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Bücher für einen unruhigen Sommer

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FUTUROLOGIE UND ZUKUNFTSPLANUNG. Von Rainer Waterkamp. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1970. 178 Seiten. Preis: 15.80 DM.

Der Autor, 1935 geboren, hat den akademischen Grad eines Diplom-Politologen, und nach jeweils kurzer Tätigkeit bei der Zentralstelle für gesamtdeutsche Hochschulfragen, beim Presseamt der Stadt Kiel, als Redakteur der staatlichen Pressestelle des Hamburger Senats, als Hochschulassistent in Berlin sowie als Studienleiter des dortigen Europahauses jene Erfahrungen auf dem Gebiet der Politologie, des Hochschulwesens, der Journalistik und des Politischen gesammelt, die für diesen Typ derer, die man zur Erfolgsgeneration von heute rechnet, kennzeichnend sind. Er ist jetzt im IBM-Büro in Bonn tätig. Der mit Statistiken und Diagrammen gut ausgestattete Sachteil der vorliegenden Untersuchung nimmt die Bevölkerungsentwicklung als Planungsgrundlage, wiegt sodann die Bedarfsschätzungen angesichts aktueller Gemeinschaftsaufgaben (moderner Städtebau, Wohnungsbau, soziale Lasten, Schutz vor Lärm, Luft- und Wasserverschmutzung usw.) ab und widmet ein Drittel des Textes der Infrastrukturplanung und der Raumordnung. Bei der gleichzeitig in der BRD und in Österreich in Gang kommenden neuen Schulreform ist das Finale des Ganzen, die Bil-dungsforscbung und die Bildungsplanung, nicht nur für Interessenten der Schulreform lesenswert, sondern für alle, die sich um die Ausgewogenheit von Industriesystem und BUdungssysitem bemühen. Mit den grundsätzlichen einleitenden Bemerkungen stellt sich der Autor puncto Zukunftsforschung und Ent-scheidungsplanung mitten in den Horizont der Betrachtung einer heutigen „Wissenschaft von der Zukunft“. Da er noch nicht der Gemeinschaft eines akademischen Lehrkörpers angehört, weiß er offenbar nicht, wie schrecklich bedrohlich der Aspekt ist, den er an jener Stelle aufzeigt, wo er amerikanische Schätzungen zitiert, denen zufolge im Verlaufe der nächsten 100 Jahre schließlich 20 Prozent der Bevölkerung direkt oder indirekt mit „wissenschaftlichen Arbeiten“ beschäftigt sein werden. Um so bemerkenswerter ist die Tatsache, daß der Autor sowohl das technokratische Modell mit dem diesem Modell innewohnenden „technologischen Sachzwang“ ablehnt als auch das veraltete Modell der strikten Trennung der Funktion des Sachverständigen von denen des Politikers. Indem der Autor ein „pragmatisches Modell“ herausstellt, reflektiert er auf ein kritisches Wechselverhältnis von Wissenschaftlern und Politikern. An diesem Punkt der Erörterung rastet diese in einen der wichtigsten Vorgänge unserer Gegenwartsentscheidungen ein.

DER UNSICHTBARE URSPRUNG, von Jean G e b s e r, Walter-Verlag, Ölten und Freiburg i. Br. 1970, 124 Seiten, Preis 11.50 sFr.

Jean Gebser ist Honorarprofessor für Vergleichende Kulturlehre an der Universität Salzburg. Er reflektiert einleitend auf die Tatsache, daß es heute verpönt ist, bei der Betrachtung des Offensichtlichen auch das zu berichten, was „hinter den Dingen liegt“. Darnach stellt sich der Autor mit großem Mut gegen jene Versuche, der Zukunft nachzulaufen, die letzthin eine Flucht sind, nämlich eine Flucht aus der Gegenwart. Auf diese Gegenwart reflektiert der Autor, weil in ihr außer aller Vergangenheit alles Zukünftige enthalten ist. In diesem Zusammenhang entwickelte er sodann in umfassender Schau die Evolution als Nachvollzug und kontriert den visionären Futurismus mit den Worten T. S. Eliots: „Die Dinge, die geschehen werden, sind schon geschehen.“ Es ist die Ausgewogenheit der Argumentation, die das Geschenk des Autors an den Leser ausmacht. Angesichts der provisorischen Daseinshaltung vieler moderner Menschen, die sozusagen auf gepackten Koffern lebend auf die Zukunft lauern und ihr kostbarstes Gut, nämlich die in der Gegenwart zu erlebende Zeit vertun, tröstet der Autor mit der ganzen Weisheit europäischer Kultur. Wir sind ihm dankbar für das Zitat jenes Satzes, wonach die Zeit eine Erfindung ist, um zu verhindern, daß alles auf einmal geschieht; und wir bedauern es nur, daß es Jean Gebser nicht gelungen ist, den Namen dieses weisen Zeitgenossen zu eruieren. Wer sich zwischen Futuristen und Romantikern besinnen und zurecht finden will, nehme dieses Buch in diesem unruhigen Sommer 1970 zur Hand.

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