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Katholischer Roman — ein Schmerzenskind?

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Der katholische, deutsch geschriebene Roman ist ein Schmerzenskind, der in deutschen Landen durch seine Nichtexistene hervorsticht. Er ist schon deshalb schwach entwickelt, weil er „verpflichtete Literatur“ darstellt. Die ganze Problematik des deutschen Romans gilt für ihn, und dazu kommt noch die oft fragwürdige Stellung des Katholiken im deutschen Raum, die sich von Landschaft zu Landschaft mit ihren Akzenten verändert, dennoch aber einen gemeinsamen Nenner besitzt.

Hier müssen wir uns zuvorderst daran erinnern, daß die Geschichte der katholischen Kirche im deutschen Bereich eine Geschichte fürchterlicher Niederlagen, bitterer Demütigungen und zäher Erneuerungsbewegungen ist. In diesem Zusammenhang darf man freilich auch nicht vergessen, daß die Aszendenz des evangelischen Christentums im 19. und 20. Jahrhundert mehr Schein als Sein war, denn das reine Staats-kirchentum, die üble Synthese mit dem Nationalliberalismus, das (mit den Katholiken gemeinsam getragene) Leiden im „Dritten Reich“ und die Teilung von 1945 kann man nicht gerade als Triumphe werten. Wenn nun auch das Staats-kirchentum in der wilhelminischen Epoche einer Hegemoniestellung gleichzukommen schien, so steckte doch in Wirklichkeit das ganze echte Christentum, sei es nun evangelisch oder katholisch, in einem wahren Ghetto. Der bürgerliche Materialismus und der Relativismus beherrschten das Feld, und wenn auch das evangelische und das katholische Ghetto jeweils ein anderes Profil aufwiesen, so vertraten sie beide jedoch nur eine christliche Existenzform im Exil. Eine solche, lange währende Epoche läßt sich nicht von heute auf morgen vergessen oder auch innerlich überwinden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß wir heute bei beiden Bekenntnissen von großen Erneuerungen reden können, worüber uns das Gezeter einer deutschen Halbintelligenz agnostischen Charakters, die ge'stig immer noch im verflossenen Jahrhundert lebt und einen seelischen Cul-de-Paris trägt, nicht hinwegtäuschen darf. Doch ein Sklave, der befreit wird, es zu Bildung und Reichtum bringt, wird seine alten knechtischen Hemmungen nicht von einem Tag auf den anderen loswerden. Vergessen wir dabei nicht, daß besonders im ,.Altreich“ das katholische Ghetto nur zu oft auch soziologische Züge trug, was beim evangelischen Ghetto zum größten Teil wegfiel. Anderseits war auf beiden Seiten der Salzach und des Oberrheins das lebendige Christentum aus den intellektuellen Schlüsselstellungen — Universität, Theater, Verlag, Großpresse — künstlich von der „inneren Inquisition“ der sogenannten Liberalen herausgehalten worden. „Thron und Altar“ waren seit mehr als anderthalb Jahrhunderten vor dem Zusammenbruch im Jahre 1918 isoliert. Und wie sehr auch deutsche und amerikanische Verhältnisse auseinanderklaffen, auch hierin gibt es zahlreiche geistig-kulturell-religiöse Parallelen geschichtlicher, soziologischer und phänotypischer Natur, die zum Teil dazu beigetragen haben, spezifische Minderwertigkeitskomplexe konfessioneller Natur aus dem deutschen Raum in die Vereinigten Staaten zu verpflanzen. Die Ghettoluft, die einen aus dem irisch-katholischen Milieu der USA anweht, ist nicht viel penetranter als die im deutsch-katholischen Bereich Amerikas, und diese wieder gemahnt an das äußerst defensive Luthertum der Missourisynode.

Träger des Christentums waren bei uns bis vor vierzig Jahren der Adel, das Bauerntum und ein Sektor des (viertelgebildeten) Kleinbürgertums. Die Halbgebildeten hingegen waTen der „Aufklärung“ und dem „Fortschritt“ verfallen und wurden so zu den ahnungslosen Großvätern der Tschekakeller und Gaskammern. Der Umstand, daß die wichtigsten Bildungsschichten, besonders aber das Großbürgertum, dem Säkularismus, dem „Antiklerikalismus“, dem Agnostizismus und der religiö-en Gleichgültigkeit huldigten, war katastrophal. Nach dem Zusammenbruch des Altliberalismus unter den Hammerschlägen von zwei Weltkriegen und der Tyrannis mußten die Christen aus dem Ghetto herausgeführt und das christliche Leben in seinen geistigen und künstlerischen Aspekten wieder aufgebaut werden. Zweifellos sind dabei große Einbrüche in das „gehobene“ Bürgertum erzielt worden, aber abgesehen von der Arbeit einer Handvoll Adeliger und Intellektueller sind die Agenda des deutschen Christentums (besonders im katholischen Sektor) eine in ihren Wurzeln kleinbürgerliche Angelegenheit geblieben. Der unsichtbare Genius des katholischen Verlagswesens in Mitteleuropa scheint Karl Spitzweg zu sein. Die Problematik der katholischen Literatur bewegt sich somit zwischen den Polen der Freiheit und Unfreiheit. Was uns fehlt, sind innerlich freie Menschen, die frei schaffen. Allerdings ist die christliche Ghettosituation keineswegs auf die deutschen Länder beschränkt. Christen in der modernen Welt sind oft „Sklaven untereinander“, mit dem von ihrem Stand untrennbaren Neid, Verdacht? Intrigantentum, Furcht und Unsicherheit. So konnte auch Bloy vor einem halben Jahrhundert schreiben: „Les seuls ennemis veritables de l'ecrivain catholique en France sont les catholiques. — Die einzigen wirklichen Feinde des katholischen Schriftstellers in Frankreich sind die Katholiken.“

Aus „Zwischen Ghetto und Katakombe“. Verlag Otto Müller, Salzburg.

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