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Randbemerkungen zu einem Gesetz

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Wenn der Staat künftig sparen, der Bürokratismus aufhören wird, sich aufzublähen, und dann die Notenpresse ihren Lauf über das Leben des Schillings hinweg einstellt, wird der Österreicher nicht wieder wie einst vor fünfundzwanzig Jahren eines morgens aufwachen und erfahren, daß die österreichische Geldeinheit nur mehr den vierzehn-tausendvierhundercsten Teil ihres Sollwertes besitzt. Dann wird das neue Gesetz zum Schutze der Währung seinen Zweck erreicht und ein großes Unglück abgewendet haben. Die Wirkungen von Gesetzen, betreffend die öffentlichen Zahlungsmittel, erfassen zufolge ihrer Natur die ganze Breite aller Volksschichten, arm und reich — und wo sie verallgemeinern, vermögen sie den kleinen Mann härter zu treffen als den Besitzenden. Man kann sagen: Nirgends ist soziale Vorsicht notwendiger als in einschneidenden währungspolitischen Operationen.

Papiergeld in der Höhe^ von acht bis zehn Milliarden, ein Berg, angehäuft aus Kriegswirtschaft und Nachkriegsumständen, soll durch das Währungsschutzgesetz abgetragen werden. Begreiflich, daß mit Ausnahmebestimmungen, die den Erfolg des Gesetzes in Frage stellen können, gespart werden muß. Aber diejenigen, die gemacht werden, dürfen nicht mechanisch begrenzt werden, soilen nicht Ungerechtigkeiten entstehen. Das Gesetz hat aber Vorsorge getroffen, daß Personen, die nach der Definition des Schillinggesetzes „kein anderes, zum Lebensunterhalt ausreichendes Einkommen besitzen und infolge Alters, Invalidität, Krankheit oder Haushaltsverpflichtungen nicht befähigt sind, ein solches Einkommen zu erwerben“, aus ihren Sperrkonten 2500 und, wenn sie für einen Haushalt von mehr als zwei Personen zu sorgen haben, 3500 Schilling freigemacht werden können. Aber nur „binnen zwei Monaten nach Wirksamkeit dieses Bundesgesetzes“. Hier bekommt die Logik einen Riß. Die Bestimmung will bedeuten, daß alle die Hausgehilfinnen, kleinen Handwerker, Arbeiter und kleinen Beamten, deren harterworbene Ersparnisse aus ihrem Arbeitsleben in Sperrkonten eingefroren sind, wenn für sie nur einen Tag später als zwei Monate der schmerzliche Fall eintritt, keinen ausreichenden Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu besitzen, auf die Wohltat des Gesetzes, die wenigstens teilweise Rückerstattung rechtmäßig erworbenen Eigentums, nicht Anspruch haben. Unglücklicher Sperrkontenbesitzer, der du erst 62 Tage nach Inkrafttreten des Gesetzes und nicht schon zwei Tage früher zu hungern anfingst, von längeren Verspätungen nicht zu reden — du bist wegen dieses Versäumnisses zum Weiterhungern verurteilt. Du erhältst zur Strafe aus deinem Sperrkonto keinen Groschen!

Eine solche unterschiedliche Behandlung bei derselben Voraussetzung ist um so auffallender, als das Versprechen des Gesetzes eine sofortige Rückgabeleistung de« Staates aus dem gesperrten Sparvermögen an alle innerhalb zweier Monate sich meldenden Berechtigten begründet, während die Abgeltung von unter gleichen Voraussetzungen später sich meldenden Ansprüchen sich auf einen größeren Zeitraum verteilen' würde, ohne die erzweckte augenblickliche Entlastung von der Papierschuld zu blockieren.

Eine Lücke des Gesetzes in der Behandlung der von privater Hand geschaffenen Sozialinstiute, Wohlfahrtseinrichtungen und karitativen Werke wird, wie zu besorgen ist, weit über den unmittelbaren Bereich des neuen Gesetzes hinaus Folgen haben. Die Sozialpolitik aller Arbeiterfreunde und Arbeiterorganisationen ist darauf gerichtet, das Verständnis der Öffentlichkeit für die sozialen Verpflichtungen des Besitzenden zu erziehen und klarzumachen, daß zur Herstellung des sozialen Friedens Kapital und Unternehmertum aus freiwilliger Leistung mitzuwirken haben. In der Tat sind in vielen Betrieben Wohlfahrtseinrichtungen entstanden, die, aus den Gewinnen der Unternehmungen gespeist und unter Mitwirkung der Arbeiter- und Angestelltenschaft verwaltet, heute eine wichtige Ergänzung der staatlichen Sozialversicherung auf dem Gebiete der Kranken-, Invaliden-, Wöchnerinnen-, Alters- und Sterbefürsorge darstellen. Diesen statutarisch geordneten Kassen wohnt eine tiefe Bedeutung inne: sie stellen die Anfänge einer Beteiligung des Arbeiters an dem Ertrag seiner Arbeit dar, den ersten sichtbaren Durchbruch durch das kapitalistische System. Ihre Leistungen sind nicht selten höher als die der staatlichen Institute. Nun kommen diese Wohlfahrtswerke mit häufig bedeutenden Fonds unter das Fallbeil der Sperrkontenbeschlagnahmen und der Drittelung ihrer Bargelder. Vielleicht sind einzelne Betriebe — bei der gegenwärtigen Wirtschaftslage sicherlich nicht alle — imstande, den bisherigen von ihren Wohlfahrtskassen geleisteten Aufwand aus der laufenden Gebarung der Unternehmungen zu decken. Doch was wird dort geschehen, wo die zusammengebrochenen Fondsbestände die bisherigen Sozialleisrungen nicht mehr aufbringen können? Das Gesetz verkürzt die Guthaben der staatlichen Soaialversicherungsinstitute nur um ein Viertel. Es besteht kein überzeugender Grund, warum die sozialen Betriebskassen schlechter behandelt werden. — Das harte Schicksal der Generalisierung erreicht auch die Reserven der privaten Liebestätigkeit, die in den Notständen der, Gegenwart eine Mission vollbringt, für deren Erfüllung der bürokratische Apparat des Staates und der Großgemeinden ungeeignet ist. Es erreicht dieses Schicksal aber auch olle die Fonde für den Wiederaufbau zerstörten österreichischen Kulturgutes, die das österreichische Volk in einer Zeit des Darbens und der Sorgen opferwillig zusammengetragen hat. Auch der alte Steffel muß an die Lücken des Währungsschutzgesetzes glauben.

Nie ist die private Initiative in sozialer und karitativer Hilfeleistung unentbehrlicher und der Staat aus alleiniger eigener Kraft den Anforderungen einer unbarmherzigen Gegenwart weniger gewachsen gewesen als heute; der Appell an das soziale Gewissen, an den Gemeinsinn und an die Samariterpflicht eines jeden, der helfen kann, muß lauter und eindringlicher als jemals erschallen. Wenn es aber so ist, dann sollte nicht der Eindruck erweckt werden, daß Einrichtungen, die solchem Appell entspringen, keine Schonung seitens der öffentlichen Hand zu erwarten haben. Die außerordentlich komplizierten Verflechtungen des Währungsschutzproblems liegen für alle Einsichtigen deutlich erkennbar. Aber wenigstens einen ernsten Versuch, die Gleichmäßigkeit in der Behandlung verwandter Lebensbereiche herzustellen, hätte man gerne wahrgenommen.

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