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Im Zeichen der Armbrust

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Im folgenden soll von einer dei nteressantesten Erscheinungen im poli- Ischen Leben Großbritanniens dei Nachkriegszeit erzählt werden. Es sandelt sich um die Vereinigung ,B o w - Gr o up“' der heute aus 173 Mitgliedern bestehenden intellek- uellen Vortruppe der britischen Kon- ervativen, die trotz ihrer geringer vlitgliederzahl heute nicht nur im bri- ischen, sondern auch schon im inter- lationalen politischen Leben spür- saren Einfluß ausübt. Zunächst die Zor- und Entstehungsgeschichte, die söchst bezeichnend für britische Ver- lältnisse ist.

Bei den Parlamentswahlen des Jähes 1945 entschied sich die überwäl- igende Mehrheit der britischen Walter zum erstenmal seit 24 Jahren da- ür, nicht mehr der Konservativen 'artei ihre Stimme zu geben. Obwohl ler Führer dieser Partei, Winston Zhurchill, das Land zum Sieg im Krieg geführt hatte, obwohl seine Koalitions- egierung, in der die Labour Party nur 1s Juniorpartner verantwortlich mit- ezeichnet hatte, noch während des Krieges wichtige und tiefgreifende ozialpolitische und andere innere Re- orrnen durchgeführt hatte, entschied ich die Bevölkerung für Labour. In nrer Vorstellung waren die Konser- ativen mit allen Übeln der Vorkriegs- eit — mit der Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, dem außenpolitischen Versagen gegenüber Mussolini und litler — identisch. Eines der unaus- esprochenen inneren Ziele des Krie- es hat für die meisten Briten darin estanden, daß nach dessen Beendi- ung ein grundsätzlich neues Blatt in er Geschichte und auf allen Gebieten es Landes aufgeschlagen werden müsse, lessen wurden die Konservativen für nfähig und unwillig gehalten, leilsame Niederlage

Die Niederlage war ein schwerer chock für die Konservativen. Ihre ührer erkannten, daß sie, wenn sie anais wieder in die Regierung ge- 'ählt werden wollten, ihre ganze hilosophie und die Organisation der artei auf die geänderten Verhältnisse mstellen mußten. Trotz des Wider- tandes vieler ihrer alten Anhänger, ie „strampelnd und brüllend ins 0. Jahrhundert geschleppt werden Hißten“, machte sich die Führung thnell ans Werk Das geschah im 'esentlichen auf zweierlei Weise, rstens wurde die Partei auf viel brei-

„Bow" heißt auf deutsch Bogen.

tere und demokratischere Grundlager als vorher gestellt. Man sah ein, daf der Primat i für die Aufstellung eines konservativen Kandidaten nun nich mehr darin bestehen könne, daß ei aus gutem Hause und imstande sei finanziell für seine Wahlpropagands und für die zu erstellende Kautior aufzukommen. Die Organisation konservativer Gewerkschafter (deren es gar nicht so wenige in Großbritannier gibt, die aber niemals viel in der Konservativen Partei zu reden hatten' wurde reformiert und ausgedehnt unc ihren Mitgliedern und Funktionäre! bedeutend mehr Einfluß auf die Gestaltung der konservativen Politik eingeräumt. Das gleiche geschah be: der Jugend, die Jungkonservativer wurden zur größten Jugendbewegung der Nachkriegszeit in einem demokratischen Land; sie erhielten gleichberechtigte Vertretung und Mit- spracherecht auf sämtljphen Organisationsebenen der Partei. Hierbei traten die Vereinigungen konservativer Hochschulstudenten besonders in Erscheinung.

Ein ehemaliger Studentenführer als Minister

In der Führung selbst traten Männer in den Vordergrund, welche imstande waren, einzuschätzen, wie wichtig es in einer Zeit grundlegender sozialer und konzeptioneller Umbildung war, sich zu deren Erfassung wissenschaftlicher Methoden und der Menschen, welche diese beherrschen, zu bedienen. Dabei spielte ein Mann — neben einer Reihe anderer — eine

