Alt braucht Jung - und umgekehrt

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Das Generationenverhältnis ist im Umbruch - und zugleich von größter Bedeutung für unsere individuelle Menschlichkeit. Unsichere Pensionen, atypische Beschäftigungsverhältnisse, schwindende politische Macht: Die fetten Jahre für die Jungen sind scheinbar vorbei. Hat also die junge Generation guten Grund, sich betrogen zu fühlen? Nicht zwingend: Zwar sind die Jungen mit unsicheren Zukunftsentwürfen konfrontiert, stellen aber auch die Generation der Erben und haben neue Bildungschancen - freilich oft ohne dazupassende Jobs. Nur eines scheint sicher: Dass das Verhältnis zwischen Alt und Jung an (politischer) Brisanz gewinnt. redaktion: doris helmberger

Mamas, die stolz sind, für die älteren Schwestern ihrer Töchter gehalten zu werden. Väter, die mit ihren Söhnen lernen, über ihre Gefühle füreinander zu sprechen. Kinder, die noch Urgroßmütter haben, die ihnen Märchen erzählen. Diskussionen um Frühpensionierungen, die nach Ansicht der einen Arbeitsplätze für junge Menschen freimachen, nach Meinung der anderen ein Ausdruck dafür sind, dass die "Alten" noch rechtzeitig auf Kosten der "Jungen" die letzten Staatsressourcen "abzocken". Solche Bilder fallen mir ein, wenn ich über das Generationenverhältnis nachdenke.

Elementare Beziehung

Kein Zweifel: Das Generationenverhältnis ist im Umbruch. Dabei gehört es - wie etwa auch das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, zu Natur, Politik und Transzendenz - zu den elementaren Grundlagen jeder Zivilisation: Die Art, wie es gedacht und gestaltet wird, entscheidet darüber, ob Menschen in einer Gesellschaft menschlich leben können oder nicht. Denn es konkretisiert, wie wir es mit zentralen menschlichen Fähigkeiten halten:

* werden und vergehen: Im Generationenverhältnis wird leibhaftig erfahrbar, dass wir wachsen und uns entwickeln, verändern und sterben werden.

* zeugen und gebären sowie gezeugt und geboren sein: Das Generationenverhältnis lehrt, dass wir sind, weil andere uns das Leben geschenkt haben - aber auch, dass wir selbst Lebensschöpfer/innen sein können.

* erinnern und hoffen: Das Generationenverhältnis ist der Urort, konkret zu erfahren, was es bedeutet, in der Zeit, als endliches Geschöpf zu leben.

* schenken und empfangen, bitten und danken: Zwischen den Generationen wird nicht nur das Leben, es werden auch Sinn, Weisheit, Wahrheit weitergegeben und weiterentwickelt.

* miteinander und füreinander da sein: Als Urbeziehung kann das Generationenverhältnis lehren, was Liebe und Verbundenheit konkret bedeuten.

* aneinander schuldig werden - einander verzeihen: Die Beziehung zwischen den Generationen ist ständig vom Scheitern bedroht - und daher immer auch ein Ort von Gewalt und Schuld. Die Mehrzahl aller Gewalttaten passiert in Familien, Eltern bleiben ihren Kindern immer etwas an Liebe schuldig, die Versuchung, auf Kosten einer anderen Generation zu leben, ist groß - man denke an die Ökologiekrise. Zugleich kann gerade zwischen den Generationen gelernt werden, dass Ent-Schuldigung möglich ist.

Politische Brisanz

Das Generationenverhältnis ist schließlich auch politisch hochbrisant - und gefährdet. Es erstaunt nicht, dass die beiden totalitären Systeme des Nationalsozialismus und des Stalinismus immense politische Energien in die Trennung der Generationen investiert haben: frühzeitige Trennung der Kleinstkinder von den Eltern, Schaffung von Kinder-, Jugend-, Erwachsenen-, Altenorganisationen - wobei insbesondere die Sicherung der Macht über die junge Generation im Zentrum stand.

