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Aktion und Reaktion in den USA

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Als vor bald einem Jahr an dieser Stelle auf das Anwachsen der reaktionären Strömung in den Vereinigten Staaten hingewiesen wurde, fanden die Darlegungen eine geteilte Auf.-nähme. Einige Kritiker wollten den Unterschied zwischen einem echten

Konservativen und einem als ,,ultrakonservativ“ getarnten Reaktionär nicht wahrhaben. Andere meinten, man erweise den Reaktionären zu viel Ehre, wenn man ihnen irgendeine Bedeutung beimäße.

Seitdem fanden gigantische Massenveranstaltungen ä la Sportpalast statt, bei denen jeweils zehntausende, an sich gutwillige Amerikaner extremistischen Demagogen frenetischen Beifall zollten; im Fernsehen konnte man den Chefredakteur der einflußreichen Zeitschrift „Life“ beobachten, wie er sich bei einer solchen Massenversammlung demütig bei dem Hauptredner Doktor Fred Schwarz für einen kritischen Artikel entschuldigte.. Der Verfasser erinnert sich an eine Versammlung in Oregon, in der sich Unzählige begeistert darnach drängten, einem Aufruf des protestantischen Pfarrers Doktor Hargis für Spenden in Höhe von 500 bis 5000 Dollar Folge zu leisten. Dr. Hargis ist ein Direktor der John-Birch-Gesellschaft.

Nicht der Aufstieg der reaktionären Bewegung ist erstaunlich. Erstaunlich wäre es, wenn er nicht zustande gekommen wäre. Die Reaktion erhält Auftrieb einmal von der Außenpolitik her, die dem ungeduldigen Amerikaner gerade das nicht geben kann, was er sich wünscht, nämlich Sicherheit auf Grund schneller und dauerhafter Lösungen. Die Erkenntnis, daß totale Siege unmöglich geworden sind, hat sich zwar in weiten Kreisen durchgesetzt, es gibt aber noch viele Leute, deren einfachere Denkungsart sich dagegen auflehnt.

Innenpolitisch kommt der reaktionären Bewegung die zunehmende Müdigkeit zugute, die von der Erweiterung der Macht der Bundesregierung, den hohen Steuern, der Ausdehnung der Wohlfahrtslasten und den vielfältigen Problemen eines modernen Superstaates genug hat.

Einkommensteuer und Welthegemonie

Die Divergenz zwischen den außenpolitischen Ambitionen und der innenpolitischen Müdigkeit führt zu einer ' paradoxen Situation. Einerseits strebt man den schnellen, endgültigen, siegreichen Austrag eines gigantischen Machtkampfes an, also ein Ziel, das selbst bei noch größerer Anspannung aller Kräfte, noch höheren finanziellen Opfern, noch stärkerer Vergatterung hinter der Zentralregierung hochgespannt erscheint. Anderseits möchte man vor den harten Forderungen der heutigen Zeit in die beschauliche Zeit der „Väter“ flüchten, als die Bundesregierung dem Bürger seine Ruhe ließ. Man möchte das Sowjetsystem auf dem Boden zerstört sehen, aber gleichzeitig die Einkommensteuer abschaffen.

Es ist oft gesagt worden, daß die Vereinigten Staaten eine ungeheure Verantwortung auf sich nehmen mußten, bevor sie dazu reif waren. Inzwischen hat ein bedeutender Teil des Volkes die Reife erlangt, aber ein anderer Teil kommt nicht mit. Als

bizarre Konsequenz dieser Entwicklung ergibt sich, daß die Ultrakonservativen, die in ihrer Sozialeinstellung Schüler Alexander Hamiltons sind, zu Anhängern von dessen großem Gegner, Thomas Jefferson, geworden sind. Hamilton, der das Vertrauen der Geschäftswelt besaß, legte zielbewußt die Verfassung in der Richtung der größtmöglichen Erweiterung der Macht der Zentralregierung aus, wobei er von George Washington unterstützt wurde. Jefferson, der infolge seiner Begeisterung für die Französische Revolution Hamiltons Partei, den Föderalisten, als Salonbolschewist von damals erschien, wollte die Zentralregierung schwach halten.

