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Der Kreml zwischen Europa und Asien

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Es gab noch vor wenigen Jahren in der Volksrepublik China Porträts von Josef Stalin, die chinesische Gesichtszüge trugen. Aber nicht bloß der vieljährige „Woshd“ gewann solcher Art einen europäisch-asiatischen Januskopf. Auch nach Stalin war der Kreml bestrebt, im Urteil der Welt als asiatische Macht zu bestehen. Man entsinnt sich dabei der ersten Bandungkonferenz der afro-asiatischen Länder im April 1955, wo die Russen als Beobachter zugelassen waren. Man denkt an die friedenswillige Vermittlung des Kreml zwischen Indien und Pakistan zu Taschkent im Januar 1967. Damals allerdings gab es schon eine Konfrontation asiatischer KP-Hierarchien gegen die „europäischen“ Sowjets. Auch heute macht Peking der Umwelt klar, daß nicht Moskauer Territorialgewinne auf asiatischem Boden (seit vier Jahrhunderten) und die russische Expansion bis zu der japanischen Inselgruppe der Kurilen den Charakter Sowjetrußlands als asiatische Macht bestimmen könnten. Vielmehr seien es in Moskau einfach die „modernen Zaren“, die überlieferungsmäßig auch in unserer Gegenwart „imperialistische Aktionen setzten“.

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Es gab noch vor wenigen Jahren in der Volksrepublik China Porträts von Josef Stalin, die chinesische Gesichtszüge trugen. Aber nicht bloß der vieljährige „Woshd“ gewann solcher Art einen europäisch-asiatischen Januskopf. Auch nach Stalin war der Kreml bestrebt, im Urteil der Welt als asiatische Macht zu bestehen. Man entsinnt sich dabei der ersten Bandungkonferenz der afro-asiatischen Länder im April 1955, wo die Russen als Beobachter zugelassen waren. Man denkt an die friedenswillige Vermittlung des Kreml zwischen Indien und Pakistan zu Taschkent im Januar 1967. Damals allerdings gab es schon eine Konfrontation asiatischer KP-Hierarchien gegen die „europäischen“ Sowjets. Auch heute macht Peking der Umwelt klar, daß nicht Moskauer Territorialgewinne auf asiatischem Boden (seit vier Jahrhunderten) und die russische Expansion bis zu der japanischen Inselgruppe der Kurilen den Charakter Sowjetrußlands als asiatische Macht bestimmen könnten. Vielmehr seien es in Moskau einfach die „modernen Zaren“, die überlieferungsmäßig auch in unserer Gegenwart „imperialistische Aktionen setzten“.

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Seit 1966 erleben wir die schärfer und schärfer werdenden Gegensätze zwischen der Sowjetunion und der VR China. Die vorgebrachten Ursachen und Motive des Streites sind „Großmacht-Chauvinismus“, „Imperialismus“, „Nationalismus“, „Man-darinentum“, „Neo-Zarismus“ usw. Trotzdem wird der fatale pas de deux zwischen weltrevokitionärer Agitation, asiatischem und europäischem „Nationalismus“ einprägsam. Die Gegnerschaft scheint durch einen abgründigen Haß bestimmt, die beiderseits viele Namen trägt, aber im Grunde einen einzigen Gegensatz beinhaltet: Vorrang und Vormacht der revolutionären Ideologie, verkörpert in einem Staaten einer Partei.

Die Welteroberung der sowjetischen Großmacht hat seit zwei Jahrzehnten zu einer Schizophrenie geführt: Außerhalb des Sowjetimperiums gilt die uneingeschränkte Revolutionsidee, der Wille zum Umsturz, zur Errichtung einer neuen Welt über Kontinente und Meere des Erdballes hinweg. Innerhalb seines Imperiums aber setzt der Kreml Maßstäbe der Evolution, der ruhigen Entwicklung, der Gleichschaltung, der nichtantagonistischen Widersprüche.

Am Beginn der siebziger Jahre ist der Kreml überwiegend nicht mehr mit Reformern und Revolutionären der volksdemokratischen Führungskader Südosteuropas verbündet, sondern mit „Konservativen“. Sollte die KP der Sowjetunion diese Verquick-kung mit statischen Kräften in den Partei- und Wirtschaftsapparaten der volksdemokratischen Länder beibehalten — so könnte dieser Umstand der tatsächlichen Mitverantwortung des Kreml für die Dauer nur abträglich sein. Freilich — ein Blick auf die Weltkarte zeigt, daß nicht nur das zaristische Rußland seit dem 16. Jahrhundert eine stetig expandierende Großmacht ist. Auch seit dem bolschewistischen Oktober 1917 haben die Sowjets den imperialen Bestand der Weltmacht der UdSSR durch Sozialistische und Volksrepubliken, nationale Demokratien und sonstige Einflußsphären ergänzt. Man gewinnt geradezu den Eindruck, daß territoriale Expansion und machtpolitisches Wachstum der Sowjetunion einem all zu rasch aufgeschossenen Jüngling gleichen, dessen innere Organe mit der äußeren, imponierenden Gestaltung nicht Schritt gehalten halben. Wohl werden heute und in absehbarer Zeit sowjetische oder auch volksdemokratische Beauftragte und Berater von Vietnam bis Ägypten, von Kuba bis zum Kongo agieren und damit „voll beschäftigt“ sein. Doch dieser sowjetischen Expansion werden auch, wie alle geschichtliche Erfahrung lehrt, eines Tages Grenzen gesetzt sein.

Es geht doch einfach darum, daß die neue Generation des Sowjetblocks nicht mehr wie die Großväter und Väter auf Umstürze, Machteroberung, Besetzung und Beherrschung bedacht ist, sondern tatsächlich eher an eine gesamteuropäische Kooperation, an eine kontinentale „Indivi-duation“, an eine friedenswillige Welt „des neuen Menschen“ denkt. Gerade dieser „neue Mensch“ ist den Sowjets als Erziehungsaufgabe nicht geglückt, weil nicht Expansion nach außen, sondern der Weg nach innen, die Entfaltung der Persönlichkeit aus seelischen und Gefühlswerten die Natur und Technik, Fortschritt und Glück der Zukunft gestalten können. Mahatma Gandhi hat einmal gesagt: „Die Weltrevolution beginnt im Herzen jedes einzelnen“. Er meinte nicht Kriege, Gewaltsamkeit und Umstürze.

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