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Eine Attack

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Über die' Schweizer ist eine Schale — nein, eki Krug des Mißfallens ausgegossen worden. Man vernimmt da, die Schweiz habe während des Krieges „unter der unglücklichen Ära des Bundesrate Motta in dem faschistischen Italien und in Mussolini ein Ideal gesehen und andererseits gegenüber der Sowjetunion immer eine feindselige Haltung eingenommen“. Genau wie gegen che Sowjetunion habe die Schweiz „auch gegenüber allen anderen fortschrittlichen Ländern nur Feindschaft gekannt“.

Der nasch dir Schweizer Behörden, sich in die Hitlersche „Neuordnung Europas“ einzugliedern, habe sie veranläßt, ganz mit ihren ehrwürdigen Traditionen, als das klassische Land des Asylrechts, zw brechen. Menschen, die vor dem Tod in die Schweiz flüchteten, seien- ie manchen Fallen „der Gestapo wieder abgeliefert, oder — was dann schon ein besonderer Glücksfall war — in ein Zuchthaas gesperrt worden“, wo sie ohne Gerichtsverfahren Monate und Jahre verbrachten. Das Schweizer Gefängniswesen, das zwischen politischen und kriminellen Häftlingen bis 1944 keinen Unterschied gekannt, gehöre zu den „rückständigsten Europas“.

Dies und ähnliches bezeichnet nach derselben Aussage „jene Schweiz, von der beute nur wenig gesprochen wird“, aber von der za reden sich hier jemand genötigt fühlt.

Gegen unverdiente Schmähung ist niemand gefeit, und auch in der Schweiz wird es deshalb ob solchen Schicksals schwerlich viel Aufregung geben. Unser westliches Nachbarland bedarf auch nicht einer Verteidigung. Wohl aber #soll dazu nicht geschwiegen werden, daß jene giftigen Anwürfe in Wien geschehen.

Es wäre wissenswert, ob es sich dabei mir um che bösartige Extratour eines auf der äußersten Linken stehenden Wochenblattes handelt, oder ob man sich schämen muß, daß es irgendein österreichisches Parteilager gibt — und sei es noch so weit exzentrisch orientiert — in dem man vergessen kann, was die Schweiz und das Schweizer Volk für östereich in den Jahren schwerer Heimsuchung bis heute getan haben, nicht für eine satte bourgeoise Gesellschaft, nicht für irgend eine Parteifreundschaft oder konfessionelle Begrenztheit, sondern für Arme, Hilllose, für Gefangene, Hungernde, Kranke, vor allem für unsere Kinder und während der Hitlerherrschaft für viele Zehntausende von Rasseverfolgten und österreichischen politischen Flüchtlingen aller Richtungen, die über die Schweizer Grenze strömten, viele von ihnen, um ein jahrelanges Obdach zu finden. Dies alles wurde von unserem westlichen Nachbarn geleistet und großherzig ohne irgendwelche Ruhmrederei und ohne auf Dankesbezeugungen Anspruch zu erheben, so daß es heute nicht einmal ziffernmäßig genau bekannt ist, wieviel Österreicher seit 1938 in der Schweiz Asylrecht genossen und wieviel Kinder von Flüchtlingen in Schweizer Klöstern und anderen Instituten unentgeltlich Aufnahme, Erziehung und Ausbildung erhalten haben.

Zur Undankbarkeit hat niemand eine Legitimation. Aber wenn irgendwo solche Gesinnung gegenüber der Schweiz am schwerstcn und am tiefsten verachtet sein sollte, so im Bereiche eines politischen Systems, dessen Begründer im Zeichen des Schweizer Asylrechts zu den berühmtesten Schützlingen der Eidgenossenschaft gehört hat.

Das Anwachsen der Ehezerstörungen beschäftigt heute die Aufmerksamkeit der Soziologen und Bevölkerungspolitiker vieler Länder. Die Ziffern, die aus Berlin und London bekanntgeworden sind, deuten auf schwere gesellschaftliche Erkrankungen. Auch Österreich ist nicht verschont geblieben, um so weniger, als hier unter der nationalsozialistischen Herrschaft von oben her durch Gesetzgebung und Parteimoral daran mitgewirkt wurde. Die vom Statistwehen Zentralamt herausgegebenen „Statistischen Nachrichten“ (Heft 3) bieten in einer Reihe von Tabellen ein Erhebungsmaterial, das sehr zum Nachdenken anregt. Danach haben sich allein in der Zeit vom 28. April 1945 bis 31. Dezember 1945 4751 gerichtliche Ehelösungen in Österreich ergeben, hievon 2081 aBein im

Landesgerichtssprengel Wien und Burgenland, 268 in Nieder- und 838 in Oberösterreich, 225 in Salzburg, 1017 in Steiermark, 276 in Kärnten. Am wenigsten von der Ehezerstörung befallen erscheinen Tirol mit 31, Vorarlberg mit 14 Fällen. Nur 421 von den rechtskräftigen Urteilen auf Scheidung der Ehe erfolgten aus unverschuldeten Gründen, zumeist wegen „Auseinanderlebens“ der durch Gefangenschaft oder Verlust der gemeinsamen Wohnung getrennten Ehegatten. Bei 91 Prozent der Ehescheidungen lag gerichtlich festgestelltes Verschulden der Ehegatten vor. Dabei überwog mit 72 Prozent ehrloses oder unsittliches Verhalten schlechthin, zum Beispiel Trunksucht und andere schwere Verfehlungen, solche, wie der Bericht sagt, „die gemeinhin die sittlichen Grundlagen der Ehe zerstören“. Von den gerichtlich gelösten Ehen hatten 3 Prozent nicht einmal ein Jahr bestanden, 71 Prozent gingen innerhalb von 10 Jahren auseinander, 8 Prozent zerfielen aber noch nach mehr als 20jähriger Daner der Ehe. Am wenigsten haltbar erwies sich — und hier wurde eine alte Erfahrung bestätigt — die kinderlose Ehe; unter den 4751 gelösten Ehen waren 2450 ohne Kind gewesen, 1988 mit einem oder zwei Kindern. Nur 132 Ehen zerbrachen, bei denen drei bis vier Kinder vorhanden waren.

Leider sagen diese Ziffern noch nicht alles. Der Bericht vermerkt: „Da die Gerichte 1945 noch nicht überall ihre volle Tätigkeit aufgenommen hatten, werden erst im Jahre 1946 die ehezerstörenden Einflüsse der letzten Jahre sichtbar werden.“

Nur erraten kann man, wieviel Tragödien, Menschenschuld und Menschenleid sich hinter diesen Ziffern verbergen, Leid und Verderben vor allem, wo Kinder in die Katastrophe der Familie mitgerissen wurden. Der hier sichtbar werdenden Erkrankung kann am wenigsten durch Gesetze begegnet werden, ernsthaft nur durch eine gewissenhafte Therapie des öffentlichen sittlichen Bewußtseins.

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