mission wieder naht in der Demut des Dienens und nicht im Glänze der Macht und der Selbstsicherheit, beschwört sie das Antlitz dessen herauf, der ihr Herr ist und der sich bis zum Tode zum Diener aller machte.“ Duquoc versucht diese These zu erhärten durch eine Reflexion über die Haltung der Kirche gegenüber dem Fortschritt — Fortschritt hier freilich nicht verstanden als heute so vielfach beklagte Einbildung und Illusion, sondern als die Entwicklung der objektiven Bedingungen der sozialpolitischen Beziehungen auf dem Gebiet der Wissenschaft, Technik und des Rechts sowie der sozialen und politischen Organisation. Nach einer kurzen Darstellung des Ursprunges, der Geschichte und der heute weitverbreiteten Infragestellung der Idee des Fortschritts befaßt sich der Hauptteil des Buches .mit der Gegenüberstellung von Welt und irdischer Kirche auf der Ebene der objektiven Formen des Fortschrittes: die Kirche und der wissenschaftliche Fortschritt; die Kirche und die objektive Anerkennung der Menschenwürde; die Kirche und die objektiven Freiheiten (Gewissensfreiheit; die Kirche und der weltliche Charakter des Staates; die Kirche und der Friede). Hier geht Duquoc nicht selten sehr kritisch und hart mit der Kirche ins Gericht. Ob er hier vielleicht nicht doch zu sehr aus der Sicht und den Erfahrungen unserer Zeit die Gegebenheiten der Vergangenheit beurteilt und ihnen damit nicht ganz gerecht wird?

Im Endergebnis seiner Betrachtungen gelangt Duquoc — und hierin wird man ihm durchaus zustimmen — zu der Überzeugung, daß Kirche und Welt in wechselseitiger Bezo-genheit sich gegenseitig läutern: Das Werden der Welt und Kirche ist so eng miteinander verknüpft, daß die Vermenschlichung der einen sich unmittelbar auf die Treue der anderen zu ihrer eigenen Berufung auswirkt und umgekehrt gibt es keine evangelische Treue, die ihrem Jahrhundert nicht das Siegel menschlicher Werte aufdrückt.

Die Welt und die Kirche können einander weder ignorieren noch absorbieren. Die Welt verweist die Kirche auf die sie bestimmende evangelische Forderung und die Kirche verlangt von der Welt die Echtheit ihrer menschlichen Werte. Duquoc begrüßt den heute zwischen der Kirche und der. Welt möglich gewordenen Dialog: „Er dient dem Fortschritt beider: denn weder die Reinheit des Gottesreiches noch die Schlechtigkeit von Satans Reich sind von dieser Welt.“

Als Naturphilosoph unterstreicht van Meisen vor allem die säkularisierende Wirkung der Naturwissenschaft, die die Empfänglichkeit des Menschen für den Symbolwert der Dinge, besonders für ihren religiösen Wert verändert hat. Vertritt sie doch ein Weltbild, in dem „nicht mehr hinter jedem Phänomen Gottes Wirksamkeit gesehen wird, sondern eine beschreibende, inhärente Naturgesetzlichkeit. Es entsteht eine funktionale Auffassung von der Gesellschaft, die nicht mehr von ihrer Einsetzung von Gott spricht, sondern von menschlichen Zweckmäßigkeitsüberlegungen beherrscht wird. Gott wird gleichsam der Abwesende, mit dessen eventuellem Dasein man nicht mehr rechnen muß, weder bei Erklärung der Natur oder beim Dienstbarmachen für menschliche Zwecke noch beim Aufbau der Gesellschaft“. Diese veränderte Auffassung der Naturwirklichkeit hat ein neues Selbstverständnis der Menschheit zur Folge, das sich wiederum auch in der Selbstinterpretation der Kirche auswirken muß. „Diese Selbstinterpretation muß sich auf die Offenbarung stützen, die tiefer zu verstehen möglich und nötig ist dank einer Entwicklung, die selbst wieder die Folge einer vertieften Selbstinterpretation des Menschen ist.“ Van Meisen leitet daraus die Notwendigkeit einer neuen Glaubenshaltung ab, die „viel mehr als es früher notwendig erschien, bereit sein muß, sich immer wieder an Hand dessen zu erneuern, was die Wirklichkeit offenbart.“ Diese neue Glaubenshaltung bedeutet jedoch keinen „Bruch in der Kontinuität des christlichen Erbgutes, vorausgesetzt natürlich, daß wir Ernst machen mit der Idee des unerschöpflichen Reichtums der Offenbarung — auch diese Idee gehört ja zu ihrem Erbgut — und bereit sind, diese gläubig im Lichte der neuen Errungenschaften zu untersuchen“.' Setzt ja doch die Offenbarung nirgends den menschlichen Möglichkeiten ein Ende, und gerade das verschärfte Verständnis dafür ist vielleicht das wichtigste Merkmal dessen, was die neue christliche Glaubenshaltung sein muß.

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