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Die Vorfahren der Mickey Mouse

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Es war einmal eine wunderschöne Maus, die lebte in Ägypten. Sie hatte ein samtenes Fell und einen langen Schwanz. Ihre Schnurrhaare standen breit von der Schnauze ab und die Augen glänzten rund und schwarz. Ihr Ruf drang bis zum König der Mäuse vor, und der hieß Pharao ..."

Dieses Mäusemärchen ist auf einem 3200 Jahre alten ägyptischen Papyrus dargestellt. Eine rote Katze wird die kleine Maus fressen. Die anderen Mäuse bewaffnen sich. Die Katzen bekommen Prügel, viele fallen im Kampf, der Rest flüchtet in die Katzenburg und wird dort von den Mäusen gefangen. Doch die rote Katze überlebt das Gemetzel, sammelt Verstärkungen und überfällt die Mäuse aus dem Hinterhalt. Diese werden später geschlagen, senden eine Friedensabordnung mit Geschenken zur roten Katze und werden begnadigt. Aber wo immer eine Katze einer Maus begegnet, bringt sie diese um. Die Mäuse jedoch werden ein großes Volk...

Eine Szene dieses Märchens ist in der kleinen Johanneskapelle von Pürgg in einem Fresko dargestellt. Der unscheinbare kleine Bau in der Steiermark birgt einen Schatz der Weltkunst: romanische Fresken aus dem 12. Jahrhundert. Jeder kann sie besichtigen, den Schlüssel gibt es im Gasthaus nebenan. Das Werk wurde 1894 sehr schlecht restauriert, 1948 hat man die Schäden wieder beseitigt. Was man heute sieht, ist nahezu der ursprüngliche Zustand.

Wer den kleinen Abstecher von der Bundesstraße 145 zwischen Mitterndorf und Irdning nicht scheut, wird reichlich belohnt. Die malerische Ausstattung - der eingangs erwähnte „Mäusekrieg" ist nur eines der zahlreichen Motive - also der Auftrag, geht auf den Traungauer Markgrafen Ottokar III. zurück. Sein Geschlecht beherrschte von 1050 bis 1192 die wichtige Salzstraße im Ennstal.

Ottokar wurde 1155 von Kaiser Heinrich II. und Theodora, der byzantinischen Prinzessin, in Wien empfangen. Den - oder die - von ihm beschäftigten Maler kennen wir nicht. Italienisch-venezianische Einflüsse sind ebenso zu finden wie solche von Salzburg. Den dortigen Prunkstil eines Antiphonars (illustriertes Meßge-sangsbuch) finden wir in Pürgg wieder. Stifter, heilige Bischöfe, selbst Kain und Abel sind in gemusterte, juwelenbestückte, verbrämte Prachtroben gekleidet. Byzantinische Vorbilder, wie man sie auch in S. Marco in Venedig sieht, erkennt man an den Motiven der Brotvermehrung und der Geburt Christi.

Mäusekrieg und Bibel, wie paßt das zusammen? Das Mittelalter wußte in vielen Sichten und Theorien die Welt zu betrachten. Hier wurden die kleinen Nager zu Heroen gemacht. Wurde ein bekanntes byzantinisches Versdrama, die Katomyomachia des Theodoras Prodomos aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, von Prinzessin Theodora nach Mitteleuropa gebracht? Vielleicht hat dieses Motiv, in veränderter Form, dem Maler oder seinem Auftraggeber als Anregung gedient: Als Allegorie des Sieges der Schwachen über die Starken (David/Goliath) oder als Deutung der Idee des Sieges der Tugend über das Laster, wie der Kunsthistoriker Hermann Fillitz vermutet. Das Thema des Kampfes der Guten gegen das Böse um eine Burg, um die Tugendburg, findet sich in der Romanik häufig.

Im Mäusefresko von Pürgg ist ein Kampf auf Lieben und Tod entbrannt. Sieben Mäuse, mit Pfeil und Bogen, mit Schwertern und Speeren bewaffnet verteidigen die von von einem zinnenbewehrten, von sechs Türmen überragten Mauerumgang eingegrenzte Burg gegen fünf angreifende Katzen. Diese sind ebenfalls mit Pfeil und Bogen bewaffnet und kämpfen auch mit Schild und Schwert. Wie die Menschen der damaligen Zeit.

Da ist es naheliegend, einen Sprung in die Gegenwart zu wagen. Jeder kennt die Mickymaus. Sie wurde vor 70 Jahren von Walt Disney erfunden. Sie und ihre Nachfolger wie Tom und Jerry (in Schweden und Dänemark damals im Fernsehen wegen zu großer Brutalitäten(l) verboten), oder Speedy Gonzales. Mighty Mouse und andere wurden zu den großen Welterfolgen der Comics-Geschichten, weil die Kleinen, die Schwachen, Verfolgten darin zu Helden werden. In den Comics sind sie nicht mehr ängstlich wie in der ägyptischen Fabel, sondern tapfer wie die Mäusekrieger in Pürgg. Der Kampf der Unterdrückten, der Aufstand der geknechteten Massen, der Geschlechterkampf, das alles steckt in diesen Ideen.

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