6635709-1957_13_13.jpg
Digital In Arbeit

Die Kreuzzüge ~ Irrtum oder Tragödie?

Werbung
Werbung
Werbung

Die „Geschichte der Kreuzzüge” des bekannten Historikers Adolf Waas ist der repräsentative deutsch-konservative Ansatz zur internationalen Diskussion über Wesen, Sinn, Ursprung und weltgeschichtliche Folgen der Kreuzzüge. Diese bedeutende, sorgfältig gearbeitete Studie (52 Seiten Bibliographie und Quellenverzeichnis) schildert in ihrem ersten Bande die Entstehung der Kreuzzüge, ihre äußere Geschichte, die „Abwandlung ihrer Gestalt” und die Begegnung der Kreuzfahrer mit den Muslimen, im zweiten Bande die Geschichte der Ritterorden (Templer, Johanniter, Deutschherrenorden, spanische Ritterorden), die Staaten und Kulturen der Kreuzfahrer im Heiligen Lande und, in zwei Schlußkapiteln, die Gründe des Mißerfolges der Kreuzzüge und deren weltgeschichtliche Folgen.

Da zwischen der westeuropäischen und amerikanischen Forschung einerseits und der deutschen Schau der Kreuzzüge anderseits diametrale Gegensätze bestehen, seien hier kurz zunächst die Leistung und Begrenzung dieser für die deutsche Schau charakteristischen Arbeit vorgestellt. — Ihr Hauptgewicht liegt zunächst einmal in der Aufzeichnung des spezifischen religiösen Schwergewichts der Kreuzzüge als eines abendländischen Phänomens. Es ist eine echte und tiefe Religiosität, die da um größte Einsätze kämpft. Die Feudalisierung und „Germani- sierung” (Haller) des europäischen Christentums hat einen kämpferischen Schwertglauben geschaffen, der imstande war, durch zwei Jahrhunderte hindurch bedeutende Persönlichkeiten und ansehnliche Massen so zu begeistern, daß sie „Gut, Blut und Leben” für ihn gaben. Waas zeigt die eigentümliche Größe dieses ritterlichen Glaubens an vielen Beispielen auf. Um sechs Punkte kreisen die Gedanken der Kreuzfahrer (I. Band, S. 9 ff.): Christus ist Führer; Gottes Gerechtigkeit ist die Garantie des Sieges; wie die Juden des Alten Testaments sind die Kreuzfahrer auserwähltes Volk; sie haben die Aufgabe, für Christus Sein Erbe zu erobern; sie erhalten dafür den versprochenen ewigen Lohn; Christi Engel und Heiligen sind Mitstreiter. — Einen mächtigen Antrieb erhalten die verschiedenen Bewegungen, die im frühen Mittelalter die Epoche der Kreuzzüge vorbereiten (wobei Waas die direkte Bedeutung der Cluniazenser nicht überschätzt sehen wiil), durch das direkte Engagement der Päpste im Kriege: ein deutscher Grafensohn (von Egisheim), Papst Leo IX. (1049 bis 1054), kriegsgewohnt von Haus aus, ist der erste Papst, der selbst Kriege im Namen der Kirche führte (I. Band. S. 53 ff., 59 ff.). Als der Kriegseifer der frühen Kreuzzugsbewegung erlahmt, als die einigermaßen spontanen, individuell-schwärmerischen Aktionen, inspiriert oder geführt von religiösen Persönlichkeiten, wie Peter von Amiens und Bernhard von Clairvaux, von Königen und Fürsten der westeuropäischen Christenheit, scheitern, übernimmt das Papsttum selbst direkt die Leitung der Kreuzzüge, die nun, im 13. Jahrhundert, ihren Charakter wandeln (I. Band, S. 216 ff.). Mit Innozenz III. schafft die Kurie eine „Großorganisation”, die planmäßig Werbung, Leitung, Durchführung organisiert. „Das Geld spielt nun bei den Kreuzzügen eine immer größere Rolle.” Immer mehr treten Soldritter an die Stelle von Freiwilligen. Das immer größer werdende finanzielle Unternehmen der Kreuzzüge findet im Engagement italienischer Seestädte und anderer Mittelmeerstaaten, die da ihre politischen und territorialen Interessen vertreten, einen der päpstlichen Politik korrespondierenden und nicht selten auch konträren Ausdruck. Zugleich findet „eine soziale Verlagerung” statt: niedere Volksschichten beteiligen sich neben und an Stelle des westeuropäischen Hochadels, der die ersten Kreuzzüge getragen hat.

