7099056-1995_05_02.jpg
Digital In Arbeit

Juden und Christen

Werbung
Werbung
Werbung

Die jüngste Erklärung der deutschen Bischöfe, die zum Ausdruck brachte, daß es eine christliche Mitschuld am Holokaust gäbe, da der religiöse Antisemitismus eine der Wurzeln des Hitlerschen gewesen sei, ist ein eindrucksvolles Beispiel christlicher Selbstkritik und ein weiterer Meilenstein auf dem Weg der Annäherung zwischen Juden und Christen, die immer mehr ihre Gemeinsamkeiten entdecken.

Freilich ist dieser Prozeß nicht frei von Rückschlägen und Störungen innerhalb der Kirche, aber auch von mancher extremer jüdischer Seite. So ist es nicht nur eine Übertreibung, sondern eine Verzerrung der historischen und theologischen Sachlage, wenn der Wiener Publizist Michael Leg in Wort und Schrift behauptet, der Holokaust sei eine Vollstreckung und Konsequenz der christlichen Botschaft und des kanonischen Rechtes gewesen.

In Wahrheit war der Mord an den Juden gleichzeitig ein verhüllter Christen- und Christusmord, begangen von Neuheiden und Antichristen, die durch die physische Ausrottung der Juden das auserwählte Volk, an dessen Stelle die Deutschen treten sollten, treffen wollten. Dem Monopolanspruch Hitlers stand auch die Kirche im Wege, an die er sich aber vor dem Endsieg nicht offen heranwagte.

Daß der Prozeß der Annäherung von Juden und Christen auch nicht frei von nationalen Gefühlen, die die gemeinsame Trauer über die Toten überlagern, ist, zeigen die Auseinandersetzungen um den Ablauf der Zeremonien zum fünfzigsten Jahrestag der Befreiung des Massenvernichtungslagers Auschwitz und die schon älteren Dispute um ein Kloster auf dem Gelände jenes Lagers, in dem hauptsächlich Juden, aber eben auch Polen und Angehörige anderer Völker ermordet wurden.

In dieser Situation sind alle Initiativen positiv zu vermerken, die das Andenken an das, was geschehen ist, festhalten und den Schulterschluß mit unseren jüdischen Mitbürgern herstellen. So ist es zu begrüßen, daß Simon Wiesenthal, eine Symbolfigur im Kampf um die moralische Erneuerung und Sanierung auch der christlich-jüdischen Beziehungen, eine Anregung gemacht hat, die bei der Gemeinde Wien auf fruchtbaren Boden gefallen ist

Es geht darum, ein Mahnmal und steinernes Denkmal für die rund 65.000 unter Hitler umgekommenen österreichischen Juden zu errichten, da das Hrdlicka-Denkmal vor der Albertina bei weitem nicht ausreicht, um das jüdische Schicksal in Osterreich ausreichend zu dokumentieren und dem Gedächtnis der Nachwelt einzuverleiben.

Ein solches Denkmal im Herzen Wiens könnte mehr als eine Geste des guten Willens sein und der Bereinigung einer unseligen Vergangenheit, die nicht ungeschehen gemacht werden kann, aus der aber Lehren gezogen werden müssen, dienen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung