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Halbzeit in Vorarlberg

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Landtagspräsident Dr. Tizian konnte kürzlich feststellen, daß der „junge" Landtag in die Halbzeit seiner Tätigkeit eingetreten ist. Damit ist bereits ein Rückblick über das Wirken der „neuen“ Landesregierung unter dem „jungen“ Landeshauptmann Dr. Keßler gestattet, wobei die Beobachter zu vergessen belieben, daß Herbert Keßler im Jahre 1964 nur unbedeutend weniger Lebensmonate zählte als Ulrich Ilg im Jahre 1945, als er unter wesentlich schwierigeren Verhältnissen auf die Kommandobrücke trat.

Rein optisch hat die Wählerschaft der in der Regierung und im Landtag herrschenden Partei ein glänzendes Vertrauensvotum erteilt. Bei der Landtagswahl war die ÖVP auf 53,46 Prozent der Wähler gesunken, 16 Monate später gaben ihr 61,80 Prozent der Wähler das Vertrauen. Der Aufstieg von der Landtags- über die Gemeinde- zur Nationalratswahl ist in der Landesgeschichte fast ohne Beispiel. Es waren nicht nur die Regierungsmänner und Landtagsabgeordneten an dem Erfolg beteiligt. Gemeindevorstehungen und Parteiortsgruppen haben sich in rasantem Tempo verjüngt. Später als in anderen Ländern kam die Frauenbewegung in Schwung. Vor allem entwickelt die Jugendbewegung der Partei einen anerkennenswerten Elan. Regierungsmitglieder stellen sich in Diskussionen der Jugend und lassen gelegentlich peinliche Fragen über sich ergehen, ohne sich auf ihr reifes Alter berufen zu dürfen. Mag sein, daß das politische Leben in Vorarlberg vordem ruhiger war. Dafür hat die Volkspartei die Gewähr eingetauscht, auch nach dem Abtreten der älteren Generation von der Schaubühne des Lebens einen sicheren Wählerstock zu besitzen.

Die Führung im Landtag ist stark auf den AAB sowie auf die dynamischen Elemente des Wirtschafts-

bundes, auf Interessenten der Industrie und des Fremdenverkehrs, übergegangen. Damit wurde der Umstrukturierung im sozialen Gefüge des Landes Rechnung getragen. Die Bauernschaft stellt nur noch zehn Prozent der Bevölkerung; man mag diese Erscheinung bedauern, muß sie aber zur Kenntnis nehmen. In den Städten und größeren Gemeinden muß der Zuzug von außen her auch auf dem politischen Sektor in Rechnung gestellt werden. Die Zeit dominierender Geschlechter ist vorbei.

Das neue Dorf

Während die Städte einigermaßen ihr Gesicht bewahren, sind manche Dörfer Vorarlbergs für einen Besucher, der sie vor zehn Jahren das letztemal gesehen hätte, nicht mehr zu erkennen. Zunächst fällt eine prachtvolle Schule auf, ausgestattet mit Vortragssaal und Turnhalle, um die manche Großstadt das Dorf beneiden möchte. Das alte Ortsbild ist verschwunden. Die Ansässigen fahren zur Arbeit in die Industriestädte und manche Städter haben sich, um der Wohnungsnot Herr zu werden, im Dorfe angesiedelt; beide Bevölkerungsschichten bedienen sich des eigenen Kraftwagens. Liegt ein Dorf im Einzugsgebiet einer größeren Stadt oder eines industriellen Zentrums, so steht die Gemeindeverwaltung vor den allergrößten Aufgaben; Wohnungsbau, Schulbau, Straßenbau, Wasserleitung und Kanal. Und mm tritt eine schwere finanzielle Sorge auf. Die Ertragsanteile nach dem Finanzausgleich richten sich nach den Ergebnissen der letzten Volkszählung, Volkszählungen gibt’s aber nur alle zehn Jahre und gegen ’Ende dieser Periode ist die Gemeinde um 50 oder mehr Prozent gewachsen. Die Pflichten sind gestiegen, die Steuereingänge aber nicht. Hier gibt es gerade in Vorarlberg Extremfälle, die nach Abhilfe schreien.

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