Waas legt den Hauptakzent auf die religiöse und religiös-politische Bedeutung der Kreuzzüge als eines einzigartigen Phänomens abendländischer Geistigkeit und mittelalterlicher Gläubigkeit. Das heißt nicht, daß er die Fragwürdigkeit dieses Phänomens übersieht. Er schildert den Blutrausch der Kreuzfahrer bei der Eroberung Jerusalems im 1. Kreuzzug (I. Band, S. 24 und 153), ihr Niedermetzeln von Frauen, Kindern und Greisen, das bei den Muslimen ein Entsetzen ausgelöst hat, das kaum mehr überbrückt werden konnte. Er schildert den Gefangenenmord beim 3. Kreuzzug (Band I, S. 208 f.), bei dem die Kreuzfahrer 2000 bis 3000 Kriegsgefangene niedermetzelten, die Eingeweide der Leichen nach verborgenem Gold, und noch die Asche untersuchten. Das „war nicht nur eine Greueltat und ein Verbrechen, sondern auch ein außerordentlich großer politischer Fehler. Denn die Abendländer blieben nun in den Augen der Muslime mit diesem Massenmord belastet”. Erst das Grauen vor den mordenden Kreuzfahrern hat im Orient die lange Zeit bereits eingeschlummerte Ideologie des Dschihad, des „heiligen Krieges”, des Islams zu neuem Leben erweckt (II. Band, S. 263 ff.). Da nur der 1. Kreuzzug mit einem Erfolg endete, alle anderen Kreuzzüge aber fehlschlugen, wobei der Mißerfolg des 3. Kreuzzuges (I. Band, S. 180 ff.), der doch im Zeichen des heiligen Bernhard von Clairvaux stand, besonders stark nachwirkte (500.000 Opfer dieses 3. Kreuzzuges werden geschätzt; I. Band, S. 216), da später ein reicher Mißbrauch der Kreuzzugssteuer Anlaß zu vielen Klagen gab, waren bereits die unmittelbaren negativen Folgen der Kreuzzüge beträchtlich genug. Die Plünderung Konstantinopels 1204 durch die Kreuzfahrer „war eine der größten Vernichtungen von Kunstwerken, die das Mittelalter kennt”. „Damals und nicht erst unter den Türken wurde das meiste zerstört” (I. Band, S. 248). Waas streift kurz das „schauerliche Bild” (I. Band, S. 256) der Kinderkreuzzüge; an die 20.000 Kinder unter Füh rung des Kölner Knaben Nikolaus und an die 30.000 (?) Mädchen und Knaben unter Führung des kleinen Franzosen Stephan zogen da 1212 ins Verderben. Bei diesen Unternehmungen enden die Kinder als Sklaven im Orient, soweit sie nicht unterwegs ums Leben kamen. „Die Mädchen waren unterwegs alle mißbraucht worden”: das gilt für die kleinen Reste der Heimkehrenden, die nicht in italienischen Bordellen landeten. — Waas behandelt auch kurz den Kreuzzug gegen die Albigenser und spart, leider, eine der wichtigsten und folgenschwersten Erscheinungen der Kreuzzugswelt aus: die Konvertierung des Kreuzzuges ins Heilige Land in innere Kreuzzüge, unternommen von Königen und hochfreien Herren zur Eroberung und Pazifizierung inner- europäischer und innerchristlicher Territorien. Als Krieg gegen die Ketzer und Heiden, gegen innere Rebellen, als Krieg von Päpsten gegen das „Adlergeschlecht” der Staufer, hat ja der Kreuzzug eine erstaunlich rasche Variationsbreite erlangt. Für viele Theologen und kuriale Politiker des 13. Jahrhunderts steht dieser innere Kreuzzug weit über dem äußeren Kreuzzug ins Heilige Land.

Umsichtig schildert Waas das Zusammenleben der „Franken” und der Muslims in den Kreuzfahrer- Staaten (II. Band, S. 241 ff.) und gibt eine sehr objektive Schilderung des Zerfalles des Rittertums (II. Band, S. 283 ff.), des inneren Zusammenbruchs des Papsttums, das sich sichtlich überanstrengt hat (II. Band, S. 297 ff.), der zunehmenden Säkularisierung, der Ausbreitung von Unglauben, Atheismus, Spott und Skepsis infolge des Scheitems der Kreuzzüge und der ihnen angeschlossenen propagandistischen, politischen und finanziellen Unternehmungen (II. Band, S. 300 ff.).