ganz besondere Rolle. Es war der heute 59 Jahre alte Richard Austen Butler (von seinen Freunden „Rab" genannt.,,.), ehemaliger Professor der Geschichte und modernen Sprachen an der Universität Cambridge, späterer Parlamentsabgeordneter, als Unterrichtsminister für eine revolutionäre Unterrichtsreform verantwortlich, die noch während des Krieges durchgeführt wurde, späterer Finanzminister, Lordsiegelbewahrer, Führer des Unterhauses und heute Innenminister Macmillans. Dieser Mann repräsentiert und illustriert durch seine Person und Geschichte die bedeutende Rolle, welche die Hochschulen schon immer bei der Gestaltung der britischen Politik gespielt haben. Es wird gesagt, daß die künftige Politik des Landes seit jeher in Oxford und Cambridge in den Studentenvereinigungen ausdiskutiert und gemacht wird. (Es ist fast immer eine der gegenwärtigen diametral entgegengesetzte Politik, was Ribbentrop vor Kriegsbeginn zu der für ihn bedauerlichen und irrtümlichen Annahme veranlaßte, daß die britische Jugend nicht bereit sein werde, zu kämpfen.) In den zahlreichen Dis- kussionsversammlungen der überparteilichen „Unions“ und in den Vereinigungen der einzelnen politischen Richtungen erproben sich die künftigen Staatsmänner, Politiker und Staatsbeamten Großbritanniens, mehr noch, des Commonwealth. Zum Präsidenten einer Studentenunion in „Oxbridge" gewählt zu werden, ist nahezu identisch mit einer späteren großen Laufbahn als Politiker. Butler war während seines Studiums Präsident der Studentenunion von Cambridge, und einer seiner Vorgänger war Nehru gewesen — zu einer Zeit, da in Indien der britische ,,Raj“ noch fest im Sattel saß und sich kaum träumen ließ, ihn jemals zu verlassen.

Nach der Wahlniederlage wurde Butler zum Initiator und Leiter des politischen Ausschusses der Konservativen Partei und dessen großzügig aufgebauten politischen und sozialpolitischen Forschungsdepartements. Außerdem entstand im sogenannten Conservative Political Centre sowohl die Clearingstelle als auch der Kanal für einen unaufhörlichen lebhaften Doppelstrom von Ideen zwischen der Mitgliedschaft und der Parteiführung. Das Political Centre wurde gleichzeitig zum Verbreitungszentrum und Verlagshaus der gewonnenen neuen

Erkenntnisse. Bei der Zufuhr von Ideen und Konzeptionen und deren Formulierung wurde bald von Butler und dem damaligen Parteivorsitzenden, Lord W o o 11 o n (ehemaliger Organisator des britischen Rationierungssystems während des zweiten Weltkrieges, der schon damals durch Ausnutzung wissenschaftlicher Methoden, die er mit starkem menschlichem Verständnis paarte, aufgefallen war, einer Gruppe immer mehr Bedeutung eingeräumt. Es war die „Bow-Group“, die übrigens ihren Namen von der im Londoner Ostend gelegenen Bow- und Bromley-Gegend erhielt, wo sie ihre ersten Zusammenkünfte in einem konservativen Parteilokal abgehalten hat. Immer wieder: die Fabier

Es wird von der Bow-Group nicht

Keinen Respekt vor der Parteidoktrin

Von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung und Stellung der Bow- Group ist, daß sie sich bis zum heutigen Tag volle Unabhängigkeit von der Partei erhalten hat. Sie ist keineswegs als eine von deren Propagandastellen anzusehen. Ebensowenig sind die einzelnen Mitglieder an irgendeinen kollektiven Standpunkt der Vereinigung selbst gebunden. Obwohl die Bow-Group ihre Hauptaufgabe wie folgend formuliert hat: „. Gelegenheit für konstruktives Denken über und für Erforschung von politischen und sozialen Problemen zu schaffen, die von Bedeutung und Interesse für die Partei im besonderen und die Nation im allgemeinen s i n d", ist die Bow-Group. bekannt für eine sehr kritische und zuweilen gar nicht ehrfürchtige Haltung gegenüber den heiligsten konservativen Glaubensartikeln So hat unlängst ein Autor der Vereinigung in deren Zeitschrift „Crossbow“ eine Arbeit über den britischen Rundfunk veröffentlicht, in welcher er die Ausdehnung der ziemlich staatlichen BBC gegenüber den kommerziellen und privat geführten Stationen empfahl. Ein konservativer Kritiker stellte den Verfasser deshalb zur Rede und wies ihn darauf hin, daß er gegen ein gründ-

lęgĮįMes konservativesPfiWfeifP qfei- stoßen habe, demzufolge die. Mei- nungsfreihcit nut' dutch pflVätt Fiįen-' tumsverhältnisse im Kommunikationswesen gesichert werden könne. Der durchaus als Konservativer bekannte Verfasser hatte darauf nur eine Ant

