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Der ärztliche Eid

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Die Bewahrung des ärztlichen Berufsethos ist .von so großem allgemeinem Interesse, daß die Strafgesetzgebung aller Kulturstaaten Bestimmungen zu seinem Schutz getroffen hat. Selbstverständlich ist mit Strafgesetzen nicht alle, und dort, wo die sittliche Begriffswelt brüchig geworden ist, sogar sehr wenig getan. Das Entscheidende wird immer die Verankerung der Berufsausübung des Arztes in einer sittlichen Auffassung seiner Lebensaufgabe sein, nicht zuletzt der Geist an den Erziehungsstätten unseres ärztlichen Nachwuchses und das Maß der Pflege, die unsere Ärztekammern der Standespflicht und Standesehre zukommen lassen. Eine Erinnerung, wie sehr ich unsere Hochschulen ihrer Mission bewußt waren, ist der sogenannte „Eid des Hippo k r a t e ", den nach uralter Übung jeder junge Mediziner bei seiner Promotion mit der feierlichen Gelöbnisformel „spon- deo" ablegt. Seit fast zweieinhalbtausend Jahren steht das ethische Gesetz, das der große griechische Arzt, der „Vater der Heilspflege“, in seinen uns überlieferten Schriften aufgerichtet hat, in der Kulturwelt. Der Eid, mit dem er seine Schüler verpflichtete, lautete nach einer einleitenden Anrufung der Götter al Zeugen, daß der Eideslpister „folgenden Schwur und folgende Verpflichtung erfüllen und seinen Lehrer, gleich seinen Eltern achten, ihn teilhaben lassen an seinem Hab und Gut und in der Not ihm geben werde, wri er bedarf":

„Ich werde meine ärztlichen Verordnungen zum Nutzen der Kranken geben, nach meiner Kraft und meinem Urteil. Was Verderben und Schaden bringt, will ich von ihnen ferhhalten. Ich werde niemandem ein tödlich wirkendes Gift verabreichen, auch auf Verlangen nicht. Ich werde auch keinen solch verwerflichen Kat erteilen. Ebensowenig werde ich einem Weib ein Mittel zur Vernichtung des keimenden Lebens geben. Rein und gottgefällig will ich mein Leben und meine Kunst bewahren. Ich werde in alle Häuser, in die ich kommen mag, zum Heil der Kranken eintreten und mich jedem vorsätzlichen Vergehen und jeder schändlichen Handlung enthalten, auch aller Werke der Wollust an den Leibern von Frauen und Männern, Freien und Sklaven. Ich werde all das, was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meines Wirkens im gewöhnlichen Leben sehe und höre und was man nicht aussagen darf, verschweigen und solches als Geheimnis betrachten.“

Die akademische Tradition, die diese Grundsätze in einem von den Promovenden abzulegenden „Eid des Hippokrates“ festhielt, verdient Ehrerbietung. Aber ist die gebrauchte Formel nicht gar zu „akademisch“ geworden, nicht bloß Formel, sondern sogar nur Formalität in einer Gegenwart, in der viele Stützen de natürlichen Rechtsbewußtseins gefallen sind? Wohl aus solcher Erwägung wurde kürzlich in Genf von der zweiten Generalversammlung des internationalen „Medizinalverbandes“ allen Ländern, in denen noch nicht ein ähnliches Gelöbnis geübt wird, die Einführung folgender Neufassung des alten Eidestextes — des „Genfer Schwurs“ — vorgeschlagen:

„Im Augenblick, in dem ich als Mitglied des ärztlichen Berufes zugelassen werde, nehme ich die feierliche Verpflichtung auf mich, mein Leben dem Dienst an der M en s c h- heit zu wjdmen. Ich bewahre meinen Lehrern die Achtung und die Dankbarkeit, die. ihnen gebührt. Ich werde metneh Beruf nach bestem Gewissen Und mit Würde ausüben. Ich werde die Gesundheit meines Patienten als meine oberste Aufgabe ansehen. Ich werde das Geheimnis dessen, der sich mir anvertraut hat, achten. Ich werde die Ehre und die edlen Traditionen des ärztlichen Berufes aufrechterhalten nach besten Kräften. Meine Kollegen sind meine Brüder. Ich werde nicht zulassen, daß Erwägungen der Religion, der Nation, der Rasse, der Partei oder der sozialen Klasse eine Rolle spielen zwischen meiner Pflicht und meinem Patienten. Ich werde die absolute Achtung des menschlichen Lebens vom Moment der Zeugung an aufrechterhalten. Selbst unter Drohung werde ich nicht einwilligen, gegen die Gesetze der Menschlichkeit von meinen medizinischen Kenntnissen Gebrauch zu machen. Das verspreche ich feierlich, freiwillig und auf meine Ehre.“

Die besondere Betonung in diesem Gelöbnis, seine aktuelle Neuerung, liegt auf der Stelle, die von der „absoluten Achtung des menschlichen Lebens" spricht, damit die „Euthanasie“, die Tötung des sogenannten „unwerten Lebens“, ablehnt und unzweideutig sich zu dem Schutz des keimenden Lebens vom Moment der Zeugung an bekennt. Damit ist auch den Hütern des ärztlichen Berufsethos in Österreich der Ratschlag nahegelegt, dem ins Leben hinaustretenden Arzt eine unzweideutige, in feierlicher Stunde von ihm bestätigte Wegweisung gegen moderne Irrlehren mitzugeben. Sie tut auch bei uns zu Lande gründlich not.

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