Generationale und erst recht familiale Bindungen sind eben widerständig und stören das Streben nach totaler Verfügbarkeit über den Einzelnen. Hier wird sichtbar, dass die politische Bedeutung des Generationenverhältnisses keineswegs mit der idyllisierenden Beschwörung von traditionellen Familienformen als "Keimzelle des Staates" ident ist. Die Sicherung der Freiheit des vorpolitischen Generationenzusammenhangs ist vielmehr nötig, um unsere Menschlichkeit auch im politischen Zusammenleben zu wahren und zu entwickeln. Dabei meint Generationenzusammenhang gerade nicht nur die familialen Abstammungsverhältnisse: Auch kinderlose Menschen leben in Generationenverhältnissen und sind verantwortlich für die Generationen vor und nach ihnen; auch zwischen "geistigen Vätern und Müttern" und deren Schüler/innen besteht ein generationaler Zusammenhang.

Vergessene Jugend?

Vielerorts wird heute gesagt: Im Kampf der Generationen werden die Jugendlichen vergessen. Und das stimmt auf gesellschaftlicher und politischer Ebene auch: Jugendarbeitslosigkeit ist ein Signal, dass die Gesellschaft keine Verwendung für ihren Nachwuchs hat; prekäre Arbeitsverhältnisse teilen den jungen Menschen mit, dass die Gesellschaft offensichtlich kein Interesse daran hat, dass sie sich eine stabile und verlässliche Zukunft aufbauen können. Aber: Vergessen werden auch alte, behinderte, kranke Menschen - alle, die im globalen Konkurrenzkampf um die besten Plätze der Zukunft nicht mitkönnen oder wollen.

Zugleich darf man nicht übersehen, dass es durchaus auch politische Initiativen gibt, die versuchen, die vergessenen Gruppen - auch die Jugendlichen - zu integrieren. Wie wichtig der Generationenzusammenhang ist, wissen junge Menschen überdies auch: Die überwältigende Mehrheit der Jugendlichen ist aktuellen Jugendstudien zufolge mit ihren Eltern durchaus sehr zufrieden und ihnen gegenüber solidarisch.

Familialisierte Probleme

Die Bedrohung des Generationenzusammenhangs wird virulent im politischen Raum: Warum junge Menschen für alte Menschen, die sie nicht kennen, Steuern zahlen sollen, ist vielen nicht mehr verständlich. Dieses Bröckeln des gesellschaftlichen Generationenzusammenhangs bedroht mittelfristig auch die familiale Ebene. Die Bedeutung der Generationenfragen für eine friedliche, gerechte und gemeinwohlorientierte Gesellschaft wird übersehen. Sie werden einseitig familiarisiert - oder aber es wird geglaubt, man könne sie mit politischen, ökonomischen oder technokratischen Lösungen allein lösen. Es ist aber eben nicht nur ein politisches, ökonomisches, nicht einmal nur ein psychologisches Problem, wenn ein junger Mensch keine Arbeit findet oder sich von Projektvertrag zu Projektvertrag hantelt. Es wird vielmehr deutlich, wie es eine Gesellschaft mit den oben erwähnten menschlichen Grundfähigkeiten hält.

Im Verhältnis zur Zeit leben alle Generationen gegenwärtig in einer aufgeblähten Gegenwart und blicken gebannt auf eine Zukunft, von der sie sich wenig Neues, wenig Besseres erwarten - geeint im Konkurrenzkampf um die vorhandenen Ressourcen. Die Daten einer europaweiten Jugendstudie (Youth in Europe von Hans G. Ziebertz und William K. Kay) zeigen erschreckend, wie groß das Ausmaß von Zukunftspessimus bei einer Mehrheit der jungen Menschen sind. Die Dominanz der Gegenwart im Verein mit Geschichtsamnesie und Hoffnungslosigkeit wird auch deutlich, wo das Jugendalter als eigenständige Lebensphase verschwindet, weil die gesellschaftlichen Probleme längst die Lebenswelten von jungen Menschen erreicht haben. Für intergenerationales Erinnern oder das Erträumen von Zukunft bleibt kaum Zeit.

