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Kreuzhohl übers Meer

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Sie sind stiller als štilį diese hölzernen Damen und Herren in ihrer steifen, kreuzhohlen Haltung und derben Buntheit. Einst suchten die starren Blicke die Kimm alb, nun fixieren sie rätselhafte Punkte in fernen Höhen, wie im Bann der Beschwörung eines Klabautermannes. Manche der Gestalten haben Stummfilmgesichter, ein weißlockiger „Sea Lord“ zeigt frappante Ähnlichkeit mit dem Werner Krauß von Anno 1920, ein bärtiger Seeoffizier erinnert an Conrad Veidt im „Kabinett des Dr. Caligari“.

Galionsflguren, vor 130, 140 Jahren von naiven Schnitzern oder Schiffs- ziromerleuten in den Hafenstädten Nordeuropas geschallen. Trivialkunst, magisch und grotesk, deshalb von unserer manieristisch empfindenden Zeit wieder besonders geschätzt. Den Bug im Rücken, zogen sie über den Atlantik, an Fregatten, an Briggs und Auswandererschiffen. Bis dann eines Tages die Segler strandeten oder als veraltet abgewrackt wurden. Geblieben sind nur diese museumsreifen Schutzgeister, primitives und dennoch geheimnisvolles Bildwerk, halb Idol, halb Rummelplatz dekoration.

„Sie verkörperten die Seele des Schiffes, auf sie konzentrierte sich der Glaube und Aberglaube der Besatzung, die eine Zerstörung dieser Figuren verhinderte, ganz unabhängig davon, wie groß ihr künstlerischer Wert gewesen sein mag“, erklärte Prof. Dr. Gerhard Wietek,

Direktor des Altonaer Museums in Hamburg, einer der besten Kenner der Materie, der in langjährigen planmäßigen Suchaktionen die größte Gaiionsflgurensammlung des Kontinents aufbaute.

Eine abenteuerliche Welt der Tri- tonen, Seebären, Exoten, Biedermeiermamsellen, Krieger und Tiere. Mythologie, Allegorie, Fabel — was die Phantasie ersinnen konnte, holte das Schnitzmesser aus dem Kiefernholz. Vielfach gab der Name des Schiffes die Anregung. Etwa seit der Renaissance war es bei den seefahrenden Völkern üblich geworden, den Schiffschnabel, die „Galion“, in ein plastisches Motiv auslaufen zu lassen. Anfangs dominierten, vor allem in England, gekrönte vergoldete Löwen, sozusagen maritime Heraldik. Im Barock, als die gewaltigen Heckwände mit Fensterreihen und reicher Ornamentik den Fassadenprunk der Patrizierhäuser aufs Meer versetzten, entfaltete sich auch in den Galionsfiguren hohe Kunst festlichen Gepränges.

Bei Seglern späterer Epoche variierten die Maße je nach den Gesamtdimensionen des Fahrzeuges von etwa Lebensgröße bis zu gigantischen, drei Meter oder mehr hohen hölzernen Grazien, wie sie als Relikte der alten venezianisch-österreichischen Kriegsmarine im Heeresgeschichtlichen Museum zu sehen sind. Eine „Schwester“ solcher gewichtigen Holden ragt heute noch unter dem Bugspriet der „Cutty Sark“ in die

Brise. Dieser letzte der großen Clipper, die um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Routen zwischen England, China und Australien befuhren, blieb zum Glück vollständig erhalten und liegt nun für alle Zeiten in Greenwich vor Anker.

Wählte man beim Bau von Korvetten und Fregatten gern materialische Gestalten, wie Geharnischte, so hatten die Galionsfiguren der Kauffahrtei eher zivilen, bürgerlichen Charakter. Die Holzbildhauer im Zeichen Neptuns fanden ihre Modelle und Typen im. eigenen Lebenskreis: Frauen in der Zeitmode John Bulls, mit Sonnenhut oder Schultertuch, Matrosen, den Lackhut schief auf den Locken, die Halsbinde lässig unter den Kragen der faltigen blauen Bluse geschlungen. Verwegene Kapitäne in Zweispitz und goldbortiertem Frack erinnern bewußt oder unbewußt an die damals in Nordeuropa weitverbreiteten Bildnisse Admiral Lord Nelsons.

Mit der Entwicklung der Schiffahrt auf Binnengewässern wurde die markante Tradition der Weltmeerdreimaster übernommen und jeweils nach dem regionalen Geschmack abgewandelt. In Schloß Greinburg an der Donau findet man etwa einen großen Puttenkopf 1m Stil der ober- österreichischen Barockaltäre, er stammt von einer Traunseebarke.

Ein Kuriosum aus dem Südostraum: vor einigen Jahren kam ein bulgarischer Donaudampfer zu Besuch nach Wien. Er führt den Namen

„Radetzky“, mit der Porträtbüste des Feldherm als Galionsfigur, versteht sich. Die Gäste erklärten diese seltsame Begriffsverbindung. Während des Kampfes gegen die Türken wagten bulgarische Freischärler Anno 1876 einen tollen Handstreich, ohne Rücksicht auf mögliche internationale Verwicklungen. Als harmlose Rosenzüchter verkleidet, gingen sie an Bord des österreichischen Passagierschiffes „Radetzky“, das gerade in einem rumänischen Hafen ankerte. Höflich aber bestimmt kaperten sie das Fahrzeug und dirigierten es in ihr Operationsgebiet.

Der Dampfer selbst ging dann im weiteren natürlich den Weg aller morschen Deckplanken und rostenden Schornsteine, aber Mitte der sechziger Jahre griff die Jugendorganisation Bulgariens, die „Pioniere“, den Gedanken auf, zur Erinnerung an dieses patriotische Abenteuer der Ahnen die „Radetzky“ auf Grund von Plänen aus Wiener Archiven zumindest äußerlich originalgetreu nachzubauen. Sie starteten eine Sammelaktion und bald darauf konnte das Schiff in der Werft Ruse auf Kiel gelegt werden. So fügte es sich, daß der hölzerne Marschall gleichsam auch zum Donauadmiral avancierte, allerdings unter dem weiß-grün-roten Banner, in enger Nachbarschaft mit dem fünfzackigen Stern auf dem Radkasten. Die Geschichte schlägt zuweilen solche Kapriolen…

Als sinnvolles Grabmal für die Todesopfer eines Schiffbruchs fand eine Galionsfigur auf einem kleinen englischen Landfriedhof ihren letzten Platz. Die phantastische Geschichte vom Geheimnis der „Atlanta“ aber könnte ein Meistererzähler wie Robert Louis Stevenson erdacht haben, doch sie ist wahr, belegt und bestätigt. Am Morgen nach einer Sturmnacht des Jahres

1884 sichtete ein Schiffsjunge einer italienischen Fregatte auf der Höhe des Archipels Tristan da Ouaha, südwestlich des Kaps der Guten Hoffnung, ein im Wasser treibendes Objekt, das wie ein menschlicher Körper aussah. Geborgen und an Bond gehievt, erwies es sich als Galionsflgur in Gestalt einer wunderschönen Frau, mit dem eingeschnitzten Namen .Atlanta“. Niemand brachte je in Erfahrung, von welchem Schiff sie stammte. Noch am selben Tag kam der eigentliche Finder um. Nach der Landung in Genua übergab der Kapitän die Skulptur den Behörden, sie wurde im Marinemuseum der Stadt aufgestellt.

Während der neunziger Jahre geschah es, daß ein norwegischer Seemann dabei überrascht wurde, als er Atlanta vom Podest reißen wollte. Zur Verantwortung gezogen erklärte er, diese Galionsfigur gleiche auffallend seiner Frau, die im Meer ertrunken sei. Kurz darauf erhängte sich der Norweger auf seinem Schiff.

Die Genueser Kustoden gaben das rätselhafte Bildwerk an das Marinemuseum in Da Spezia ab. 1924 gestand ein Aufseher in sichtlicher seelischer Zerrüttung seinen Kollegen, er habe sich leidenschaftlich in die wahrhaftig aus dem Meer emporgetauchte hölzerne Venus verliebt. „Sie zieht mich an, ich weiß nicht wie, aber für mich ist sie lebendig, wie jede andere Frau!“ Eines Tages stürzte sich der Unglückliche in ein Trockendock.

Zwanzig Jahre später: ein schier unglaubliches gespenstisches Noc- tumo. Im Herbst 1944 raubte ein junger deutscher Offizier die Figur und versteckte sie in seinem Hotelzimmer. Offenbar verbrachte er die ganze Nacht in ihren Anblick versunken, von Wahnsinn bedrängt. Am nächsten Morgen fand man ihn erschossen, die Pistole noch in der Hand vor seinem Idol. Auf dem Tisch lag ein Brief, die vom Wirt herbeigeholten deutschen Feldgendarmen lasen: „Da mir keine Frau außer Dir das Leben der Träume geben kann, o Atlanta, opfere ich Dir mein Leben.“

Vier Menschen hatte die unheimliche Magie dieser Galionsfigur in den Tod getrieben, nicht durch die Macht des bösen, sondern des märchenhafte schönen Blicks. In La Spezia wurden die unbegreiflichen Vorfälle zur Legende, man sah in Atlanta einen verführerischen Dämon und verbannte sie schließlich ins Depot der Sammlung. Dort ist sie noch immer, gemieden, gleichsam zur „Unperson“ erklärt. Auf die schriftliche Bitte um ein Photo reagierte die Direktion des Museums mit Schweigen.

Tief drinnen in dem von der salzigen Brise gebeizten Holz all der hölzernen starren Geschöpfe Neptuns ist vielleicht noch ein letzter Nachhall des Meeresrauschens geborgen, wie in einer Muschel. Doch die stumpfen, matten Augen spiegeln nichts von entschwundenen Horizonten und im Ozean der Zeit verschollenen Schicksalen. Sie sind schwarz, Wie der Teer der alten Christlichen Seefahrt…

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