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Richtige Entwicklungshilfe

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Ich habe am Beginn meiner Ausführungen bereits von der Weltverantwortung und von der Solidarität gesprochen, die im Zeichen einer weltweit konzipierten kulturellen Zusammenarbeit alle Staaten umfaßt. In diesem Zusammenhang muß auch das Problem der Entwicklungshilfe insbesondere auf dem Gebiete der Erziehung, im weiteren Sinn bei der kulturellen Zusammenarbeit mit den unterentwickelten Staaten überhaupt, erwähnt werden. Für die Bewohner hochentwickelter Staaten, für die es selbstverständlich ist, daß jedes Kind eine Schule besucht, für die es selbstverständlich ist, daß es keinen erwachsenen Mensch gibt, der, sofeme er gesund ist, nicht lesen und nicht schreiben kann, reduziert sich zu leicht das Problem der Entwicklungshilfe auf eine Angelegenheit karitativen Charakters. Man hat, so scheint es, einem der großen zivilisatorischen Probleme der Zeit gegenüberzustehen. Wir haben noch nicht erfaßt, daß in 20 oder 30 Jahren angesichts der demographischen Explosion in den unterentwickelten Ländern und angesichts der Tatsache des Unvermögens dieser Länder, aus eigenem mit dem Erziehungs- und Bildungsproblem fertig zu werden, die hoch- entwickelten Länder aus eigenem Interesse zur Hilfeleistung in die Bresche springen müssen. Die Ursachen und die Quellen internationaler Spannung werden in den Gegensätzen zwischen der hochindustrialisierten Welt, die nur etwa 30 Prozent der dann lebenden Menschen umfassen wird, und der unterentwickelten, in denen die restlichen 70 Prozent vereint sein werden, liegen. Wenn die internationale Staatengemeinschaft nichts oder zu wenig tut, um den wirtschaftlichen Gegensatz zwischen armen und reichen Staaten zu überwinden, wird es bedrohliche internationale Situationen in der Welt von morgen geben.

Am 10. Dezember 1948 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen die universelle Erklärung der Menschenrechte beschlossen.

Hier handelt es sich nicht bloß um eine feierliche Prinzipienerklärung. Diese Deklaration enthält Sätze sehr konkreten Inhaltes, etwa wenn es heißt: „Jedermann hat ein Recht auf Erziehung.“ Was bedeutet es, zu erklären, daß jedermann ein Recht auf Erziehung hat, wenn wir gleichzeitig feststellen müssen, daß mehr als 50 Prozent der Menschen, die heute leben, Analphabeten sind. Daß es etwa 700 Millionen Erwachsene gibt, Zeitgenossen von uns, die nicht lesen und nicht schreiben können. Was bedeutet dies, wenn wir gleichzeitig feststellen müssen, daß hunderte Millionen von Kindern und Jugendlichen in diesem Augenblick heranwachsen ohne Schule, ohne Bildung.

In der erwähnten Menschenrechtserklärung heißt es, daß „jedermann das Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben der Gemeinschaft hat“, wenn wir wissen, daß es etwa in 15 afrikanischen Staaten, die im Zuge der Dekolonisation unabhängig geworden sind, keine einzige Bibliothek gibt, um nur ein Beispiel zu nennen.

Was hat es zu bedeuten, wenn die erwähnte Deklaration verlangt, daß der „technische und berufsbildende Unterricht allgemein zu sein hat, der Zugang zu den höheren Studien in voller Gleichheit allen, jedem gemäß seiner Begabung offen stehen muß“, wenn wir wissen, daß der Durchschnitt der hochindustrialisierten Staaten etwa 2,5 Prozent ihres Nationaleinkommens der Wissenschaft und Forschung widmen können, während es in unserer Welt von heute mindestens 40 Nationen gibt, die in den letzten Jahren unabhängig wurden und nicht mehr als 0,25 Prozent ihres Nationaleinkommens, in vielen Fällen weniger, diesen Zwecken widmen können.

Wenn wir nun einmal der Überzeugung sind, daß es in der Welt von heute eine kulturelle Interdependenz gibt, dann können wir an diesen Problemen nicht Vorbeigehen. Aber ähnlich wie auf dem Gebiete der Wirtschaft die Entwicklungshilfe nicht als eine Hilfe zur bloßen Kon-

sumation zu konzipieren ist, sondern als eine Starthilfe für eine eigenständige Selbstentwicklung dieser Länder, aus dem gleichen Grunde soll auch die kulturelle Entwicklungshilfe eine Hilfe darstellen, die die Grundlage für eine weitere kulturelle Selbstentwicklung und Selbstentfaltung dieser Länder zu bilden vermag. Ein wesentlicher Aspekt dieser kulturellen Hilfe liegt in der Rücksichtnahme auf die Empfindlichkeit der unterentwickelten Länder. Es ist eine Hilfe, die zwischen Gleichen gegeben wird. Es ist hier nicht absolute Gleichheit zu verstehen, denn diese existiert offensichtlich nicht. Hier handelt es sich vielmehr um souveräne und moralische Gleichheit zwischen ansonst noch Ungleichen.

Weltweite Schicksalsverflechtung

Ob wir nun die kulturellen Beziehungen zwischen den Völkern auf den soeben besprochenen multilateralen oder auch auf dem bilateralen Sektor, von dem schon früher die Rede war, betrachten, eines können wir feststellen: die kulturelle Ver flechtung auf allen Gebieten hat eine bisher nie dagewesene Dichte erreicht und Möglichkeiten des Kontaktes und des Austausches von Ideen auf dem Gebiete der Erziehung, der Wissenschaft und der Kunst eröffnet wie nie zuvor.

Die nodernen Massenkommunikationsmittel ermöglichen es, die kulturellen Leistungen einer Nation, eines Volkes in aller Welt präsent zu machen. Und so stehen wir auch im kulturellen Leben mitten in einem Prozeß, den wir als Interdependenz bezeichnet haben: Ausdruck einer unendlich kleingewordenen Welt, Ausdruck dafür, daß auch in den kulturellen Beziehungen jeder von jedem abhängig ist. Es gibt eine politische Schicksalsverflechtung der Welt, von der angesichts der atomaren Zerstörungskraft ihr Bestand abhängt. Es gibt eine kulturelle Schicksalsverflechtung der Welt, von der ihr zivilisatorischer Fortschritt abhängig sein wird. Österreich kann sich weder in der einen noch in der anderen Richtung dieser Schicksalsgemeinschaft entziehen: Wir alle tragen Weltverantwortung.

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