6685488-1962_14_11.jpg
Digital In Arbeit

Irrglaube in uns selbst

Werbung
Werbung
Werbung

HÄRESIEN DER ZEIT. Ein Buch mr Unterscheidung der Geister. Herausgegeben von Anten Böhm. Verla* Herder, Freiburg, 1961. 440 Seiten. Preis 34 DM.

Die Worte von der Häresie und dem Glaubensabfall gehören zu den „harten Reden“, die seit den Tagen des Evangeliums die Vielzahl der sonst glaubensbereiten Jüngerschaft „nicht hören will“. Man hat bei der Behandlung dieses Themas in den Epochen der Vergangenheit gewiß manchen Extremfehler begangen. Die Zeit der heftigen Apologetik mit ihrem ..Ketzerhammer“, der Stil des konfessionellen Grobianismus, der sich bis ins 19. Jahrhundert hinein erhalten hatte, wurden zeitweise von einer allzu großzügigen Ausdrucksweise abgelöst, die die christlich immer gebotene Liebe zum Irrenden mit einer unterschiedslosen Liebe auch zum Irrtum selbst verband. Und da man heute in einer gewissen modischen Katechetik und Pastoral nicht müde wird, die Apologetik zugunsten der gewiß höherstehenden Verkündigung abzuwerten und gering zu schätzen, ist weithin eine Verlegenheit und Unsicherheit in der Urteils-findung entstanden. Die zum Teil zwischen den Extremen hin und her wogende Debatte vor dem Konzil hat diesen Zustand erneut deutlich gemacht.

Gerade zur rechten Zeit erschien nun ein Buch, das sich „Häresien der Zeit“ nennt und wirklich geeignet erscheint, nicht nur dem Fachtheologen, sondern ebenso dem halbwegs gebildeten Laien das Zurechtfinden zu ermöglichen. Es wird mit einem Aufsatz von Karl R a h n e r eingeleitet, „Was ist Häresie?“, der die Vollendung eines klassischen Traktats besitzt. Mit der diesem Theologen eigenen freimütigen Unbefangenheit, die jedoch nie zum bilderstürmerischen Revoluzzertum ausartet, obwohl sie kühner ist als manche unüberlegt hingeworfene „kritische“ Apho-ristik Unberufener, untersucht Rahner das Wesen der Häresie, des eigentlichen „Irrglaubens“, in seiner Differenz zur Apo-stasie, dem offenen Glaitbensabfall. Er bezeichnet die von der alten Schultheologie allzu sauber praktizierte methodische Trennung bzw. praktische Ineinseinsctzung dieser beiden Begriffe als überholungsbedürfc. tig. In sehr behutsamer, grundsätzlich aber klarer und harter Weise stellt er zur Frage des „christlichen Pathos“ gegenüber der Häresie fest, daß dieses verständlich und berechtigt ist:

„Das Christentum kann nie grundsätzlich und wie selbstverständlich von jeher stillschweigenden und ungesagt verbreiteten Meinung ausgehen, et sei einfach selbstverständlich und von vornherein ausgemacht, daß jener, der einen in seinem objektiven Wortlaut falschen Satz sagt, im Grunde doch das richtige und selbe wie man selbst meine, daß von vornherein und immer Meinungsverschiedenheiten nur terminologische Schwierigkeiten, Verständigungshindernisse seien, die die eigentlichen Uberzeugungen im Grunde des Wesens gar nicht berühren ...“ (S. 17.)

Und weiter:

„Er kann daher nicht einfach erhaben und milde in souveräner Überparteilichkeit den Thesen entgegentreten, die, an ihn herangetragen, seine Glaubensüberzeugung bedrohen...“ (S. 18.)

Rahner, der sich mit diesen Sätzen unmißverständlich gegen eine gewisse modische Irenik des „Gesprächs um jeden Preis“ abgrenzt, verlegt die Frage der modernen Häresie in einen anderen Bereich. Er hält grundsätzlich daran fest, daß es sie gibt und daß ihr der Christ, wo sie klar als solche erkannt wird, auch entschieden entgegentreten muß, weil es eben beim Heilsglauben nicht gleichgültig ist, ..was“ einer glaubt, sofern er nur überhaupt „guten Willens“ glaube. Aber er ist der Meinung, daß der modernen Bewußtseinswelt der formalen Häresie sehr oft eine so starke Wahrheitsintention innewohnt wie auf der anderen Seite der formalen Rechtgläubigkeit eine so beherrschende häretische Gestimmrheit, daß die süßeren juristischen Unterscheidungsmerkmale nur noch den Charakter von Hilfsmitteln besitzen. Es gilt also, das zutiefst Häretische, das grundsätzlich Falsche und Widerchristliche in der eigenen Brust aufzuspüren, jene Häresien zu erkennen, die im Leben auch der besten Katholiken heimlichen Einfluß besitzen, und weniger nach Kategorien zur pharisäischen Einteilung und Bewertung einer Außenwelt zu forschen, über deren inneren Glaubensstand wir heute weniger denn je mit Sicherheit aussagen können.

Die dem Rahnerschen Einleitungstraktat folgenden Einzeluntersuchungen beschäftigen sich daher auch nicht mit katalogisierten „Ismen“, geschweige denn mit den „ketzerischen“ Konfessionen. Sie sprechen von den Irrlehren versucherischcr Art, denen im Grunde nicht nur der Katholik ausgesetzt ist und deren Überwindung nicht nur Reservat der Katholiken bleiben kann.

Was etwa Werner Schöll gen, einer der modernsten deutschen Moraltheologen, über die Idolisierung der Arbeit und den Technizismus ausführt, bezieht Gehlen, Schumpeter, Dessauer und Günther Anders ein: nicht in der Art einer Aufzählung von „Abweichungen“, denen nun mit ermüdendet Arroganz das einzig richtige

Modellbild der Sozialenzykliken gegenübergestellt wird, sondern als Perspektivenbereicherung weltoffener Art. Sehr objektiv wird Ernst Topitsch interpretiert (S. 253), und der kritische Denkansatz der jüdischen Philosophin Hannah Arendt wird geradezu in Schöllgens eigene Beweisführung eingebaut (S. 254 ff.).

Greifen wir noch einen einzigen Essay heraus: Diether Wendlands kritische Untersuchung über den „Kult des Fleisches“. Mit Vehemenz weist der Autor (S. 191 ff.) von allem Anfang an jeden Trichotomismus, das heißt jede Annahme einer existentiellen „dritten“ Sphäre zwischen Geist und Fleisch, zurück und entscheidet sich für den klassischen, pau-linisch legitimierten Dualismus. Das ist gewiß sein gutes Recht. Nur scheint uns der trichotomische Standpunkt, der etwa der Anthropologie der deutschen Mystik zugrunde liegt und der durch das Konzil von Vicnne nicht in allen Punkten verworfen wurde, als immerhin diskutabel und nicht von der Wurzel her häretisch. Gerade seine hypothetische Annahme hat ja das Gespräch zwischen Psychoanalyse und katholischem Glauben anthropologisch überhaupt erst möglich und sinnvoll gemacht, ein Gespräch, das nicht unbedingt von Schaden ist.

Der geistige Initiator und Chefredakteur dieses bedeutungsvollen Bandes ist Doktor Anton Böhm. Er hat sich den Schlußaufsatz „Das Leben in der Häresie“ vorbehalten, der ich bescheiden als Resümee

eines Gesprächsleiters gibt, aber darüber hinaus eine wichtige Funktion für das Ganze erfüllt. Er stellt die Uberleitung zum praktischen Leben dar, indem er die hier theoretisch herauspräparierten Fehlhaltungen in ihrer Alltagsverwirklichung beleuchtet. Seiner (nicht unbestreitbaren, weil gesellschaftlich allzu konservativen) Annahme nach ist der Autonomismus die Fundamentalhäresie (S. 428). Von ihr her interpretiert er die Dekomposition des modernen Lebens, den schlicßlichen Nihilismus mit seiner stets bereiten Tendenz, ins Gegenteil, in die fanatische Gläubigkeit der Kollektive umzuschlagen. Eine konsequente und geschlossene Deutung, gewiß, aber auf den letzten Seiten läßt Böhm keinen Zweifel, daß gerade der Leser eines solchen Buches seine methodisch notwendige Einseitigkeit erkennen und „die andere“ Seite selbst hinzufügen muß. Die praktische Wahrheit kann also nicht ein radikales, rückwärtsgewandtes Nein sein, sondern die Zuversicht und das Vertrauen auf den Geist, auf die dem Christen stets gewärtige „Wandlung des Denkens“, die alle vermeintlichen „Zwangsläufigkeiten“ durchbrechen kann, die sich rein theoretisch aus dem vom Grunde her falschen und verderblichen Anfangssatz jeder Häresie schlußfolgern lassen. Und die am Ende doch wieder durch den einzigen äußeren und inneren Herrn der Geschichte durchkreuzt werden, der ... „ihrer lacht“.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung