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Österreichisches Konklave

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Als am 1. Mai in Mariazell die dreihundertdreißig Teilnehmer einer Studientagung, die der Aufbereitung der Materialien für den im September stattfindenden Allgemeinen österreichischen Katholikentag galt, sich nach feierlicher Einleitung zum erstenmal in ihren verschiedenen Arbeitskreisen versammelten, waren es auf den Tag und fast auch auf die Stunde genau 75 Jahre, seit in Wien zu dreitägiger ähnlicher Arbeit die Fachsektionen des ersten „Allgemeinen österreichischen Katholikentages für die gesamte Monarchie“ ihre Vorarbeiten für die krönenden „beschlußfassenden Versammlungen“ begonnen hatten. Wie jetzt stand auch damals eine schwere Bürde sorgenvoller und noch in jähem Flusse befindlicher Probleme zur Debatte. Aber wie hart die Generationen vor uns an ihren Aufgaben und Pflichten getragen haben mögen, wie unendlich komplizierter, weitausgreifender und in die Tiefe der Lebensgestaltung des einzelnen und der ganzen Gemeinschaft ist doch der Auftrag, unter den der moderne christliche Mensch gestellt ist. Nicht allein die Mannigfaltigkeit ungelöster Fragen und Konflikte bedrängt den Christen von heute — was einst in der Regel innerstaatliche Angelegenheit war, nicht selten abriegelbar gegen den außergrenz- lichen Raum — das hat heute europäische und sogar sehr oft weltweite, die ganze Menschheit umspannende Maße von existentieller Kraft angenommen. Damals, in dem Verfassungsstaat des alten Österreich, über dem noch die letzten Schatten des Josephinismus wölkten und der Liberalismus eine souveräne geistige und wahre wirtschaftliche und soziale Macht ausübte, es aber doch noch eine letzte persönliche Autorität gab, an die sich ein Appell an das Recht und die Gerechtigkeit wenden konnte, hatte die Zersetzung der gesellschaftlichen Struktur und der Grundelemente der Gemeinschaft noch nicht annähernd den Zustand von heute erreicht: noch nicht in der Unterminierung der Ehe, der Familie, dem Schutz des Kindes, der Proletarisierung der kleinbürgerlichen Welt; das Dorf stand, soziologisch gesehen, noch wie eine Burg, die Jugend von Stadt und Land umwogten noch nicht aus umwälzenden Erfindungen die Gefahren, gegen die Polizeimaßnahmen unzulänglich sind, so daß gegen sie neue nicht nur in Parlamenten und Parteien geborene Gesetze für die Erziehung im Elternhaus, Schule und Gesellschaft wirksam werden müssen.

Wo man sich vor 75 Jahren noch mit Sektionen für Schule, Kunst und Wissenschaft und katholisches Leben in eingehenden Beratungen begnügen und sich darauf beschränken konnte, in einer planmäßig vorbereiteten Sektion das Gebiet der sozialen Frage gründlich zu durchpflügen und zur Fortsetzung dieser aufschließenden Arbeit einen solchen Anstoß zu geben, daß er in der sozial- reformerischen auch heute noch mustergültigen Gesetzgebung der achtziger Jahre seine Spur ausdrückte, dort sieht sich heute der christliche Aktivist von einer solchen Vielheit der antwortheischenden Aufgaben umringt, daß für ihn und seine Freunde eine sorgfältige planmäßige Arbeitsteilung, die gleichzeitig Zersplitterung vermeidet und in höherer Einheit ihre Spitze findet, zur unausweichlichen Notwendigkeit wird.

Diesem Gebot entsprang die Aufgliederung der Mariazeller Studientagung in ihre fünfzehn Arbeitskreise, deren Themen von Aktualität gesättigt waren, wo immer .sie vom Grundsätzlichen her in das Praktische der in ihrem Raume gestellten Aufgabe griffen. Abseits vom Getriebe einer großen Stadt, an einer Stätte, die ihr Gleichmaß aus ihrer religiösen Würde empfängt, tagten die einzelnen Fachberatungen in einer ungezwungenen, aber doch geschäftsordnungsmäßigen Abgeschlossenheit, in ihrer Gesamtheit ein in Autonomien gegliedertes Konklave.

Beiläufig ist die Weite des Auftrages, unter dem diese Studientagung stand, schon durch die Arbeitsthemen angedeutet, mit denen sich die fünfzehn Studienrunden zu beschäftigen hatten: an der Spitze stand der Leitgedanke des geistigen Gesamtbaues: „Freiheit und Würde des Menschen“, und weiterhin: „Die missionarische Situation in Österreich und deren Bewältigung sowie die materiellen Grundlagen der kirchlichen Arbeit“; „Der Katholik in Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit Nichtkatholiken“; „Ehe und Familie, Kinderbeihilfen und Familienausgleichskassen ; „Die Würde der Frau und ihre Stellung in der modernen Welt“; „Arbeiter und Kirche“; „Rettung des Dorfes“; „Die Krise der Intellektuellen“; „Erziehung, und Konfession“; „Christliche Erwachsenenbildung“; „Presse“; „Film“; „Rundfunk“ und schließlich die „Sozialen Probleme: Mitbestimmung des Arbeiters, Flüchtlingsfragen, Wohnung und Siedlung, und „Die Bedrohung der Freiheit in Wirtschaft und Staat“.

Es scheint, daß es Zweifler gegeben hat, welche die Zweckmäßigkeit des Umfanges der Zielstellungen und die Fruchtbarkeit des gewählten Modus in Frage zu stellen geneigt waren und besorgten, daß das Wirkliche, Notwendige, Lebensechte im Doktrinären ersticken könnte. Die Tagung hat Dilettantismus vermieden, zusammengeführt, wo es zu einigen gab, klare Zielstellungen erreicht und — wie aus ruhiger Beurteilung gesagt werden darf — Impulse gegeben, die weiterwirken werden. Die tiefe religiöse Verinnerlichung, die unaufdringlich aus dem Rahmen dieser Tagung auf die Sach- beratungen überstrahlte, gab ihnen Würde und Weihe und in ihren Entschließungen einen echten sachlichen Ertrag. Das Eisen glüht, nun gilt es aber, zu rechter Zeit es gut zu schmieden.

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