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VON NEUEN BUCHERN

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Quellen zu seiner Geschichte In Österreich 1760—1790, I. Band. Von Ferdinand Maafi. (Fontes rerum Austriacarum, 2. Abt., 71. Band, herausgegeben von der Österreichischen Akademie der Wissenschalten in Wien.) Wien 1951

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Quellen zu seiner Geschichte In Österreich 1760—1790, I. Band. Von Ferdinand Maafi. (Fontes rerum Austriacarum, 2. Abt., 71. Band, herausgegeben von der Österreichischen Akademie der Wissenschalten in Wien.) Wien 1951

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Uber die Bedeutung jener Periode der österreichischen Geschichte, in der 6ich die Verwirklichung des absoluten Staatsgedankens vollzog, braucht nicht diskutiert zu werden. Aus den mehr oder minder lose aneinandergefügten, in ihrer historischen Individualität erhaltenen Ländereinheiten sollte der uniforme Staat erwachsen, der von dem einen souveränen Willen des Herrschers geleitet wurde. Was das moderne Staat6denken, die Staatsökonomie, die Staatsethik an neuen gestaltenden Kräften hervorbrachte und im Zusammenhang mit dem rationalistischen Natur-und Staatsrecht der Aufklärung in zahlreichen Büchern und Broßchüren verkündete, sollte angewandt werden, um ein Herrschaftsgebiet zu einem zentralistischen Staat zu formen, das in seiner sozialen und kulturellen Vielgestaltigkeit, in der Mannigfaltigkeit seiner historischen Voraussetzungen in Europa nicht seinesgleichen besaß. Dem souveränen Staatswillen mußte sich der ständische Eigenwille beugen, sollte sich überhaupt jede partikula-ristißche, jede autonome Institution rückhaltlos unterwerfen. Ihm schien am meisten das Eigenrecht der Kirche zu widerstehen, jener große Bereich kirchlicher Einrichtungen, die durch das Kirchenrecht, durch Gebrauch und Verträge der unmittelbaren Einwirkung des Staates entzogen waren und eine ständige Quelle des Streites um die Kompetenz der weltlichen und geistlichen Macht wurden. Gerade in Österreich mußten sich aus diesem differenzierten Fragenkomplex die schwierigsten Probleme ergeben, weil die Habsburger als anerkannte Vorkämpfer katholischer Kirchlichkeit mit der Kirche innig verbunden waren und der staatsrechtliche Konflikt zu einem Gewissenkonflikt wurde.

Maaß versteht unter „Josephinismus' hier nur die eine Seite eines staatsrechtlichen Systems, die kirchenpolitische Neuordnung im Sinne der aufgeklärten Staatstheorie, die keine andere Souveränität neben dem Staat anerkannte. Die 160 mit aller wissenschaftlichen Zuverlässigkeit veröffentlichten, oft umfangreichen Akten und Dokumentenstücke, mei6t aus den Beständen des Staatsarchivs, geben ein anschauliches Bild von der Entwicklung aus den aktuellen Anfängen der Aaseinandersetzung im Jahre 1760 bis zur vollen Ausbildung des Staatskirchentums, wie sie die geheimen Instruktionen für die lombardi6che Verwaltung (1767) enthalten. Praktische Anlässe ergeben die Grundlagen für die prinzipielle theoretische Diskussion und die ständig schrittweise fortschreitende Entwicklung eines umfassenden staatskirchlichen Systems, zunächst für die Haltung des Dipartimento d'Italia und die Mailänder Giunta Economale, dann aber auch nach diesem Muster für die ganze Monarchie. Aus den Quellen selbst hat Maaß den Schluß gezogen, daß Kaunitz als der Vater des rationalistischen Staatskirchentums in Österreich“ mit seinen unabsehbaren Auswirkungen zu betrachten i6tS Josephinismus“ kann demgemäß nicht bedeuten, daß Kaiser Joseph der Autor des nach ihm benannten staatekirchlichen Systems ist, sondern nur, daß eine Kirchenpolitik, deren Grundsätze bereits 6eit 1767 völlig ausgearbeitet vorlagen, unter ihm zur konsequenten Durchführung kam. Denn eine solche ließ der fromme kirchentreue Sinn der Kaiserin Maria Theresia nicht zu, trotzdem sie ihre Zustimmung zu den Gedanken und Richtlinien ihres Kanzlers gegeben hatte.

Es gehört zu den erregendsten Problemen, die in der feinen einleitenden Zusammenfassung von Maaß aufgeworfen werden, wie das merkwürdige und den landläufigen Vorstellungen, von Maria Theresias religiöser Haltung widersprechende Verhalten der Kaiserin zu erklären 6ei. Wie vermochte Kaunitz seiner Herrin, deren Hochachtung gegen den Klerus und die geistliche Würde“ bekannt waren, die der religiösen Bildung und kirchlichen Gesinnung ihrer Untertanen ein so großes Gewicht beilegte, die sich vor Härten, Unbilligkeiten oder Ungerechtigkeiten soviel als möglich hütete, die Approbierung eines Regierungssystems abzuringen, das nicht nur der historischen Erscheinung der Kirche kein Verständnis entgegenbrachte, sondern praktisch ihre wesentlichen Eigenschaften und in den Konsequenten die ganze übernatürliche Offenbarung leugnete? Die Erklärung 6ucht Maaß mit Recht in der Art der Kaiserin selbst und in der diplomatischen Vorgangsweise von Kaunitz. Der Kaiserin habe nicht nur die geistige Abstraktionskraft, sondern auch eine tiefere Erkenntnis der religiösen Wahrheiten, eine auf klaren Verstandesgründen beruhende katholische Weltanschauung und die Einsicht in ihre Folgerungen für das praktische Leben“ gefehlt (S. 92), ihre katholische Uberzeugung sei eine recht äußerlich und formal aufgefaßte und geübte“ gewesen. Im Eifer um den Neubau des zentralen Staates, um die Erhöhung seiner äußeren und inneren Macht, um die Erhöhung ihres herrscherlichen Bewußtseins erlag sie der Dialektik ihres Ministers, der ihr einfacher praktischer Verstand nicht gewachsen war. Sie glaubte, daß dieses System, weit entfernt der Religion zu schaden, im Gegenteil zu einer intensiveren Seelsorge, zu einer um so strengeren und reineren Auffassung der priesterlichen Berufung führen werde, daß mit der dem Staate abgetretenen Sorge für irdische Güter und Rechte für den Klerus viele Versuchungen entfallen und er im rein religiösen Bereich um so hingebungsvoller wirken würde. Und ist nicht Sorge um die Religion nicht nur ihre Pflicht als Christin, sondern auch als Regentin? Mit derartigen Argumenten, die das eigentliche staatspolitische Ziel des Kanzlers verdeckten, die aber das Gemüt der JCaiserin ansprachen, wußte der Fürst die Kaiserin allmählich zur Unterschrift unter sein Programm zu bringen. Er wußte auch die richtige Zeit zu benützen, Augenblicke der Verärgerung gegen die Kurie, in denen sie den Ausführungen von der Herrschsucht und den Ubergriffen Roms zugänglich war. Vielleicht könnte man auch in Betracht ziehen, daß Maria Theresia nach dem Tode ihres Gatten (1765) viel von ihrer früheren Spannkraft verlor, unter leidvollen Depressionen litt, die sie nach eigenem Bekenntnis zeitweise völlig gleichgültig machten, so daß ihr die Zügel der Regierung leichter aus der Hand gleiten konnten. Der neue Mitregent, ihr Sohn Joseph, stand dazu von allem Anfang an unter der beherrschenden Kraft des Kanzlers. An ihm konnte er den Rückhalt finden, den ihm die Kaiserin bisweilen versagte.

Kein Zweifel, das Bild Maria Theresias erfährt durch diese neuen Erkenntnisse eine Abschwächung seines Glanzes. Es senken sich manche Schatten über das Licht, das von ihrer großen Persönlichkeit auszuströmen pflegte. Sie ist nicht die unabhängige, in ihrem Urteil 60 treffliche und souveräne Herrscherin. Wir verstehen dann auch um so besser, daß sie ihre Regierung in verzweifelten Stunden ihres Alters als unglücklich beklagt. Es geschah eben nuviel, was nicht ihrem innersten Wesen entsprach und das zu hindern ihr die letzte Kraft fehlte Um so mehr tritt die Persönlichkeit des Staatskanzlers als leitender Geist, als überlegener politischer Genius in den Vordergrund.

Vieles noch wäre zu erwähnen, was diese Akten ans Licht stellen. Wenn die Gesamtedition einmal vorliegen wird, die wir bei Professor Maaß in den besten Händen wissen, dann wird es erst so richtig klarwerden, daß die Geschichte Maria Theresias und Kaiser Josephs dringend einer Neubearbeitung bedarf. Dem Gelehrten und Forscher, dem die mühe- und verantwortungsvolle Leistung der Erschließung der Quellen zu danken ist, gebührt alle Anerkennung.

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