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Der Test im Sonnenland

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155.314 Kärntner und 180.874 Kärntnerinnen — also insgesamt 336.188 Wahlberechtigte — treffen am 22. Februar die wichtigste Entscheidung vor dem Urnengang am 1. März. Die Landtagswahlen im südlichen österreichischen Bundesland haben vielleicht einen größeren Einfluß auf die kommenden Nationalratswahlen als die propagandistischen Bemühungen der Parteien: Und Kärnten ist der echte Prüfstein, über den so mancher politische Gunstwerbler stolpern könnte.

Zur Zeit stellt die SPÖ für die 36 Landtagssitze 18 Abgeordnete, die ÖVP 12, 5 Abgeordnete gehören der FPÖ an und — fast schon ein Ku-riosum — auch 1 Kommunist sitzt im Kärntner Landtag. Da nun aber der Landtag sozialistisch präsidiert wird, der Präsident jedoch kein Stimmrecht besitzt, befinden sich die Kärntner Sozialisten in einer unangenehmen Situation: Ihren 17 stimmberechtigten Abgeordneten stehen derzeit ebenso 17 Abgeordnete der ÖVP und FPÖ gegenüber. Um bei heiklen Abstimmungen siegreich bestehen zu können, waren die Kärntner Sozialisten bisher dem kommunistischen Vertreter auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Das soll nun nach dem 22. Februar anders werden. An der Spitze der — wann auch bescheidenen — sozialistischen Mehrheit zieht der bisherige Landeshauptmann Hans Sima in den Wahlkampf.

Nun, eines ist sicher: Das kommunistische Mandat zu gewinnen, dürfte für die SPÖ einfacher sein als etwa die ÖVP zu schwächen. Allein die gesamtösterreichische Situation der KPÖ läßt nicht darauf schließen, daß sie den Kärntner Landtagssitz erfolgreich verteidigen kann. Die kommunistischen Wähler des Jahres 1965 werden — wie bereits bei anderen Landtagswahlen zum Ausdruck gekommen Ist — diesmal großte>ils den Sozialisten die Stimme geben. Damit könnte die SPÖ ihren Mandatsstand auf 19 erhöhen. Wie auf Bundesebene gibt sich auch die Landesorganisation der Sozialisten im Sonnenland Kärnten programmatisch: Nach fünfundzwanzigjähriger Regierungsverantwortung hat die SPÖ bereits seit etlichen Jahren an der Verwirklichung eines Schwerpunktkonzeptes gearbeitet. Die Errichtung einer winterfesten Nord-Süd-Verkehrsverbindung und der Bau einer Kärntner Hochschule wurden der Verwirklichung nahegebracht. Nunmehr sehen die Sozialisten um Sima ihre Aufgabe für die nächste Legislaturperiode in einer Stärkung der Wirtschaft, einer akzentuierten Kulturpolitik und einer zukunftsorientierten Raumordnung. Diese nur vom Bund zu realisierenden Forderungen waren vielleicht auch für Dr. Kreisky ein Anlaß, auf seiner Wahlreise Kärnten ein besonderes Augenmerk zu schenken. Ob es ihm die Kärntner schon am 22. Februar oder erst am 1. März zu danken wissen?

Sollten nämlich die Sozialisten am 22. Februar gut abschneiden, dann liegt zwar der Kärntner Erfolg auf der Hand; für die Nationalratswahl könnten aber unangenehme Folgen eintreten: Ein SPÖ-Sieg wäre für die ÖVP das Startzeichen — dann hinlänglich untermauert — auch für das Bundesgebiet einen sozialistischen Wahlerfolg anzukünden, die „rote Übermacht“ würde vehement als „Knüppel aus dem Sack“ hervorspringen. Und es wird zweifellos Interessant sein, ob der bei den nie-

derösterreichischen Landtagswahlen am 19. Oktober scheinbar gestoppte Bundestrend, der für die Sozialisten günstig war, wiederauflebt. Es wäre durchaus denkbar, daß ein Sieg der Kärntner Sozialisten am 22. Februar eine Niederlage der SPÖ am 1. März heraufbeschwören könnte. Gleiches gilt aber auch im umgekehrten Fall für die ÖVP. Sie war — wohl wissend um dieses Damoklesschwert — gegen den Wahltermin vor den Nationalratswahlen und bezichtigte Sima mit seinen Genossen auch einer „selbstherrlichen Vorgangsweise“.

Die Form, in der die Sozialisten regieren, ist es auch, die die ÖVP unter der Führung von Landesrat Bacher vehement angreift: „Der Landeshauptmann ist nicht berechtigt — von Protokollfragen abgesehen —, alles und jedes selbstherrlich zu entscheiden, Feststellungen in der Richtung ,mein Land' zu treffen und auf Grund der SPÖ-Mehrheit zu glauben, jeden Kärntner als einen Untertan betrachten zu können“, klagt der ÖVP-Landesparteisekretär Dr. Paulitsch. Und er kreidet den Sozialisten vor allem an, daß es ihnen nicht gelungen ist, die Struktur Kärntens, die unter dem österreichischen Durchschnitt liegt, zu verbessern. Es muß doch, betont die Kärntner ÖVP immer wieder, für jeden Kärntner ein Alarmzeichen sein, wenn im Sonnenland Kärnten bei der in Österreich herrschenden Hochkonjunktur das Durchschnittseinkommen 16 Prozent unter dem österreichischen Durchschnitt liegt; wenn tausende Kärntner keine Arbeit finden können. Wie würde es erst aussehen, resümiert man bei der ÖVP weiter, wenn nicht der Bund vor allem durch den forcierten Straßenbau und den Bau von Elektrizitätsanlagen entsprechende Initialzündungen setzte, wenn nicht besonders die private Fremdenverkehrswirtschaft, die von den Sozialisten im Kärntner Wirtschaftsförde-rungsgesetz ausgeklammert wurde, die notwendigen Initiativen ergriffen hätte, die Kärnten auf diesem Gebiet hinter Tirol an die zweite Stelle gebracht haben. Auf der anderen Seite hat die Kärntner Volkspartei ein Arbeitsprogramm für die Legislaturperiode 1970 bis 1975 erstellt: Dieses Elf-Punkte-Programm will die Beseitigung „erstarrter Formen, die die Freiheit mündiger Bürger in einem sozialistisch regierten Land bedrohen“, durch die Einführung eines Volksanwaltes, der Volksbefragung, der Fragestunde im Landtag und durch die Errichtung einer Verwaltungsakademie erreichen. Wie bei den Sozialisten sind auch bei der Volkspartei die Bundespolitiker im Wahlkampf voll engagiert. Klaus, Wit-halm, Pisa und Schleimer und sogar Prader geben Bacher noch die letzte Schützenhilfe.

„Wahltag ist Zahltag“ stand In der SPÖ-Werbebroschüre „Kärnten-Illu-strierte“ zu lesen. Die Kärntner freilich im Laufe einer Woche zweimal zur „Kasse“ zu bitten, könnte zur Folge haben, daß nach einer „Auszahlung“ beim Landtagsurnengang für den 1. März nur noch ein „Almosen“ übrigbleibt. Wer möchte das gewinnen?

So führen sie beide den Wahlkampf mit vollem Einsatz. Doch zwei Seelen wohnen, ach, in der jeweiligen Brust. Denn mit Blick auf die Nationakatswahl müßten sie eigentlich hoffen, die Landtagswahl nicht zu gewinnen.

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