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Der Fulbright-Appell

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Nicht immer kann man auf die Wichtigkeit von Problemen aus der Häufigkeit schließen, mit der sie in der Presse erwähnt werden. Manchmal erwähnt man wesentliche Fragen sowenig wie möglich.

Das galt in den Vereinigten Staaten fast genau ein Jahr lang für die A r a b i e n f r a g e, bis der demokratische Senator aus Arkansas, J. William Fulbright — einer der nicht zu häufigen wirklichen Fachleute der amerikanischen Außenpolitik —, kürzlich das Schweigen brach und den Versuch machte, Grundlinien einer konstruktiven US-Politik für den Nahen Osten zu entwerfen.

Seitdem im Vorjahr im Irak eine prowestliche Regierung von der Revolution hinweggefegt worden war, amerikanische Truppen die Souveränität des Libanons geschützt und britische Fallschirmjäger den jordanischen König vor dem Thronverlust bewahrt hatten, erfuhr man, abgesehen von lapidaren Berichten über Zwischenfälle an den israelischen Grenzen und deren Behandlung oder Nichtbehandlung! durch die Vereinten Nationen und den Schwierigkeiten israelischer Schiffahrt im von Aegypten verstaatlichten Suezkanal, wenig über arabische Probleme in der amerikanischen Presse. Nur ganz am Rande wird irgendwo etwa einmal erwähnt, daß der für dieses Jahr in Aussicht genommene Arbeitsbeginn am Assuandamm — von den Russen finanziell garantiert, nachdem sich 1956 die USA brüsk von ihrer diesbezüglichen Zusage befreit hatten — auf nächstes Frühjahr vertagt werden soll: neben den russischen haben „internationale“ auch amerikanische! Experten darüber mitberaten!

Oder man hörte, daß sich der Kairoer Rundfunk bemerkenswerte Zurückhaltung den Vereinigten Staaten gegenüber auferlege, während gegen England massiv gewettert wurde; verbunden mit dem Gerücht, daß Macmillan bei seinem seinerzeitigen Moskau-Besuch eine stillschweigende Uebereinkunft mit den Russen getroffen hätte, der Weiterexistenz der Kommunisten als politische Gruppe im Irak keine Schwierigkeiten zu machen, falls dafür die Versendung des irakischen Oels durch die britisch kontrollierte Irak Petroleum Company sichergestellt sei…

Das Bild war unübersichtlich. Man enthielt sich in Washington so weit wie möglich der Kommentare und — wartete ab. Gelegentlich wurde ein Versuchsballon losgelassen: der bekannte Richter Douglas verlangte etwa offensichtlich, daß sich die USA zum Sachwalter der Revolutionen in Asien mache! Inoffiziell. Und wer dort der richtige Revolutionär ist, blieb unidentifiziert.

Departement in außenpolitischen Angelegenheiten zu beraten, maßgeblich an deren Formulierung beteiligt, schließt aus der Tatsache, daß im Nahen Osten inzwischen eine Art Stabilisierung eingetreten ist, sowohl die arabischen Staaten wie die USA sollten eine „neue, reifere und realistischere“ Beziehung zueinander suchen!

Kairo und Bagdad, beide bestrebt, als legitimer Sachwalter des Gesamtarabertums aufzutreten, gönnen sich eine Ruhepause im Kampf um die Vorherrschaft, wobei auf längere Sicht durchaus die Möglichkeit bestehen bleibt, daß sich die Vereinigte Arabische Republik auf der einen, der neue Irak auf der anderen Seite der weltanschaulichen Frontstellung ansiedelt. Dennoch sieht der amerikanische Politiker Anzeichen dafür, daß sich nicht nur die Beziehung der arabischen Staaten zueinander, sondern zum Beispiel auch die Nassers zu den USA verbessert haben.

Angesichts der Bemühungen der arabischen Staaten um eine repräsentative Regierung und ökonomische Höherentwicklung aber ist es, formuliert er, notwendig, in Washington eine Politik in den Fragen des Nahen Ostens zu entwickeln, die mehr beinhaltet als eine Serie von E i n z e 1 m a ß n a h m e n in Perioden der Krise. Das setzt voraus, daß man die Araberstaaten als souveräne Gebilde behandelt, anstatt stets im Nahen Osten ein Vakuum zu sehen, weil man die latenten Möglichkeiten der arabischen Welt selbst nicht genügend in Rechnung stellt. Das klingt, so ausgedrückt, zuerst einmal reichlich theoretisch. Die Souveränität der arabischen Einzelstaaten birgt ja nicht nur Hoffnungen auf konstruktive Initiative, sondern auch Konfliktstoffe, die nicht von heute auf morgen verschwinden.

Nasser und Kassem sehen — scheint es — nicht ganz das gleiche als „realistisch“ an. Als seinerzeit König Faisal gestürzt wurde, hat der ägyptische Staatschef noch dem „großen Sieg des Volkes vom Irak unter der Führung ihres Helden Abdel Karim Kassem’ zugejubelt. Inzwischen haben sich die Beziehungen zwischen Fulbright, als Vorsitzender des „Senate Foreign Relations Committee", das die Aufgabe hat, das Weiße Haus und das State den beiden recht negativ entwickelt, vor allem nachdem die ägyptischen Versuche, die irakischen Revolutionäre zum Anschluß an die Vereinigte Arabische Republik zu bewegen, endgültig scheiterten, als die Pro-Nasser-Tendenzen dort gelegentlich der Mossulrevolte gewaltsam ausgeschaltet wurden.

