Autoritäre Lösungen - Es gehe bei der Coronakrise nicht darum, ob ein Staat autoritär ist oder nicht, sondern um seine Kapazitäten, meint Casas-Zamora. - © Foto: APA/AFP/STR

Casas-Zamora: „China wird der Gewinner sein“

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Die weltpolitische Lage steht durch die Corona-Pandemie vor einem großen Umbruch, erklärt der Politikwissenschaftler Kevin Casas-Zamora.

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Die weltpolitische Lage steht durch die Corona-Pandemie vor einem großen Umbruch, erklärt der Politikwissenschaftler Kevin Casas-Zamora.

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Wer meistert die Coronakrise gut? Welche Länder erleben gerade den Kollaps? Und wie wird es der Wirtschaft ergehen? Der Politikwissenschaftler Kevin Casas-­Zamora über die neuen Gewinner der Krise und die Zukunft der USA – nach Corona.

DIE FURCHE: Wer sind die politischen Profiteure der Coronakrise?
Kevin Casas-Zamora: Ich habe keinen Zweifel, dass ein Ereignis wie dieses die Weltordnung verändern wird. Und das in eine Richtung, die die Demokratie nicht stärkt. Wenn sich in einigen Jahren der durch Corona aufgewirbelte Staub gesetzt haben wird, werden wir uns in einer Welt wiederfinden, in der China der dominante Player ist. Das ist keine gute Nachricht für die Demokratie. Es wird schwieriger sein, weltweit die Demokratie voranzutreiben. Auch wenn die USA nicht immer eine geradlinige Politik verfolgt haben, so haben sie doch in den vergangenen 70 Jahren viel zur weltweiten Verbreitung der Demokratie geleistet. Das ist jetzt anders. Ihre zuletzt betriebene äußerst inkonsistente Politik war nicht hilfreich.

DIE FURCHE: Hat sich in China gezeigt, dass ein totalitäres System mit einer Krise dieses Ausmaßes effizienter umgehen kann?
Casas-Zamora: Ich glaube nicht, dass demokratische Systeme an sich den autoritären unterlegen sind, wenn es um die Krisenbewältigung geht. Vielmehr hängt es von der Art der Demokratie ab. Es gibt autoritäre Systeme, wo der Staat gut funktioniert, wie etwa in China oder Singapur, und autoritäre Regimes wie Venezuela, die eine beklagenswerte Effizienz zeigen. Auf der anderen Seite gibt es Demokratien wie Deutschland oder Südkorea mit hoher Kapazität und solche mit geringer, wie fast ganz Lateinamerika. Deswegen werden die Länder im Norden Europas wohl auch besser mit der Krise fertig als die im Süden. In den USA entblößt die Krise wiederum die Schwäche des gesamten Systems. Deswegen werden die Vereinigten Staaten auch viel schwächer aus der Coronakrise hervorgehen als China.

DIE FURCHE: Andererseits beobachten wir, wie Donald Trumps irrwitziger Zickzackkurs seiner Popularität kaum Abbruch tut.
Casas-Zamora: Ich will hier die Politik der USA nicht kommentieren. Aber unabhängig vom Wahlausgang im November ist es offensichtlich, dass die Politik auf Bundesebene fatal gewesen ist. Die Zahlen von Infizierten und Toten belegen das. Und gleichzeitig hat sich der Zugang zu Gesundheitsdiensten als Gradmesser der sozialen Ungleichheit erwiesen. Die Sterberaten in der afroamerikanischen Bevölkerungsgruppe sind brutal. Das beweist drastisch, dass das Gesundheitssystem nicht funktioniert.

DIE FURCHE: Anders als in China …
Casas-Zamora: Auch deswegen wird China der große Gewinner sein. Es spielt da ein Cocktail an Faktoren zusammen, die insgesamt autoritäre Populisten begünstigen. In Zeiten großer sozialer Unsicherheit gedeihen die autoritären Führer. Die Menschen fühlen sich durch solche Figuren eher beschützt. Diese Krise ist eine Tochter der Globalisierung, schon durch die Art und Weise, wie sie sich über die Welt verbreitet hat. Deswegen wird sie eine allgemeine Ablehnung der Globalisierung hervorrufen, die zuerst die Migranten zu spüren bekommen werden. Die EU­Staaten werden sich noch stärker abschotten wollen, und wir dürfen auch nicht hoffen, dass die geschlossenen Grenzen sich über Nacht wieder öffnen werden. Der populistische Diskurs wird hingegen gedeihen.

Es wird allgemein das Misstrauen gegenüber Fremden zunehmen. Und die Menschen tendieren dazu, diese Ablehnung auf die Migranten zu projizieren.