Doch die Probleme der Gegenwart bedrohen alle Generationen. Gleichzeitig nötigt der kategorischer Imperativ, jung und aktiv zu bleiben, alle Generationen dazu, nicht - oder wenn, dann "erfolgreich", gesund und leistungsstark - alt zu werden. Am deutlichsten wird der Verlust der Hoffnung auf Zukunft aber dort, wo immer weniger Kinder geboren werden.

Neue Generationenghettos

Auch auf makrosoziologischer Ebene ist der Generationenzusammenhang empfindlich gestört. Man kann dies an vielen Signalen erkennen: Außerhalb der Familien gibt es für junge Menschen kaum Möglichkeiten, mit Menschen aus anderen Generationen zusammenleben zu lernen - insbesondere im urbanen Raum. Die wachsende Bedeutung, die die Peer-Group für junge Menschen hat, spiegelt auch die Reduktion anderer sozialer Beziehungsräume wider, in denen die Generationen einander begegnen können. Die verstopften Tradierungskanäle in ethischen, religiösen, spirituellen Fragen verweisen erneut auf die Existenz unsichtbarer Generationenghettos. Ein schleichender Verlust demokratischen Denkens - das Demokratie nicht nur als Abstimmungsmaschinerie im Konflikt von konkurrierenden Lobbyisten, sondern als partizipatorische Gestaltung des Gemeinwohls versteht - zeugt schließlich von einer Schwächung im politischen Denken, ungeachtet der hohen Solidaritätsbereitschaft einer Mehrheit junger Menschen. Die Situation ist also höchst widersprüchlich.

All das soll nun nicht den Eindruck erwecken, mit den jungen Menschen sei es schlimm bestellt, das Generationenverhältnis zerstört und alles liege im Argen. Ebenso nüchtern wie die Gefahren sind auch die Potenziale und Ressourcen zu benennen. So funktioniert auf der Ebene der Familien das Erlernen eingangs erwähnter menschlicher Grundfähigkeiten dank intakter Generationenbeziehungen noch nach wie vor. Junge Menschen entwickeln auch - wie jede Generation zuvor - heute die entsprechenden Fähigkeiten, um zu überleben. Auch Politik und Wirtschaft sind bestrebt, die anstehenden Probleme junger Menschen zu lösen.

Nötiges Nachdenken

Aber genau hier liegt der Punkt: Ich glaube, dass politische und ökonomische Maßnahmen, um junge Menschen (oder all die anderen "Vergessenen") zu integrieren, allein nicht reichen werden - wenn man das Getriebe nicht auch einmal anhält und nach den Ursachen des Vergessens fragt. Jugendförderprogramme, neue Bildungskonzepte und vermehrte Kinderbetreuungsplätze sind sinnvolle und nötige Maßnahmen. Sie werden aber Symptombekämpfung bleiben, wenn nicht auch nachgedacht wird - darüber, wieso es dazu kommt, dass Menschen vergessen werden können oder eine Generation, die Jugendlichen, ausstirbt und in 30 Jahren nur mehr eine Minderheit von 15 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen wird. Eine der zentralen Ursachen liegt darin, dass wir die Bedeutung des Generationenverhältnisses für unsere individuelle und politische Menschlichkeit vergessen haben; dass menschlich leben mehr bedeutet als das Überleben jeder neuen Generation.

Was zu tun ist, werden wir erst erkennen, wenn wir innegehalten und verstanden haben, was es bedeutet, ein Geschöpf zu sein, das auch in einem Generationenzusammenhang lebt.

Die Autorin leitet das Institut für Pastoraltheologie an der Universität Wien.

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