Rettung vor uns selbst von A bis Z

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Fred Luks' Buch über den Ausnahmezustand unserer Ökonomie-gesteuerten Gesellschaft ist eine ausgezeichnete Kritik der strukturellen Probleme der Moderne, meint ein Nachhaltigkeits-und Klimaexperte.

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Fred Luks' Buch über den Ausnahmezustand unserer Ökonomie-gesteuerten Gesellschaft ist eine ausgezeichnete Kritik der strukturellen Probleme der Moderne, meint ein Nachhaltigkeits-und Klimaexperte.

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Bücher zu den Themen Nachhaltige Entwicklung, Zukunftsfähigkeit und neuerdings (große) Transformation gibt es inzwischen in unüberschaubarer Menge. Selten liest man Neues, noch seltener Unorthodoxes. Zudem dominieren Effizienzmythen, Katastrophenszenarien, Naivität, Steuerungsoptimismus und Verzichtslogik den Diskurs. Vergessen wird, dass es um das gesellschaftsverändernde Potenzial der Generationengerechtigkeit und globaler Gerechtigkeit in einer integrierten Perspektive geht. In diese Lücke springt seit vielen Jahren Fred Luks, Volkswirt und Leiter des Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit an der WU Wien.

Nachdem er in seinem neuesten Buch den Zustand der Welt originell, tiefschürfend und unorthodox -von A bis Z alphabetisch gereiht analysiert hat, bestätigt sich für ihn das folgende Paradox: "Wir müssen, wenn wir auch in Zukunft in Freiheit, Wohlstand und Frieden leben wollen, zentrale Säulen unserer Lebensweise mit allen Mitteln verteidigen -und gleichzeitig zentrale Säulen eben dieser Lebensweise radikal verändern, wenn sie sozial, ökologisch und ethisch vertretbar und zukunftsfähig sein soll." Was Luks beschäftigt, ist die Frage, wie wir es schaffen können, "demokratisch für gute Lebensverhältnisse zu sorgen, ohne dass dies auf Kosten anderer Gesellschaften geht oder auf Kosten der Umwelt oder der Zukunft." Die Stärke und roter Faden des Buches ist, dass er Dinge und Themen zusammendenkt, die vor allem auch im politisch-gesellschaftlichen Diskurs nicht einmal isoliert vorkommen. Auf diese Weise entlarvt er auch unhinterfragte Stereotype und deren Rolle als Beruhigungsmittel, Illusionen und Verschleierungsstrategien, etwa den Glauben, dass wir das ökologische Nachhaltigkeitsproblem mit Effizienzstrategien samt Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch lösen werden.

Aus der Gleichzeitigkeit aller eskalierenden Problemlagen wie Gefährdung der Demokratie, Massenmigration, Klimawandel, Terror, Krieg, Digitalisierung, etc. schließt er, dass sich die aktuelle multiple Krise vom "normalen" Krisenmodus kapitalistischer Demokratien unterscheidet, wobei das "Fundamentalproblem in einer Endlosschleife von Mehrbekommen und Mehrwollen, die kein Maß, keine Ziellinie und keinen Endpunkt kennt, liegt".

Interventions-Möglichkeiten

Luks greift auf Grundeinsichten der soziologischen Systemtheorie wie die Unregierbarkeit der Gesellschaft und die Eigenlogik gesellschaftlicher Subsysteme zurück, vergisst dabei aber nicht die Interventionsmöglichkeiten mächtiger Interessengruppen. Für ihn steht trotzdem fest: "Wissenschaft und Technik generieren Innovationen und tragen damit wesentlich zur kapitalistischen 'schöpferischen Zerstörung' bei, Recht stellt wichtige Rahmenbedingungen für diesen Prozess bereit, Medien befeuern durch ihre Berichterstattung Wettbewerb, Politik ist auch mit Blick auf ökonomische Entwicklungen ein überaus wichtiger Faktor -aber keines dieser Systeme treibt Problem-und Eskalationsdynamiken so sehr wie die Wirtschaft."

Unsere Demokratie wird nach Luks keinen Bestand haben, wenn sie die notwendige sozial-ökologische Transformation nicht schafft und umgekehrt werde diese Transformation nur demokratisch möglich sein. Hoffnungen auf die Management-und Steuerungsfähigkeiten autoritärer Regime überzeugen ihn nicht. An dieser Stelle denke ich an das Büchlein "The Collapse of Western Civilization -A View from the Future", das uns in das Jahr 2393 zum dreihundertsten Jahrestag des Endes der westlichen Kultur entführt.

Die Kernfrage des in der Zweiten Volksrepublik China lebenden Historikers lautet, warum die westlichen Industrieländer nicht entsprechend ihrem Wissen über den Klimawandel gehandelt haben. Er analysiert, dass sie -im Gegensatz zu China -durch Verleugnung, Selbsttäuschung und Fixierung auf die freien Märkte handlungsunfähig waren.

Manche Leserin und mancher Leser wünscht sich am Ende einen klaren Masterplan, der aus dem hyperkomplexen Schlamassel herausführt. Einen solchen stellt Luks nicht zur Verfügung, denn diese gehören für ihn der Kultur der expansiven Moderne an. Er spricht sich für ein suchendes, produktives Durcheinander aus und ist überzeugt: "Wer den Ausnahmezustand überwinden will, braucht Imagination, Phantasie, Visionen, Zukunftsbilder und meinetwegen einen Traum -aber ohne es sich in diesem Traum gemütlich zu machen." Ein Buch, das großartiges, mitunter deprimierendes, jedenfalls anregendes Lesevergnügen bereitet.

Ausnahmezustand -Unsere Gegenwart von A bis Z Weltrettungs-ABC IV. Von Fred Luks Metropolis Verlag, Marburg 2018.386 Seiten, Hardcover, e 28,-

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