DIE FURCHE: Die Chinesen, die das Virus in der Lombardei verbreitet haben, sind aber weder illegal, noch sind sie über das Mittelmeer gekommen.
Casas-Zamora: Natürlich nicht. Aber es wird allgemein das Misstrauen gegenüber Fremden zunehmen. Jede und jeder, den du nicht kennst, wird dir als Quelle der Infektion erscheinen. Und die Menschen tendieren dazu, diese Ablehnung auf die Migranten zu projizieren.

DIE FURCHE: Bis jetzt sind die meisten Regierungen Europas – mit den Ausnahmen Ungarn, Polen und vielleicht Slowenien – relativ zurückhaltend mit ihren neuen Vollmachten umgegangen.
Casas-Zamora: Stimmt. Jede Demokratie muss in der Lage sein, in einer Notlage zu außerordentlichen Vollmachten zu greifen. Aber sie muss damit maßvoll umgehen. Die Gefahr beginnt dann, wenn diese Sondervollmachten zur Norm werden. Gar nicht unbedingt weil die Politiker autoritär sein wollen, sondern weil die Menschen es verlangen. Wir wissen nicht, wie sich die Dinge entwickeln werden. Reden wir in einem Jahr weiter. Dann werden wir wissen, in welchen Ländern die Ausnahmeregeln vernünftig gehandhabt wurden. Natürlich müssen immer die Parlamente und die Gerichte darüber wachen, dass die Vollmachten nicht missbraucht werden. In Ländern, wo der Rechtsstaat an und für sich schwach ist, besteht größere Gefahr. Und das betrifft wieder die EU weniger als Lateinamerika.

DIE FURCHE: Sie sehen Chile, Uruguay und Costa Rica als Länder, die sich in der Krise weniger hilflos zeigen.
Casas-Zamora: Das sind Länder mit funktionierenden Institutionen. Die Macht ist dort stärkerer Kontrolle unterworfen, es gibt eine demokratische Kultur und eine kritische Presse. Es kommt nicht so sehr darauf an, welche Art von Regierung ein Staat hat, sondern wie viel Regierung er hat. Das unterscheidet die genannten Länder von den Staaten im nördlichen Zentralamerika: Guatemala, Honduras, El Salvador, deren institutionelle Reserven äußerst beschränkt sind. Außerdem leiden sie an einem rechtsstaatlichen Defizit, das den autoritären Pfad begünstigt.

DIE FURCHE: Wie ist es zu erklären, dass ausgerechnet Ecuador besonders stark betroffen ist?
Casas-Zamora: Ecuador ist ein relativ kleines Land mit starken Lokalverwaltungen. Der Zentralstaat ist aber schwach. In so einer Krise ist es wichtig, dass die zentralen Institutionen wie das Gesundheitsministerium gut funktionieren. Das fehlt Ecuador.

DIE FURCHE: In manchen Regionen Italiens haben sich schon Menschen zu Plünderungen zusammengerottet. Droht so etwas auch in Lateinamerika und anderen fragilen Regionen?
Casas-Zamora: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben bisher von den unmittelbaren Folgen gesprochen, von Gebrauch und Missbrauch von Sondervollmachten. Eine weitere wäre die digitale Überwachung der Bevölkerung unter dem Vorwand des Ansteckungsschutzes. Das darf alles nicht zur Norm werden. Dann kommen die Risiken einer zweiten Ebene, wenn sich die wirtschaftlichen Folgen mit voller Wucht einstellen. Es wird viele Länder geben, wo die Krise zu Plünderungen und Massendemonstrationen führen wird. Und da wiederum besteht die Gefahr, dass Regierende sich auf Sondervollmachten berufen, um die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Ich denke, das steht uns nicht nur in Lateinamerika und Afrika, sondern auch in einigen europäischen Ländern bevor.

DIE FURCHE: Wir müssen uns also auf unruhige Zeiten einstellen?
Casas-Zamora: Der indisch-­US-­amerikanische Journalist Fareed Zakaria hat kürzlich im Time Magazine von einer Kaskade der Krise gesprochen: Wir befinden uns auf der ersten Stufe der Kaskade. Die folgenden Stufen stellt er sich brutal vor, wenn die wirtschaftlichen Folgen überall in politische Instabilität münden. Denken wir an Kuba, wo der Tourismus als wichtiger Devisenbringer wegbricht. Aber auch meinem Heimatland Costa Rica, wo der Tourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ist, stehen verheerende wirtschaftliche Folgen bevor.

Der Autor ist freier Journalist.

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