Es ist zu erwarten, daß die reaktionäre Welle noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hat, ob nun der kalte Krieg schärfer oder schwächer wird. Wenn überhaupt Vietnam zu einem neuen Korea werden sollte, wie in der amerikanischen Öffentlichkeit zunehmend befürchtet wird, werden die Verfechter des totalen Endsieges begreiflicherweise großen Zulauf erhalten.

Anderseits würde ein besseres Verhältnis zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion der Reaktion zwar außenpolitisch Wind aus den Segeln nehmen, aber innenpolitisch die Forderung nach Abbau der Einkommensteuer- verstärken. Eine Verminderung der Steuer wäre aber vorläufig nur als Gegenmaßnahme gegen eine Wirtschaftskrise möglich. Eine kürzlich unternommene Studie der „New York Times“ ergab, daß die Rüstungsausgaben auf keinen Fall schnell reduziert werden können, weil sonst eine Krise unvermeidlich wäre.

Die tatsächliche Stärke der Reaktion läßt sich nicht zuverlässig auf Grund der auftrumpfenden propagandistischen Behauptungen der Reaktionäre ermitteln. Zum Beispiel meinte der oben erwähnte Dr. Hargis, es brauchten bei den Herbstwahlen nur fünf Konservative mehr in das Repräsentantenhaus gewählt zu werden, um dies unter die Kontrolle der Konservativen zu bringen.- Sie kann aber auch aus den Warnungen solcher Gegner, die weder überängstlich sind noch ein Interesse daran haben, die Reaktion zu überschätzen, gefolgert werden.

Beachtliche Warnrufe

In letzter Zeit sind beachtliche Warnrufe ergangen. Der bedeutsamste ring von der katholischen Kirche aus. ;Vgl. auch K. O. Paetel: Kirche gegen neue Hexenjagd, „Die Furche“ Mr. 12/1962.) In einer Broschüre von 80 Seiten, die von der National Catho-!ic Weifare Conference, kurz NCWC genannt, über den Kommunismus nerausgegeben wurde, werden die .Rechtsextremisten“ beschuldigt, „eine neftige Form der Uneinigkeit, die die Nation gefährlich schwächt“, zu begünstigen. Dagegen sei der Kommunismus keine interne Gefahr mehr für die amerikani sehe Nation. NCWC ist las zentrale Verwaltungsorgan der

Bischöfe. Allerdings sind, wie der Verfasser der Broschüre, Pater Cronin, zugibt, nicht sämtliche Bischöfe mit ihm einverstanden. Da bei der John-Birch-Gesellschaft die Katholiken überwiegen, ist die Warnung um so beachtlicher.

Ebenso schätzt der besonnene und keineswegs rötlich angehauchte demokratische Senator Stephen Young die faschistische Gefahr in den Vereinigten Staaten höher ein als die kommunistische. In einem Artikel in der weitverbreiteten Wochenschrift „Saturday Evening Post“, die in ihren Leitartikeln einen echten Konservativismus vertritt, bezeichnete der Senator die John-Birch-Gesellschaft gewissermaßen als den Generalstab der ameri-

kanischen Reaktion. Dieser Generalstab, den er auf 60.000 Mitglieder beziffert, habe in der „American CoaJ lition of Patriotic Societies“, einer Dachorganisation rechtsradikaler Verbände, ein Rekrutenreservoir von beinahe vier Millionen. Nur infolge der Mängel des Führers der Birchers, Robert Welch, könnte die Gruppe ihr Potential nicht ausnützen. Wir werden gleich feststellen, daß in diesem Punkt die intellektuellen Führer der Rechten mit Senator Young übereinstimmen.

Schließlich forderte Richard Nixon vor dem Parteitag der Republikaner Kaliforniens, der vor kurzem stattfand, die Mitgliedschaft in der John-Birch-Gesellschaft und ähnlichen Organisationen solle als mit der Zugehörigkeit zur Republikanischen Partei unvereinbar erklärt werden. Nixon bewirbt sich bekanntlich um das Amt des Gouverneurs. Es ist ungewöhnlich, daß Politiker potentielle Wähler vor den Kopf stoßen. Da die Rechtsradikalen in Kalifornien und in Texas am stärksten sind und hauptsächlich der Republikanischen Partei angehören, ist Nixons Vorgehen, das Zivilcourage zeigt, ein Anzeichen dafür, daß er die Lage für ernst ansieht. Allerdings verwässerte der Parteitag seine Resolution beträchtlich.

