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Humanität — substanzloser Titeltrick

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Wir können sagen, daß Geschäftsethik eine Selbst-berühmung moderner Körperschaften ist - deshalb, weil die Körperschaftsfunktionäre für sie das Vermögen der Aktionäre opfern.” Oder: „Wenn Menschen von Eigen nutz getrieben wären, würde die ganze menschliche Rasse zusammenarbeiten, es gäbe keine Kriege, Armeen, Bomben mehr. Selbstsucht ist als erleuchteter Eigennutz zu verstehen. Vieles, das als Idealismus auftritt, ist fehlgeleiteter Haß oder Machtliebe. Wenn Moralregeln perverse Wirkungen erzielen bei hohen Werten, können sie nicht auch verderblich sein im gewöhnlichen Wirtschafts- und Geschäftsleben?” Oder: „Meine Meinung ist, daß in Fragen wie Kaufen und Verkaufen oder Entscheiden, was und wie produziert wird, wir den anderen mehr Gutes tun, wenn wir uns verhalten, als ob wir unseren Eigennutzen verfolgen ...” Und: „Das humane Gesicht des Kapitalismus zeigt sich in der Art und Weise, wie der Gewinn maximiert wird, und das heißt nichts anderes, als daß gewisse Regeln eingehalten werden. Zudem kSnn ein Unternehmer, der sich als Altruist versteht, einen Teil seines Gewinnes für wohltätige Zwecke verwenden.”

Letzteres (die anderen Zitate sind aus seinem Ruch) sprach zu fortgeschrittener Stunde der legendäre Fi-nancial-Times-Journalist Sir Samuel Brittan und beantwortete vor prasselndem Kaminfeuer die längst fällig gewordene Frage eines Kongreßteilnehmers, worin den nun das humane Element in seinem Buch „Capitalism with a human face” (Kapitalismus mit menschlichem Antlitz) läge, mit breit lachender Offenheit: „Dieser Buchtitel war nur eine Idee des Verlegers ...”

Damit war der Höhepunkt jener Auseinandersetzung erreicht, die kürzlich viele Vorträge und Zwischendebatten der „Churburger Wirtschaftsgespräche” kennzeichneten: Unternehmensführung und -kultur nach Maßgabe von Sharehol-der oder Stakeholder value, also Vorteil der Aktienbesitzer allein oder aller am Wirtschaftsgeschehen Mitwirkenden.

Johannes J. Trapp ist es zu danken, daß er es zum zwölften Mal bereits un -ternommen hat, auf seiner Churburg in Südtirol zahlreiche scharf kontu-rierte Vortragende und hochinteressierte Zuhörer mit äußerst erhellendem Ergebnis zueinander zu führen. Durch seine Wahl des Themas: „Globalisierung und Unternehmenskultur” hat Trapp implizit auch inhaltlich Position bezogen.

Während der Innsbrucker Unternehmensführungstheoretiker Hans H. Hinterhuber den „Unternehmungswert im Schaffen von Wohlstand für alle Stakeholder steigern” will, lehnt der Emeritus für Wirtschaftstheorie und -politik, Karl So-cher, alle moralisierenden Ökonomieansätze strikt ab: Ausschließlich die Gesetzeslage begrenze das sonst bedingungslos maximierende Gewinnstreben des Betriebseigentümers. Steuer- und Umweltrecht seien nach Grenznutzenprinzip zu beachten, das heißt, nur insoweit, als sonst Strafen drohen. Dies deckt sich voll mit den Kapitalismusideologien Brittans, der die Gewinnmaximierung so begründet: „Kein Unternehmer hilft irgendjemand, indem er einen niedrigen Umsatz macht. Laut Adam Smith sei es für die Gemeinschaft besser, wenn jeder die eigenen Interessen verfolgt. - Sogar die Löhne sollen sich nach Angebot und Nachfrage bestimmen, nicht gewerkschaftlich! Die Differenz zwischen so effektiv gezahltem Lohn und einem Durchschittseinkommen könnte ja der Staat dazuzahlen - das wäre das humane Gesicht, alles andere ist sinnloses Geschwätz.”

Professor Hinterhuber bekam von Sir Brittan auf seine Frage nach Stakeholder value zur Antwort: „fas-hionable nonsense”, also „modischer Unsinn”.

Dem setzte der Unternehmensführungsexperte die auch betriebswirtschaftliche Stagnation mit rein kapitalistisch-technokratischen Ansätzen gegenüber, weil mit diesen allein der Betrieb und seine Mitarbeiter nicht zu jenen Sonderleistungen für den Markt zu motivieren sind, die nachhaltig allgemeinen Nutzen stiften. Eine weitere Ethikverteidigung lautete: Im vollen Verständnis für kalkulatorischen Operationalitätsbedarf der Ökonomie müsse die „Kostenrechnung”, also die Bewertungskonvention, ganz neue Bereiche des (auch Human-)Kapitalverzehrs erfassen, um in den täglichen Rechenroutinen der Wirtschaft zuträgliche Rentabilitätsentscheidungen zu erzwingen. Zum Beispiel die „Gewinne” der Vergnügungsparks und der Zerstreuungsindustrie errechnen sich unter Vernachlässigung der Kosten für Landschafts- und Kulturraumzerstörung, korrigierbar etwa durch versicherungsmathematisch objektivierte Prämien-Abschöpfungen, branchenbewertende Steuerbestimmungen bis zu prohibitiven Pönalien nach demokratisch erarbeitetem Wertekodex.

Der Zürcher Zukunftsdenker Wolfgang Somary fand für den neuen Unternehmer folgende Qualifizierung: „Er liefert bisher vorenthaltene Auskünfte. Er wird ermöglichen, nicht vereinnahmen(!). Er schafft Werte außerhalb vom Markt, denn dessen Kriterien sind nicht exklusiv! zum Beispiel erfolgreiche Städtesanierungen in Pittsburgh und Dallas hatten außerökonomische Motive, nämlich den unternehmerisch organisierten kulturellen Willen, nicht etwa Grundstückspekulationen. Bürger leisteten monatlich einen Tag Arbeit. Oder: der große internationale Militäreinsatz bei den Überschwemmungskatastrophen Europas im Sommer 1997. Wir werden mit unserem Pessimismus so unrecht haben, wie die Optimisten am Anfang des Jahrhunderts.”

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