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Afrika „am Zug“

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Die afrikanische „Gipfelkonferenz“, die Ende Mai in Addis Abeba die Oberhäupter von 30 unabhängigen Staaten vereinigte, hat einen neuen Abschnitt der nachkolctnialen Ära des Schwarzen Erdteils emgeldtet. Das „Afrika-Jahr“ 1960 hatte mit 17 Unabhängigkeitserklärungen den Höhepunkt einer stürmischen Entwicklung gebildet, die erst wenige Jahre zuvor mit dem Selbständigwerden Ghanas im britischen Commonwealth und dem Ausscneiden Guineas aus der „französischen Gemeinschaft“ de Gaulles ihre ersten, unübersehbaren Akzente erhalten hatte. Hauptsächlich in der Folge der Kongokrise spaltete sich das neue Afrika aber in mehrere Lager, die man nicht ganz zu Unrecht als „Gemäßigte“ und „Radikale" bezeichnet hat und die sich auf den Konferenzen von Brazzaville und später Monrovia einerseits, der von Casablanca anderseits, zu Gruppen formierten.

Diese Phase der innerafrikanischen Gruppierungen, von den Afrikanern selbst in steigendem Maße wegen der Gefahr einer dauernden Spaltung und im Hinblick auf weltpolitische Gegensätze beklagt, ist in Addis Abeba überwunden worden. Man hat eine „Organisation der afrikanischen Einheit“ geschaffen, deren Charta nach Ratifizierung durch zwei Drittel der Signatarstaaten in Kraft treten wird. Die papierene Wirklichkeit dieses Vertragswerkes ist vorerst von geringerer Bedeutung als die moralische. Die Gruppen von Casablanca und Monrovia haben aufgehört zu bestehen.

Die Afrikaner haben sich am runden Tisch getroffen, und wenn auch zum Beispiel König Hassan von Marokko fernblieb, um nicht mit dem Präsidenten des von ihm beanspruchten Mauretanien zusammenzutreffen, oder Togo ausgeschlossen war, weil andere Staaten nicht bereit waren, ganz einfach über die Ermordung des früheren Präsidenten Olympio zur Tagesordnung überzugehen, so bleibt dies doch ohne dauernde Auswirkung für die Sache der afrikanischen Einheit.

Die wichtigste dieser Auswirkungen ist, daß eine Anzahl von Grundforderungen des afrikanischen Nationalismus nunmehr allgemeine Anerkennung gefunden haben und mithin auch jene Staaten verpflichtet werden, die bisher, aus welchem Grund immer, wenig Interesse an deren politischer Durchsetzung gezeigt haben. Auch sie sind nunmehr durch die Konferenzresolutionen offiziell gebunden.

Weitere Entkolonisierung

Addis Abeba hat mithin das ganze „freie" Afrika auf eine Politik festgelegt, deren Ziel die Unabhängigkeit der heu e noch als.jJColonien angesehenen „Überseeprovinzen“ Portugals, der britischen Protektorate und des ehemaligen Deutsch-Südwestafrika bildet, das sein einstiger Völkerbund- Mandatar, Südafrika, heute als Teil der Republik betrachtet. Auf Südafrika selbst zielt eine zweite Konferenzresolution gegen Apartheid und Rassendiskriminierung. Weitere Resolutionen galten der prinzipiellen „Blockfreiheit“ (Non-alignment) zwischen West und Ost und gemeinsamem Vorgehen vor der UNO, der Abrüstung und dem Atomverbot sowie Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Übrigens wurde auch hier eine Anzahl von Schritten befürwortet, die den Gesamtkomplex der westlichen Entwicklungshilfe mit der Zeit vor neue Voraussetzungen stellen dürfte.

Unmittelbar augenscheinlich sind in den wenigen Wochen seit der Konferenz von Addis Abeba bereits die politischen Maßnahmen geworden. Mit 15. Juli wurde in Daressalam, der Hauptstadt von Tanganjika, ein Spezialfonds gegründet, dessen Aufgabe die praktische und finanzielle Unterstützung der Befreiungsbewegungen der noch abhängigen Gebiete und Südafrikas ist, und dessen Anfangskapital von einer Million Pfund Sterling von einem Komitee von neun Ländern verwaltet werden wird: Algerien, Äthiopien, VAR, Nigeria, T anganjika, Uganda, Kongo, Guinea und Senegal. Der Aufforderung, die diplomatischen und konsularischen Beziehungen mit Portugal und Südafrika abzubrechen, sind bereits mehrere afrikanische Staaten gefolgt.

Ein geplantes Handelsboykott gegen die beiden Länder sieht folgende Maßnahmen vor: Importverbot von Waren dieser Herkunftsländer, Schließung der Häfen und Flugplätze, Verbot des Überfliegens der afrikanischen Staaten. Die Frage von „Freiwilligen“ für künftige militärische Aktionen stand gleichfalls zur Erörterung. Ben Bella, Held des Tages der Konferenz, bot sogar seine eigenen, bewährten Kräfte für direkte Aktionen an. Jedenfalls wird man überall Nationalisten aus Kolonialgebieten und Südafrika und die Bildung von „Freiwilligenkorps“ unterstützen.

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