Die „Bow-Group" über sich selbst: „Die Vereinigung ,Bow-Group ist eine der britischen Konservativen Partei nahestehende Studien- und Forschungsgesellschaft. Sie wurde 1951 von ehemaligen Führern der Vereinigungen konservativer Hochschulstudenten gegründet. Die meisten, aber nicht alle ihrer Mitglieder sind Graduierte von Hochschulen. Die Vereinigung nimmt nur Bewerber um die Mitgliedschaft auf, die unter 36 Jahre alt sind. Bow-Group vertritt keine speziellen politischen oder materiellen Interessen. In ihren Reihen befinden sich Menschen aller Standpunkte. Sie ist von der Konservativen Partei unabhängig, steht jedoch ihren Grundsätzen nahe . . . Die Vereinigung hält regelmäßig allgemeine Mitgliederversammlungen ab, ihre Haupttätigkeit besteht jedoch in der Forschungsarbeit der Studiengruppen. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit werden als Broschüren und Memoranden und in Artikeln der Zeitschrift .Crossbow (Armbrust) veröffentlicht. Diese Veröffentlichungen bezwecken niemals die offizielle Ansicht der Partei, ja nicht einmal die kollektive Meinung der Vereinigung auszudrücken.

wort: „So what? — Na wenn schon. Mir kommt es beim Rundfunk nicht auf Eigentumsverhältnisse, sondern auf die Qualität an. Und die wird durch einen privat geführten Rundfunk nicht garantiert.“

Obwohl die Bow-Group aus solchen Gründen einerseits als „links“ verschrien ist, geniert sie sich keineswegs, einen „rechten" Standpunkt einzunehmen, wenn dies dem erforschten Sachverhalt entspricht. So hat der der Vereinigung angehörende Abgeordnete C h a 11 a w a y unlängst im „Crossbow" die Berechtigung einer der Säulen des Wohlfahrtsstaates in Frage gestellt — die der allgemeinen und gleichen Pension für Altersrentner — und Abstufungen verlangt. Ein anderer Verfasser der „Crossbow" stellte sich unlängst dagegen, daß der britische Staat noch immer für freie Mittagmahlzeiten und Jausenmilch an sämtliche Schüler Großbritanniens aufkomme, wie das seit dem Krieg und heute noch immer dort geschieht.

verschwiegen, daß bei ihrer und ihrer] Arbeitsmethoden Entstehung eine sozialistische Körperschaft — wenn auch unwillentlich — Pate gestanden ist: die britische Gesellschaft der F a b i e r. Diese sozialistische Intellektuellenvereinigung, die nicht mehr als fünfhundert, aber sorgfältig gesiebte, Mitglieder zählt, ist auch heute eines der bedeutendsten geistigen Kraftzentren Großbritanniens.

Ihre Arbeitsweise übernahmen nun die Bow-Group-Leute — nicht zuletzt auch, um den Einfluß der Fabier zu bekämpfen, vor allem aber, um die geistige Wiedergeburt des britischen Konservativismus, die Klärung und Abzeichnung seiner Standpunkte vor der britischen Öffentlichkeit gestalten zu helfen.

Der Bow-Group kommt es nicht darauf an, für links oder rechts gehalten zu werden. Ihr derzeitiger Vorsitzender, der 24jährige Cambridge- Absolvent Tom H o o s o n, der von Beruf Direktor einer Werbefirma ist und als Parlamentskandidat und Streiter um den Sitz des verstorbenen Aneurin Bevan politischen Pulverdampf gerochen hat, erklärt dazu: „Wir sind keine Nährstelle für einen linken oder rechten Flügel der Konservativen Partei. Entscheidend sind für uns nur die jeweiligen Ergebnisse und Schlußfolgerungen der einzelnen Arbeiten der Studiengruppen.“

Um deren Qualität zeigt sich die Vereinigung immer sehr besorgt. Ko-

»ien der Manuskripte zu den einzelnen Broschüren werden allen Mitgliedern zur Begutachtung vorgelegt und in den allgemeinen Mitgliederversammlungen diskutiert und kritisiert und sodann abgelehnt oder angenommen. Durchschnittlich wird einer von drei Entwürfen abgelehnt, wobei zu bedenken ist,, daß es sich dabei immerhin um Arbeiten von Leuten handelt, die in Oxford und Cambridge, dem dortigen System entsprechend, allwöchentlich einen Essay über einen Gegenstand vorzuweisen hatten.

„Was kommt nach dem Wohlfahrtsstaat?“

Die derzeitigen Gruppenarbeiten beschäftigen sich unter anderem mit folgenden Themen: „Was kommt nach dem Wohlfahrtsstaat?“, „Die weitere Entwicklung des Commonwealth", „Wirtschaftliche Konsequenzen der Abrüstung“, „Internationale Aspekte der Abrüstung“, jedoch auch mit engeren Gebieten, wie: „Woher Lehr- linge nehmen?", „Verkehrssicherheit“, „Konsumentenschutz“, „Die Zukunft der Landwirtschaft“, „Welche Aussichten haben kleine Geschäftsleute in Zukunft?".

Vor uns liegt eine aus dem Jahre 1956 stammende Bow-Group-Bro- schüre über das Mieten- und Wohnungsproblem, das sich damals in Großbritannien infolge eines schon lange bestehenden Mietenkontroll- gesetzes trotz dort anders gearteter Gegebenheiten ähnlich darstellte wie unser eigenes, mit dem Mieterschutzgesetz verbundenes Problem. Wie in dieser Broschüre die Geschichte sowie

die Voraussetzungen und verschiedenen Seiten des Problems bei voller Berücksichtigung aller nur irgendwie davon betroffenen Kategorien auf verantwortliche, sachliche und doch ethische Weise angegangen werden, könnte als Muster für eine bei uns zu unternehmende Arbeit über das Wohnungsproblem dienen.

In einer Reihe von Ländern wird heute erwogen, wie man dem Beispiel der Bow-Group folgen könne.

Auf eine wichtige Voraussetzung für das Entstehen der Bow-Group soll jedoch jeder hingewiesen werden, der etwa in Österreich die Möglichkeiten für die Schaffung einer solchen Organisation erwägt: Die Bow-Group wäre nicht möglich ohne das phantastisch hohe Entwicklungsniveau des britischen Hochschulwesens und -lebens. Trotz der modernen Anforderungen hat man es dort verstanden, immer noch der individuellen und gruppenweisen Erarbeitung von Erkenntnissen den Vorrang anstatt einer stupiden Massenausspeisung mit „Wissensmaterial“ in überfüllten Lehrfabriken alias Vorlesungssälen zu geben. Anderseits haben dort die Unterrichts- und Hochschulbehörden allzeit die Bedeutung eines die offizielle Studientätigkeit ergänzenden, intensiven Gemeinschaftslebens der Studenten mit seinen zahlreichen Versammlungen und Diskussionen über alles und jedes eingesehen, weil die Hochschüler dabei vor allem eines lernen: selbständig und verantwortlich zu denken und sich als künftig wirksame Teilnehmer am öffentlichen Leben ihrer Nation zu betrachten.

und wir werden veröffentlichen, wenn er etwas Neues bringt." Nun, Georg Lukäcs hat, wie wir später erfuhren,: den ersten umfangreichen Band seiner „Ästhetik“ abgeschlossen, wir warten also auf sein baldiges Erscheinen. Ebenso wird es uns interessieren, die in mehreren westlichen Ländern veröffentlichte, vielbeachtete Schrift „Wider den mißverstandenen Realismus" von Lukäcs endlich auch in ungarischer Sprache vorliegen zu sehen. Können wir damit rechnen?

Und können wir erwarten, daß die Werke, und zwar die Hauptwerke, yon Bernanos, Claudel, Bruce Marshall, Evelyn Waugh, Durell, Giraudoux, Christopher Fry, Jonesco, um nur einige wenige zu nennen, demnächst, herauskommen? Wir antworten uns selbst: Wohl kaum. Aber man diskutiert, wie ich von anderer Seite erfuhr, über die Veröffentlichung von Graham Greenes „Herz aller Dinge“ und Max Frischs „Homo faber“. Langsam, langsam weitet sich der Kreis, Langsam, aber immerhin. Man weist darauf hin, daß in den Literaturzeitschriften auf eine ganze Reihe von im Ungarischen unveröffentlichten Autoren hingewiesen werde, man sie auch abdrucken, etwa Jonesco, Adamov, Hochwälder — aber dort werden sie natürlich nur von ein paar Fachinteressierten gelesen. Fragt man weiter, so kommt die erwartete Antwort: „Wir müssen alle westlichen Buchrechte in Devisen bezahlen. Und jetzt noch diese hohen Auflagen. Devisen aber haben wir keine. So sind wir einfach gezwungen, uns zu beschränken.“

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