Führungskrise in der „Bewegung“

Die Tatsache nun, daß, während die reaktionäre Bewegung über alle Erwartungen hinaus zunimmt, Weichs Unfähigkeit zur Führung immer deutlicher wird, hat zu einer Krise im Rechtsradikalismus geführt. Solange der frühere Schokoladenfabrikant aus Boston der Führer eines kleinen Haufens war, fielen seine Eigenheiten nicht ins Gewicht. Seitdem vor allem seine Persönlichkeit der vollen Entfaltung der reaktionären Bewegung entgegensteht, wenden sich die Leute gegen ihn, die bisher den Mantel der christlichen Nächstenliebe über seine Verschrobenheit gebreitet hatten.

Vor wenigen Wochen faßte „National Review“, die katholisch-integra-listische Zeitschrift, die wohl das intelligenteste Sprachrohr der Reaktion ist, die Vorwürfe gegen Welch zusammen. Einleitend erwähnt sie, daß solche Größen der Ultrakonservativen, wie Senator Goldwater, Kongreßmann Judd und der Radiokommentator Ful-ton Lewis jr., der seit vielen Jahren ein erfolgreicher Vorläufer der Reaktion ist, Welch zum Rücktritt aufgefordert haben. Die Zeitschrift beschuldigte diesen, er schade der Sache des Antikommunismus, weil er „die Wirklichkeit entstellt und sich weigert, die grundlegende Unterscheidung zwischen einem aktiven Prokommunisten und einem nutzlos antikommunistischen Liberalen zu machen. Man beachte die Formulierung. Weichs Hauptthese, stellt die Zeitschrift mißbilligend fest, sei, daß „Washington zu einem Bestandteil der internationalen Verschwörung geworden ist, deren zweites Mekka es jetzt, nach Moskau, ist“. In der Ansicht von Welch unternimmt die amerikanische Regierung alles, was getan werden kann, um den Zusammenschluß der Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion und deren Trabanten zu einer sozialistischen Weltregierung herbeizuführen.

Rückkehr der „Weisen von Zion“

Ihm zufolge legte das Staatsdepartement, zur Förderung dieses diabolischen Planes, die Invasion Kubas so an, daß sie scheitern mußte, um solchermaßen Castros Herrschaft zu festigen. Die Berlin-Krise wurde „künstlich geschaffen“, um „das Prestige des scheinheiligen Consymps (Weichs Bezeichnung für prokommu-

nistische Mitläufer) Willi Brandt zu erhöhen“.

Weichs Variante der Verschwörung der Weisen von Zionl Merkwürdig ist nur, wie spät die Reaktionäre mit respektableren Ansichten ihm auf die Schliche gekommen sind. Schließlich äußert er solche Meinungen nicht erst seit gestern.

Das neueste Mitglied der John-Birch-Gesellschaft, der aus der Armee ausgeschiedene General Walker, hat die Mißbilligung der Politiker bereits zu spüren bekommen. Eine reaktionäre Jugendgruppe, Young Americans for Freedom, hatte für den 7. März eine Riesenversammlung in New York angesetzt. Moise Tschombe, der Premierminister von Katanga, sollte der Star des Abends werden. Senator Goldwater sollte die Hauptansprache halten, und Walker, wie andere rechtsstehende Amerikaner, waren für eine Medaille der Organisation ausersehen. Tschombe fiel aus, weil ihm das Staatsdepartment kein Visum erteilte. Goldwater drohte mit einer Absage, denn er könne nicht auf derselben Plattform mit Walker erscheinen, da dieser sich ak Demokrat um den Gouverneursposten von Texas bewerbe. Angesichts des überparteilichen Charakters der Veranstaltung eine fadenscheinige Ausrede. Walker wurde ausgeladen und lernte gleich zu Anfang seiner neuen Karriere, daß ein Politiker mehr von Fallstricken bedroht ist als ein General.

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