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Der Mensch Adalbert Stifter

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ADALBERT STIFTER. Geschichte seines Lebens. Von Urban Roedl. Zweite neubearbeitete Auflage. Francke-Verlag, Bern. 398 Seiten. Preis 23.50 sFr.

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ADALBERT STIFTER. Geschichte seines Lebens. Von Urban Roedl. Zweite neubearbeitete Auflage. Francke-Verlag, Bern. 398 Seiten. Preis 23.50 sFr.

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Wie der Untertitel dieser 1937 zuerst erschienenen Darstellung Stifters besagt, soll dieses Buch nicht eine Werkinterpretation, sondern eine Durchleuchtung der Lebensumstände Stifters bieten. Es wird die Frage gestellt, wer Stifter als Mensch gewesen ist, da die Harmonie seiner Werke auf „geheime Wirbel und Untiefen“ hindeuten, die der Verfasser zu enträtseln sich er- bötig macht. Der Rezensent erinnert sich noch des kritischen Einwandes, Roedl bediene sich der Methoden der Psychoanalyse. Roedl bestreitet im Vorwort, „psychologische Fachkenntnisse zu besitzen“. Das Thema des Buches „ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als das Leben eines Künstlers, nicht dessen Kunst“. Dem Leser bleibe es überlassen, aus dem dargebotenen Material seine Šgili sej’ auf ‘cjaa Werk §:ų jūehen, ‘ 4Jie Bekanntschaft mit d i Werken Stifters . wird vorausgesetzt, weshalb dieses Buch nur so Vorgebildeten zugute kommen wird, falls sie Leben und Werk als Einheit begreifen wollen.

Schon die Anlage dieser Biographie läßt ihre Richtung auf den Schlußakkord eines tragischen Unterganges hin erkennen. Das letzte Wort der Inhaltsüberschriften lautet „Sturz ins Dunkel“, Die von Max Stefl seit 1950 herausgegebenen Urfassungen der „Studien“ sowie andere Arbeiten über das Dämonische bei Stifter haben die Gegenwart für den Grundton, auf den diese Arbeit Roedls gestimmt ist, hellhörig gemacht. Wir lesen in diesem Buch eine für breitere Kreise bestimmte, gut geschriebene Biographie des Dichters, die in den psychologischen Akzenten ihr eigentliches Gewicht hat. Roedl arbeitet die unbezweifelbare tiefe Gefährdung des angehenden Künstlers durch den andringenden Dämon der Wirklichkeit, zumal in Gestalt Amalių ;Mohftpp.ts; -heraus und stellt’ die Rettübg; .Stifters ater „Gestalter des Wortes“ dar (S,-121). Der Stil, sonst maßvoll, schwingt sich bei dem Abenteuer Stifters in seiner Ehe mit Amalie zu einer gewissen pathetischen Note empor, die den Anteil des Verfassers an dieser Partie seines Lebensromans verrät. So zum Beipiel S. 95. Gestaute Triebe seien es gewesen, die endlich die künstlichen Dämme zum Einsturz gebracht hätten. Freimütig legt Roedl damit den Finger auf einen Vorgang, der für die gesamte romantische und nachromantische Epoche wiederholt beobachtet werden kann, auf die Verwandlung der irdischen Gefährtin in eine himmlisch-englische „Imago“, wie sie Spitteier in seinem gleichnamigen Roman dargestellt hat. Daß die psychologische Problematik, die Roedl darstellt, von Stifter selbst erkannt wurde, bezeugen seine Briefe, zumal die Briefe aus der Brautzeit, in denen sich Stifter über seine Seelenliebe zu Fanny Greipl selbst Rechenschaft gibt, deren Bild zur Muse Stifters wird.

Man muß es Roedl zugute halten,

daß er seine psychologischen Interpretationen nicht überspitzt und im wesentlichen einen Tatsachenbericht des Lebens vermittelt, der, anderen Biographien gegenüber, dadurch auffällt, daß Roedl auch Stifters sehr wechselnde Erlebnisse und Schicksale mit den Zeitschriften seiner Zeit genauer zu Wort kommen läßt. Alles in allem eine dem in psychologischen Dingen hellhörigen Geschmack des Gebildeten und Intellektuellen von heute entgegenkommende Leistung, die jedenfalls das Ihre leisten wird, das Interesse für den Menschen Stifter teils wachzurufen, teils bei näher mit ihm Vertrauten wachzuhalten. Da das Buch jede betonte Wissenschaftlichkeit vermeidet, sind alle Einzelbelege beziehungsweise Auseinandersetzungen mit verwandten Leistungen vermieden.

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