Psyche - © Illustration: iStock / Kateryna Kovarzh

Psychotherapie und Macht: „Was für ein Phantasma!“

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Befeuert Psychotherapie gesellschaftliche Machtverhältnisse? Die Therapeutin Angelika Grubner stellt sich die Gretchenfrage. Im Interview fordert sie eine selbstkritische Auseinandersetzung.

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Befeuert Psychotherapie gesellschaftliche Machtverhältnisse? Die Therapeutin Angelika Grubner stellt sich die Gretchenfrage. Im Interview fordert sie eine selbstkritische Auseinandersetzung.

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Der Lockdown schlägt sich bei vielen Menschen auf die Psyche. Die Nachfrage nach Psychotherapie boomt. Weltweit. Ist sie wirklich der Heilsbringer? Eine Frage, die die Foucault­-Anhängerin und Autorin von „Die Macht der Psychotherapie im Neoliberalismus“ umtreibt. Im Interview erklärt Angelika Grubner, warum die Methode trotz – oder gerade wegen – ihrer Popularität hinterfragt werden muss.

DIE FURCHE: Was ist es, das wir medial über die Psychotherapie erzählt bekommen? Angelika Grubner: Grundsätzlich wird die Botschaft vermittelt: „Reden hilft“, wie die Psychotherapie von einem Landesverband im ORF beworben wird. Die Psyche wird aktuell als emanzipatorisches Versprechen gehypt, weshalb die ganze Szene und selbstverständlich auch der Berufsverband unentwegt darauf hinweisen, wie wertvoll, wie hilfreich und wie emanzipatorisch unsere Arbeit ist.

DIE FURCHE: Was ist so schlecht daran?
Grubner: Was ich beklage, ist das mangelnde politische Bewusstsein und die mangelnde Bereitschaft, eine machttheoretische, selbstkritische Auseinandersetzung zu führen. In dem Sinne: Welchen Beitrag leisten wir zu den aktuellen Machtverhältnissen: Was tun wir hier eigentlich? Was passiert in welchem Kontext? In welcher Epoche befinden wir uns? Welche Narrative sind momentan wirksam, die wir letztlich mittragen und befördern? Schon in der Ausbildung bräuchte es viel mehr Bezüge zu anderen Denktraditionen, etwa zur Philosophie oder zur Soziologie.

DIE FURCHE: Worin besteht die Macht der Psychotherapeuten?
Grubner: Wir Psychotherapeutinnen und -­therapeuten haben eigentlich extreme gesellschaftliche Macht. In erster Linie sehe ich sie darin, dass wir den Boom um die Psyche befördern. Wir beteiligen uns an dem Narrativ: Jede und jeder kann alles schaffen, solange eine Person nur hart genug an sich arbeitet. Im Moment erlebe ich, dass immer mehr menschliche Phänomene als behandlungsbedürftig eingestuft werden. Trauern etwa wird rasch einmal pathologisiert. Auf einer Metaebene tragen wir dazu bei, dass psychische Krankheiten statistisch zunehmen, denn wir müssen den Krankenkassen ja etwas anbieten: Ohne Diagnose kein Geld! Je mehr Therapeuten auf den Markt kommen und arbeiten, desto mehr Kranke entstehen.

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