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Feudal und befrackt

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RITTERTUM — IDEAL UND WIRKLICHKEIT. Von Johanna Maria van Winter. Aus dem Niederländischen übertragen von Axel Plantiko und Paul Schritt. Titel der Originalausgabe: Ridderschap, ideaal en werkeljkheid. München, C. H. Beck'sehe Verlagsbuchhandlung, 1969. 108 S. 29 Textabbildungen, 31 Abb. auf Tafeln. DM 18.—.

„Feudal“ ist ein Wort, dessen Gebrauch im Zeitungsdeutschen ganz besonders töricht ist; um so notwendiger ist es, das Zeitalter zu studieren, welches durch den Feudalismus gekennzeichnet wird. Dazu hilft uns das vorliegende Handbuch, welches einen anderen typischen Begriff des Mittelalters untersucht — das Rittertum. Die Verfasserin hat sich vorgenommen, sowohl den Alltag und seine tatsächlichen materiellen Verhältnisse zu studieren, als auch das zu schildern, was man den gedanklichen Überbau nennen mag. Dem Leser werden nicht nur Belege aus schriftlichen Quellen geboten, sondern dankenswerterweise auch vorzügliche Bildbelege.

Die größte Schwierigkeit beim Studium des Mittelalters ergibt sich jeweils aus der Perspektive des Forschers. Jeder sieht am deutlichsten, was ihm am nächsten liegt. Obwohl nun das mittelalterliche Abendland von Galicien bis Galizien und von Finnmarken bis Kalabrien dieselben grundlegenden Rechtsbegriffe und dieselben wichtigsten Einrichtungen hatte, so waren die doch in jener Zeit der Gewohnheits- und Volksrechte in unendlicher Mannigfaltigkeit erblüht. Und zwar ist es so, daß wir aus den Sitten eines Landes zwar auf die Sitten des anderen nicht ohne weiteres schließen dürfen, aber viel für deren Verständnis lernen können. Nur eben — der Forscher muß sich erst habilitieren, der in den Gesetzen von Lamego so gut Bescheid weiß wie im Sachsenspiegel, und in den Assisen von Romanien so gut wie im Buch des alten Herrn von Rosenberg...! Die gegenwärtige Forscherin hat ihre Bilder aus Italien, Frankreich, Belgien, der Schweiz und Deutschland gesammelt; ihr spezielles Forschungsgebiet ist Geldern — das die Übersetzer Gelre nennen. Zum Unterschied von manchem Zeitgenossen berühmt sie sich nur eines Miniliteraturverzeichnisses. Das Ergebnis ist jedenfalls ein sehr lesenswertes, interessawtes Buch.

Natürlich lassen sich bei solch einem Kompendium allerhand Anmerkungen anbringen. Zu Tafel 14 wäre zum Beispiel zu sagen, daß die rechte Figur keinesfalls ein (alt)römischer Soldat ist, sondern ein gleichzeitiger byzantinischer, und zwar wahrscheinlich ein solcher, den der Künstler der Ikone eines Ritterheiligen entnommen hat. Oder man mag fragen, was mit folgendem Schluß der Schilderung eines ländlichen Rittersitzes anzufangen ist: „Besonders wehrhaft war das ganze nicht und komfortabel eingerichtet schon • gar nicht.“ Da wäre es besser konkret anzugeben, was es mit der Festigkeit und Bequemlichkeit einer solchen „Curia“ auf sich hatte; sie war von einer Palisade, nicht selten von Wall und Graben umgeben, an Sitz- und Liegestätten, Streu und Bettzeug, an Licht, Beheizung und Waschgelegenheit entsprach sie etwa einer Alm oder einem Bergbauernhof. Was die Autorin über das Verhältnis der Begriffe und Einrichtungen Adel und Rittertum sagt, kann in einer kurzen und nicht fachlichen Rezension natürlich nicht besprochen werden. Man hat bei Untersuchungen dieser Art oftmals den Eindruck, daß es sich um reine Logomachie handelt, um einen Streit über die zu verwendenden Worte; die Phantasie verweilt bei der Vorstellung, wie Forscher des 27. Jahrhunderts über unsere Standesverhältnisse debattieren werden... „Der Theorie von Professor Teufelsdröckh, wonach die Kellner zur Klasse der Arbeiter — dem sogenannten Proletariat — gehörten, steht die Stelle im Codex Chiavacci entgegen, welcher schlüssig bejveist, daß Kellnern das Tragen des Fracks — der Tracht der Bourgeoisie — gestattet war. Eine legendäre Erzählung des spätkapitalistischen Epikers Meyrink beweist überdies, daß das Absinken von verarmten Fürsten in den Kellnerstand als normal angesehen wurde.“ Um ernst zu bleiben — das Argument von der ursprünglichen Verschiedenheit von Adel und Ritterschaft wird etwa dadurch gestützt, daß geradean den Grenzen des Abendlands — in England und Böhmen — der rechtliche Unterschied zwischen dem Lord und dem Knight (Knecht!) seit jeher ein deutlicher ist. Zu den Bemerkungen auf Seite 15 über den Unterschied von Herren und Rittern paßt vortrefflich, daß noch im 16. Jahrhundert Paprocki diesen Unterschied macht: die Ritter sind des Landes Wehrstand, die Herren als Väter des Vaterlandes machen die große Politik und sprechen Recht.

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