Nüchtern und behutsam werden da sehr schwerwiegende Risse und Erschütterungen der abendländischen Christenheit angezeigt. Ein gewisser deutscher Irrationalismus,’ der, dem Autor wohl unbewußt, seine Darstellung einfärbt, seine Grundeinstellung aber charakterisiert, sei mit seinen eigenen Worten widergespiegelt. Trotz allem gelangt Waas nämlich zum Schluß: „Das Rittertum als solches mit seiner eigenartigen Frömmigkeit hat die Kreuzzüge geschaffen. Sie mußten (Sperrung vom Rezensenten) aus der Art des abendländischen Rittertums entspringen. Sie sind seine größte und schönste Leistung, auch wenn ihnen ein dauernder Erfolg versagt blieb. Angesichts einer solchen aus der Tiefe der religiösen Lage des Abendlandes und besonders des Rittertums hervorbrechenden, von zwei Jahrhunderten getragenen geschichtlichen Bewegung hört das Fragen nach Schuld und Verantwortung eines einzelnen Menschen auf.. Dęr Pąpst, dar aufrief, war zuletzt , von dęm Glauben an das Gottesstreitertum, an den Krieg als Gottes Weg’ und an die Ritterschaft als .Gottes Heer” und an das Ziel als Gottes Forderung an die Ritterschaft des Abendlandes getragen. Die geschichtliche Bewegung wurzelte in einer Tiefe, wohin die Verantwortung des einzelnen Menschen nicht hinabreicht” (II. Band, S. 280 f.). Hier werden, unseres Erachtens, zwei Dimensionen vermischt: die Frage nach einer persönlichen Schuld im Sinn eines gerichtlichen Prozesses (hier hat vohl unbewußt die Nachkriegssituation um den Nürnberger Prozeß mit eingewirkt); diese steht ganz bei Gott, ist für den Menschen inkommensurabel wie alle Geschichte in ihrer letzten Tiefe. Das aber bedeutet nicht — und d i e Versuchung deutscher Historiker scheint uns hier geeeben zu sein —, daß ein geschichtliches Phänomen, weil es eben geschehen ist, so hat geschehen müssen und als solches vom Historiker bejaht werden muß. Mehr wird Waas im Schlußabsatz dem Gesamtphänomen der Kreuzzüge gerecht: er spricht von dem „in der Richtung der ganzen Entwicklung gelegenen Irrweg” und schließt sein bedeutendes Werk mit den Worten: „Im ganzen wird man in der Geschichte der Kreuzzüge eine mit Notwendigkeit aus dem Zusammentreffen des Christentums mit der feudalisierten Gedankenwelt des jungen abendländischen Rittertums entstehende Tragödie sehen müssen, die zunächst eine stolze Blüte, dann viel Not, Unglück und Verwirrung nach sich zog, für uns Heutige aber noch ehrwürdig ist als ein Versuch des Abendlandes, den Glauben in der Geschichte zu bewähren” (II. Band, S. 318).

Da eine wirkliche Auseinandersetzung dieser deutschen Kreuzzugsschau mit der „westlichen” bis heute noch nicht begonnen hat (gelegentliche Hinweise bei Waas, so in seiner Polemik gegen Grousset, Rousset und Runciman, können nur als erste Ansätze verstanden werden), seien hier wenigstens einige Grundfragen vorgestellt, die der Forschung des Westens heute am Herzen liegen. Die Debatte beim X. Internationalen Historikerkongreß in Rom (4. bis 11. September 1955) über die Kreuzzüge wurde leider nur von Vertretern dieser westlichen Konzeption bestritten (Comitato Internazionale di scienze storiche, X. Congresso In. di sc. St., Relazioni, vol III., Firenze 1955, p. 543 bis 652). Rousset, Villey, Lemerle, Runciman. Cahen untersuchen da die Problematik der Kreuzzüge, wie sie sich bereits bei den westeuropäischen zeitgenössischen Geschichtsschreibern, dann bei den Juristen und Kanonisten, den kurialen Ideologen des Hochmittelalters spiegelt, und legen dann die Hauptakzente auf drei Phänomene: auf die Ablehnung der Kreuzzugn- idee durch die gesamte Ostkirche (nicht nur durch Byzanzl), auf die Umbildung der Kreuzzugsidee und Kreuzzugswirklichkeit in Europa (die „Konvertierung”, wie wir sagen, zu innereuropäischen Kreuzzügen i n der Christenheit) und die schweren Zersetzungserscheinungen der europäischen Frömmigkeit und Spiritualität durch die Ueber- anstrengung der Glaubenskräfte und der Vernunft durch die Praktiken der Kreuzzugspropaganda, die Finanzpolitik und Weltpolitik der Kurie und europäischer Fürsten. — Das stärkste Moment ist dabei die Aufzeigung, wie der große Riß zwischen Ost und West, als abgründige Zerspaltung zwischen Ostkirche und Westkirche, ein direktes Ergebnis der Kreuzzüge ist. Mönche, Theologen, Intellektuelle, Kaiser, Beamte und das Volk sehen im christlichen Osten mit Entsetzen und Abscheu auf diese kriegführenden „fränkischen” Bischöfe, Ritter, Christen. Die Plünderung Konstantinopels besiegelt -eine Zerklüftung, die bis heute das folgenschwerste Ereignis und Ergebnis der Kreuzzüge ist. — Denn Rußland, das damals bereits mit der Novgoroder Chronik in der Ablehnung der Kreuzzüge voll und ganz mit Byzanz übereinstimmte, ist der Erbe jenes Entsetzens der Ostkirche vor den „räuberischen” und „aggressiven” Westeuropäern und Papisten, das damals geschaffen wurde durch Politik und Kriege des „Westens”. — Erst wenn diese und viele andere Probleme von der deutschen Forschung aufgenommen werden, wird der Wunsch in Erfüllung gehen, den Waas am Eingang seiner Arbeit ausspricht: „Die Tatsache, daß wir überall im Abendland heute die nationale Enge in der Betrachtung überwinden und überwinden müssen, wird hoffentlich auch möglich machen, ohne jene nationalen Vorurteile an die Geschichte der Kreuzzüge heranzugehen, die bisher so oft das Bild gestört haben.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung