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Das ewige Recht

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„Justitia regnorum fundamentum.

Ein schöner Spruch und doch ein böser Witz.

Justitia im Munde der Gemeinheit

Heißt nicht Gerechtigkeit, heißt nur

Justi z.”

Diese Worte schrieb Grillparzer zum Wahlspruch des Kaisers Franz; er brachte so einen Gedanken von allgemeiner Geltung zum Ausdruck, das Verlangen, daß „die Begriffe von Gut und Schlecht mit den Begriffen von Recht und Unrecht übereinstimmen müssen”, soll die Justiz gerecht sein. Dieses Epigramm des größten österreichischen Dichtens kam mir off in den Jahren in den Sinn, in denen jedem Gerechtigkeitsgefühl zuwider unter Verkennung der Ewigkeitswerte des Rechts zeitgebunden als Recht erklärt wurde, „was dem Volke nützt”. Hierin lag nicht nur eine neue Formulierung des verpönten Satzes: „Der Zweck heiligt die Mittel”; es wurde hiedurch bewußt und gewollt verkannt, daß es Handlungen gibt, die, abgesehen von Erfolg oder Mißerfolg, in sich gut der in sich schlecht ind. Das aber, WM in sich schlecht ist, kann und darf niemals Recht sein, heute weniger als je zuvor.

Was aber ist innerlich schlecht? Mögen hierüber in verschiedenen Ländern, zu verschiedenen Zeiten verschiedene Ansichten maßgebend sein, für Österreich gelten hiefür seit nahezu fünfzehnhundert Jahren, seit St. Severin, der Apostel Noricums, die Lehre des Christentums in unser Land brachte, die zehn Gebote; der Dekalog ist und bleibt so der Wertmesser für gut und schlecht; in ihm ruhen daher auch heute die Ewigkeitswerte des Rechts.

Das achte Gebot: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten”, richtet sich auch an das Gerichtsverfahren, es will die Wahrheit gegen die Lüge in Schutz nehmen, das Vertrauen nachdrücklichst sichern, Guter, die zu schützen auch heute hoch an der Zeit ist; es müßte sich eine giftige Luftschichte von Mißtrauen um die Menschheit legen, könnte man beispielsweise nicht einem Worte des Gesetzgebers trauen. Das österreichische Parlament sprach ein solches Wort, als es nach mehrjähriger, in Bezug auf die Paragraphen 10 und 11 des Verbotsgesetzes unbefriedigender Rechtsprechung in der Nationalratssifzung vom 21. April 1948 einstimmig die Bundesregierung aufforderte, eine

„Novellierung des Verbotsgesetzes 1947 in jenen Paragraphen vorzubereiten, die besondere Härten enthalten und sich in der Praxis als abänderungsbedürftig erwiesen haben. Dabei wird besonders auf die Paragraphen 10 und 11 .Verbotsgesetz 1947 verwiesen.”

Zur Begründung dieser einhelligen Entschließung verwiesen die Sprecher aller drei Parteien auf die Reformbedürftigkeit dieser Gesetzesstelle, insofern Kollektivschuld zur Verwirklichung dieses Verbrechenstatbestandes genügt, und erklärten ausdrücklich, daß sie Kollektivschuld ablehnen.

Was soll man dazu sagen, wenn trotz dieser einhelligen Entschließung bis zur Stunde dem Verlangen des Gesetzgebers nicht Rechnung getragen ist und dergestalt der Gesetzgeber es zuläßt, daß in täglichen Urteilen ein „Schuldig” auf Grund gesetzlicher Bestimmungen gesprochen wird, die _ sofern ihnen Kollektivschuld zugrunde liegt — der Gesetzgeber selbst als Unrechtbezeichnet?

Es ist aber auch nötig, den Schein z vermeiden, als könnte die Rechtspflege, die Rechtsprechung von der Straße beeinflußt, als könnt sie terrori siert werden. Der Rechtssinn unserer Bevölkerung hat ein feines Ohr für Unzukömmlichkeiten, er registriert die Erschütterungen des Rechtslebens gleich einem Seismographen und quittiert sie auf eigene Art. So wird schon längst nicht verstanden, wie es beispielsweise möglich ist, daß Zeitungsveröffentlichungen am laufenden Band in den Gang von Strafprozessen eingreifen and durch journalistische Stimmungsmache Urteile vorweggenommen werden dürfen, und dies, obwohl ein ausdrückliches gesetzliches Gebot: der achte Lassersche Artikel, es als strafbare Handlung erklärt, „den vermutlichen Ausgang eines Strafverfahrens oder den Wert eines Beweismittels vor dem Urteil der ersten Instanz zu erörtern”.

Wohl die Duldung solcher Zustände brachte es mit sich, daß in letzter Zeit der Versuch der Beeinflussung der Rechtsprechung selbst im Gerichtssaal geübt wird. Es ist bedauerlich, daß ohne wirksame Abhilfe nicht nur Beschuldigte, auch Zeugen, ja sogar der Verteidiger beschimpft werden können und so der Gerichtssaal zum Tummelplatz der Leidenschaften herabgewürdigt wird. Solche beklagenswerte Zustände ereignen sich aber nicht nur in Wien, auch aus Innsbruck kam dieser Tage die Nachricht, daß .ein Zeuge, der in der Verhandlungspause das Gebäude verlassen wollte, von Zuhörern zur Rede gestellt und „derartig verprügelt wurde, daß er im Gesicht blutete und einige Zähne verlor!”

Es handelt sich dergestalt nicht mehr um Einzelfälle und es kann deshalb auch zu solchen Vorkommnissen nicht weiter geschwiegen werden, denn ein unter solcher Atmosphäre gesprochenes Urteil erweckt zumindest den Schein, beeinflußt zu sein. Als jüngst „im Landesgericht geflissentlich verbreitet wurde”, daß der auffallende Wechsel des Staatsanwalts mitten in einem Prozeß auf dessen plötzliche Erkrankung zurückzuführen sei, war es für das Fingerspitzengefühl unserer Bevölkerung bezeichnend, daß dieser Version mißtraut und gemunkelt wurde, daß am Ende die Justizverwaltung vor anderen Einflüssen kapitulierte. Reichlich spät kam die öffentliche Erklärung dee Justizministeriums, wonach ein solcher äußerer Einfluß nicht vorliege. Es bleibt jedoch eine peinliche Bloßstellung,’ wenn gleichzeitig amtlich bekanntgegeben werden muß, daß einer der fähigsten Köpfe der

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