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Psychologie hat Vorrang

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In dem Maße aber, in dem die gegenseitige Abschreckung das Militärpotential der Weltmächte neutralisiert, weil die Furcht vor einem gegenseitigen Selbstmord den totalen Krieg als Lösung irgendwelcher Probleme der internationalen Politik unglaubhaft werden läßt, in dem Maße steigen die Chancen der Diplomatie als der Methode der friedlichen Austragung von internationalen Konflikten. Nie zuvor wurden an die Diplomatie der großen Mächte höhere Anforderungen gestellt, denn nie zuvor ist es um Sein oder Nichtsein in einem so buchstäblichen Sinne gegangen wie jetzt. Freilich, die klassische Diplomatie des 18. und

19. Jahrhunderts muß um einige Dimensionen bereichert werden, will sie unter den Bedingungen des Machtkampfes in der zweiten Hälfte des

20. Jahrhunderts bestehen: die Demokratisierung der Weltpolitik hat der Beeinflussung der öffentlichen Meinung eine ungeheure Bedeutung eingeräumt. Ferner hat der Aufbruch der Entwicklungsländer einen neuen und ungewohnten Bereich der Wirtschaftsdiplomatie geschaffen, der sich des Instrumentariums der Entwicklungshilfe bedient.

Dazu kommt die immer wieder von George F. Kennan hervorgehobene Tatsache, daß eine weltweite Auseinandersetzung auf nichtmilitärischer Ebene, auf der Ebene des politisch-psychologischen und wirtschaftlichen Kampfes, der sowjetisch-kommunistischen Mentalität durchaus kongenial ist. Anderseits sind gerade die Vereinigten Staaten ihrer ganzen Tradition nach nicht auf politischpsychologische Machtkämpfe in der internationalen Politik eingestellt. Im Gegensatz zur sowjetischen Außenpolitik, die den Primat des Politischen über das Militärische stets anerkannt hat, hat die amerikanische Außenpolitik oft den Primat militärischer Überlegung widergespiegelt, und zwar aus einem sehr merkwürdigen und überraschenden Grund: Gerade weil in der amerikanischen Geschichtstradition der Friede mit der Abkehr von Europa und dem Aufbau einer neuen, besseren Gesellschaft in der Neuen Welt verknüpft war, gerade deshalb wurde die Teilnahme an der Weltpolitik, die Aufgabe der isolationistischen Grundhaltung mit kriegerischen Verwicklungen schlechthin verbunden.

Weltmacht wider Willen

Sowohl der erste wie der zweite Weltkrieg bestärkten diese amerikanische Geisteshaltung, welche die Hoffnung enthielt, durch möglichst schnelle und erfolgreiche Beendigung eines militärischen Konflikts wieder zum Normalzustand eines von weltpolitischen Händeln unberührten Friedens zurückkehren zu können. Es gehört zu den schmerzlichsten Erfahrungen Amerikas, der „Weltmacht wider Willen“ (Prof. Ernst Fraenkel), in einem schwierigen Erziehungsprozeß, an dem Männer wie George Kennan oder Walter Lippmann hervorragenden Anteil haben, belehrt zu werden, daß die andauernde machtpolitische, aber nicht notwendigerweise kriegerische Verstrickung mit den Angelegenheiten anderer Länder und Erdteile nun zu den „facts of life“ gehört. Diese Erkenntnis, die Entdeckung der Interdependenz der Vereinigten Staaten mit der übrigen Welt, ist aber auch eine Voraussetzung für eine qualitative Verbesserung der amerikanischen Diplomatie, die jenes Improvisieren, jene Defensivstellung und jenen Mangel an Konzept vermeiden könnte, die der freien Welt zum Schaden gereicht haben.

Aus mannigfachen Gründen hat sich nun, wie Paul-Henri Spaak es ausgedrückt hat, das Schwergewicht der weltpolitischen Auseinandersetzungen von der militärischen auf die politisch-psychologische und die wirtschaftliche Ebene verlagert. Die neue Waffentechnik, der Aufbruch der Entwicklungsländer, die kommunistische Strategie der Machtausweitung, die Demokratisierung der Weltpolitik etwa in der Generalversammlung der UNO, all dies hat zu dieser Verlagerung beigetragen. Diese Verlagerung der Methodik der Weltpolitik eröffnet nicht nur der Diplomatie im allgemeinen Wirkungsmöglichkeiten von größter Tragweite, sie bietet gerade der Diplomatie eines neutralen Kleinstaates, wie etwa der Schweiz oder Österreich, große Chancen.

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