Kranker Machtkampf um die Kassen

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Es ist das gute Recht der Regierung, das Gesundheitssystem auf ihre Art sanieren zu wollen. Dabei jedoch die politische Kultur des Landes zu zerstören, ist inakzeptabel.

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Es ist das gute Recht der Regierung, das Gesundheitssystem auf ihre Art sanieren zu wollen. Dabei jedoch die politische Kultur des Landes zu zerstören, ist inakzeptabel.

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Krankenkassenbrillen waren in meiner Schulzeit ein fürchterlicher Makel. Wer gezwungen war, die unmöglichen Fassungen mit der noch unmöglicheren Farbgebung zu tragen, musste für die eigene bessere Sicht den abfälligen Blick der Schulkollegen in Kauf nehmen. Schon damals am falschen Platz gespart?

Jahre später in der Geburtenstation eines Landeskrankenhauses: Mutter und Neugeborenes verbringen den Großteil des Tages und einen Teil der Nacht auf dem Gang, da sie das Kommen und Gehen der vielen Besucher, das Lachen und Weinen und Tratschen im übervoll belegten Zimmer nicht mehr aushalten. Am anderen Ende des Flurs sieht die genervte Mutter die Sonderklasse-Zimmer, die maximal drei Mütter und ihren Nachwuchs beherbergen. Auch am falschen Platz gespart?

Zwei willkürliche und im Verhältnis zu anderer Unbill eigentlich harmlose Beispiele, die aber doch deutlich zeigen, wie - trotz aller Dementis - geläufig und akzeptiert schon seit Jahrzehnten die Zweiklassenmedizin in Österreich ist. Wer besser aussehen möchte, angefangen von der Brille bis zu den Zähnen, wer den gewohnten Komfort auch bei einem Krankenhausaufenthalt nicht missen will, muss mehr zahlen, rechtzeitig in die private Gesundheitsvorsorge inves-tieren, ansonsten schaut er in diesen Fällen zwar nicht durch die Finger, aber durch eine unmodische Hornbrille oder sehnsüchtig in Richtung Sonderklasse und denkt sich wohl des öfteren: Am falschen Platz gespart.

Ist diese Entwicklung, die dahin geht, dass man für seine medizinische Versorgung mehr und mehr aus der eigenen Brieftasche zahlen muss, der gewohnte Universalkrankenschein immer weniger an Leistungen abdeckt, unumkehrbar? Lässt sich das wachsende finanzielle Defizit im österreichischen Gesundheitssystem nur durch die Einführung von immer mehr und mehr Selbstbehalten einbremsen? Die Regierung antwortet auf diese Fragen mit "Jein": Weitere Selbstbehalte sind nicht auszuschließen, mit einer Strukturreform des Hauptverbandes der Sozialversicherungen sollte es aber möglich sein, der finanziellen Krise Herr zu werden, das bewährte und laut Umfragen von der Bevölkerung im hohen Maße geschätzte Gesundheitssystem aber im Prinzip aufrecht erhalten zu können.

Ein Jein, über das sich zweifellos diskutieren lässt. Irgendwo muss das Geld ja herkommen, anstatt von Beitragserhöhungen präferiert Schwarz-Blau eben Selbstbehalte und setzt auf Einsparungen in der Verwaltung. Das ist ihr gutes Recht. Keinesfalls ihr Recht ist es aber, aus der Debatte um die Zukunft des Gesundheitssys-tems einen Machtkampf übels-ter Sorte zu machen und zuzusehen, ja selbst zu provozieren, dass der Pegel politischer Kultur im Land neuerlich einen Tiefstand erreicht. Gerade eine Regierung, die immer und zu Recht darauf gepocht hat, dass sie ihre Legitimation auf demokratische Weise erhalten hat, versucht unter dem Titel Neustrukturierung des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger ein demokratisch zustande gekommenes Füh-rungsgremium per Gesetzesbeschluss zu entmachten.

Nun mag der Einwand schon stimmen, dass Hans Sallmutter, der Präsident des Hauptverbandes, nicht das Paradebeispiel an Reformfreudigkeit ist. Und auch über die Forderung, dass der Präsidentensessel nicht sozialdemokratische Erbpacht ist, sondern stattdessen ein Rotationsprinzip eingeführt werden soll, lässt sich durchaus reden. Ja sogar die Einbeziehung einer dritten Partei (warum nicht gleich aller vier Parteien?) in den Verwaltungsrat und die Parität zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite im selben Gremium sollten nicht von vornherein als unmöglich abgetan werden. Was aber keinesfalls geht, ist die Umsetzung aller dieser Punkte per Handstreichgesetzgebung.

Außerdem geht die Regierung damit erneut das Risiko ein, dass der geplante Gesetzesentwurf einer Überprüfung durch das Verfassungsgericht nicht standhält. Die Unvereinbarkeitsbestimmungen, die Sallmutter von seinem Posten drängen sollen, das Vetorecht von Sozial- und Finanzminis-terium, das die Selbstverwaltung der Sozialversicherungen ad absurdum führt und die Einbeziehung der drittstärksten Partei (FPÖ) in den Verwaltungsrat, was einer krassen Leugnung der Ergebnisse der AK-Wahlen gleichkommt, sind laut Experten verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Damit noch nicht genug. Nationalratspräsident Heinz Fischer ist zuzustimmen, wenn er davor warnt, dass eine solche Politik "Revanchegelüste entstehen lässt", ein nächster Regierungswechsel dasselbe Spiel bloß mit umgekehrten Vorzeichen zur Folge hätte.

"Soziale Sicherheit ist die verlässlichste Grundlage der Demokratie", steht in Bronze gegossen auf einer Granitwand vor dem Haus im dritten Wiener Gemeindebezirk, das den Hauptverband der Sozialversicherungen beherbergt. Wenn sich die Regierung nicht besinnt und schnellstens den Verdacht ausräumt, dass sie die Instrumente zum Erhalt der sozialen Sicherheit nicht dem eigenen Machtdenken unterordnet, wird sie nicht nur beim Hauptverband und den Gewerkschaften, sondern auch bei der Mehrheit der Bevölkerung bald auf Granit beißen.

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