Daß man vom Nil aus bisher keinen militärischen Druck auf den Irak ausgeübt hat, hängt im übrigen auch damit zusammen, daß die anderen arabischen Staaten kein großes Interesse zeigen, sich auf Nassers Linie festlegen zü lassen. Es war symptomatisch, daß zu der am 2. April nach Beirut einberufenen Tagung des Politischen Komitees der „Arabischen Liga“ vier Mitgliedsstaaten überhaupt keine Delegierten gesandt hatten, als deutlich wurde, daß Nasser „Maßnahmen“ gegen Kassem Vorschlägen würde, und von den Erschienenen nur der Jemen die Position der Vereinigten Arabischen Republik unterstützte.

Aber wenn auch hier zweifellos noch weiterhin unterirdisch Zündstoff schwelt, so ist im ganzen Fulbrights Appell, daß die Zeit für die USA gekommen ist, aus der Reserve in der Arabienpolitik herauszutreten, durchaus berechtigt — und logisch. Man hat schließlich im vergangenen Jahr, ohne viel darüber zu reden, einiges hinter den Kulissen erreicht, um sich im Nahen Osten eine gewisse Basis zu verschaffen. Es ist der amerikanischen Außenpolitik gelungen, nicht nur den König von Saudiarabien, sondern auch König Hussein von Jordanien den Rücken bei ihrem Widerstand gegen den „Emporkömmling“ am Nil zu stärken. Als sicher kann unterstellt werden, daß die beiden Monarchen bei ihrem Besuch in den USA nicht nur zur israelischen Frage, sondern auch über die Zweckmäßigkeit einer gewissen Zurückhaltung Nasser gegenüber den amerikanischen Standpunkt erläutert bekommen haben, mit und ohne Erwähnung bestimmter Oelinteressen oder Waffenlieferungen. Nicht nur amerikanische Seesoldaten — wie im Libanon —, auch Dollar besitzen eine gewisse Ueberzeugungskraft.

Im Verhältnis zu Bagdad hat die USA — wenngleich zögernd — sich bislang der britischen Auffassung angeschlossen, daß es zweckmäßig ist, Kassem Flugzeuge und Tanks zu senden, um ihn daran zu hindern, entweder dem Druck der Kommunisten nachzugeben, die, zum Unterschied von der — zeitweiligen — „antikommu- nistischen" Periode in Aegypten, im Irak nicht ohne gewisse ‘ Einflußmöglichkeiteti geblieben sind oder einem etwaigen Gewaltstreich Nassers zum Opfer zu fallen.

Es war auch — vom amerikanischen Standpunkt aus gesehen — nur vernünftig, daß die USA seinerzeit deutlich erkennen ließen, daß sie kein sonderliches Interesse daran hatten, die israelischen — berechtigten! — Einsprüche gegen die Nasserschen Beschlagnahmungen israelischer Schiffsladungen im Suezkanal vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bringen, wobei nur den Russen Gelegenheit gegeben worden wäre, sich demonstrativ für die „arabischen Interessen“ einzusetzen.

Und wenn auch die amerikanische öffentliche Meinung verständlicherweise großenteils geneigt ist, in arabisch-israelischen Konflikten zugunsten Israels — das ja schließlich so etwas wie ein Patenkind der USA ist — Stellung zu nehmen, so ist langsam doch verantwortlichen Stellen im amerikanischen Außenamt klargeworden, daß realistische Politik nicht nur hierbei, sondern überhaupt in der Frage der Entflechtung des Nahen Ostens aus restlichen halbkolonialen Abhängigkeiten, den arabischen Nationalismus verstehen und fruchtbar machen muß.

Fulbright spricht ganz klar aus, daß seiner Meinung nach der Entschluß von Gamal Abdel Nasser, den Suezkanal ohne ausländische Hilfe arbeiten zu lassen, ungerechtfertigterweise aus sentimentalen Gründen auf Ablehnung gestoßen sei. Aber alles funktioniere jetzt ebenso gut wie vorher, scheint es, fügt er an — diese Haltung als nur eines der Beispiele bezeichnend für die Fehleinschätzung der in den arabischen Völkern ruhenden Fähigkeiten.

Hinter solchen - direkt an die Adresse der Araber gerichteten - Feststellungen steht natürlich die Hoffnung, daß man die arabischen Nationalismen „zähmen und sie Eisenhower bat das bereits einmal in einer großen Rede vorgeschlagen! in einem von den „reichen“ Ländern der Welt finanzierten großen Aufbauprojekt für unterentwickelte Gebiete des Nahen Ostens mit eigener Initiative und Verantwortung einbauen kann. Kairo gegenüber haben dabei die Vereinigten Staaten noch eine andere Waffe in der Hand: die Vereinigte Arabische Republik bemüht sich bei der Internationalen Bank „for Reconstruction and Development“ um eine Anleihe von 40 Millionen Dollar für die Verbreiterung des Suezkanals. Washingtons Stellungnahme dazu — positiv oder negativ — kann entscheidend sein!

Auch das ist „realistische“ Arabienpolitikl

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