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Die zweite Runde

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Obwohl zur Stunde der republikanische Parteikonvent noch nicht zu Ende gegangen ist, kann doch kein Zweifel darüber bestehen, daß die Gegner bei den bevorstehenden amerikanischen Präsidentschaftswahlen die gleichen Männer sein werden, die einander schon vor vier Jahren gegenüberstanden: der jetzige Präsident Dwight D. Eisenhower und der ehemalige Gouverneur des Staates Illinois, Adlai E. Stevenson. Diese beiden Männer werden aber, so scheint es, unter ganz anderen Auspizien in die zweite Runde gehen als 1952, so wenig sich die großen Innen- und außenpolitischen Probleme auch geändert haben mögen, in deren Zeichen sie stehen wird. Oder vielleicht ist es gerade dieses Gleichbleiben der Probleme, ist es die Tatsache, daß sie während der vierjährigen Amtszeit Eisenhowers nicht gelöst wurden, die dem kommenden Wahlkampf das neue Vorzeichen verleihen wird: denn diesmal sind die Demokraten die attackierende Partei und die Republikaner in jene Verteidigungsstellung gedrängt, die an sich schon ein Handikap bei jeder politischen Auseinandersetzung ist.

Der demokratische Konvent, der, wie erwartet, in der vergangenen Woche die Nominierung Stevensons zum Präsidentschaftskandidaten vornahm, war trotz seines wenig überraschenden Ausganges von entscheidender Tragweite und atemberaubender Spannung. Für die Spannung sorgte Expräsident Truman, der in letzter Minute gegen Stevenson auftrat und die Nominierung des New-Yorker Gouverneurs Avereil Harriman vorschlug, und die Tragweite bestimmte das Mißlingen dieser Aktion, das einen endgültigen Bruch der Demokraten mit der Vergangenheit ihrer Partei bedeutet. Man muß bedenken, daß die Delegierten des Konvents von Chikago, indem sie gegen Harriman stimmten, ihre Stimme gegen ein Wiederaufleben der „New-Deal“- und der „Fair-Deal“-Aera abgaben, gegen eine mögliche Wiederholung des „Appease-ment“ und des „Containment“, mit einem Wort: gegen eine integrale Fortsetzung der linksliberalen Roosevelt-Truman-Politik, als deren unbedingtester Verfechter Harriman gelten darf. Diese Abkehr vom Gestern bedeutet nun keineswegs, daß die Demokratische Partei von der Person Roosevelts oder von den von ihm in die Tat umgesetzten Ideen abrückte; sie besagt nur, daß die mit demonstrativer Mehrheit erfolgte No-minierung Stevensons dem allgemeinen Wunsch entspricht, von einem neuen Mann einen neuen partei- und staatspolitischen Kurs einschlagen zu lassen. Dies wird im kommenden Wahlkampf von vielleicht entscheidender Bedeutung sein. 1952 hatte Stevenson nicht nur gegen Eisenhower und das republikanische Parteiprogramm anzukämpfen, sondern, da die Demokraten an der Regierung waren, vor allem die leidenschaftlich umstrittene Präsidentschaft Trumans zu verteidigen und die innen- und außenpolitischen Fehler seiner Parteifreunde. Diesmal stehen Truman und die Politik (wie die Politiker) seiner Aera nicht mehr zur Debatte; der ehemalige Präsident wurde durch die Niederlage des von ihm unterstützten Harriman zu künftiger politischer Bedeutungslosigkeit verurteilt und hat überdies durch seine Haltung auf dem Konvent einen so deutlichen Trennungsstrich zwischen sich und Stevenson gezogen, daß dieser nun mit einem völlig neuen Programm und ohne die geringste Verpflichtung, vergangene Versprechungen einlösen zu müssen, vor die Wähler treten k-nn. Derjenige, der in der bevorstehenden Kampagne eindeutig in der Defensive s;in wird, wird Präsident Eisenhower sein.

Zweierlei hat Eisenhower zu verteidigen: erstens und im eigentlichen Sinn des Wortes die Politik seiner Regierung während der letzten vier Jahre, zweitens und im übertragenen Sinn den Besitzstand der ihm 1952 zugefallenen schwankenden Wählerstimmen. Was die erste Frage anlangt, so scheint es, als ob die Republikaner der Bruch zwischen Stevenson und Truman völlig unvorbereitet getroffen habe, denn sie schicken sich an, ihren Wahlfeldzug mit jenen formelhaften Versprechungen zu führen, die sie vor vier Jahren an die Macht gebracht hatten. „Peace, Progress and Prosperity“ — Frieden, Fortschritt und Prosperität — ist das Motto des soeben in San Franzisko zu Ende gehenden republikanischen Konvents, und „Four More Years“ — weitere vier Jahre Frieden, Fortschritt, Prosperität — wird das Motto von Eisenhowers Wahlkampagne sein. Diese Umrißhaftig-keit des Programms der Republikaner mag vielleicht genügen, eine den Wählern verständliche innenpolitische Linie vorzuzeichnen. obwohl Eisenhower gerade auf dem Gebiet der Landwirtschafts- und der Steuerpolitik gegen ganz konkrete und sehr attraktive Pläne Stevensons anzukämpfen haben wird; das Schwergewicht der kommenden Auseinandersetzungen wird aber auf dem Gebiet der Außenpolitik liegen, und die Demokraten werden versuchen, den Beweis anzutreten, daß vier weitere Jahre Frieden, Fortschritt und Prosperität nur dann möglich seien, wenn die Vereinigten Staaten einen neuen außenpolitischen Kurs einschlügen. In diesem Belang warten nicht nur die Republikaner, in diesem Belang wartet die ganze Welt auf den gena“en Wortlaut von Stevensons Programm. Der demokratische Präsidentschaftskandidat hat sich in den vergangenen vier Jahren höchst intensiv mit allen Fragen der Weltpolitik befaßt und den unschätzbaren Vorteil für sich, daß der Hauptpunkt des Wahlkampfes, die amerikanische Außenpolitik, zugleich der schwächste Punkt der amtierenden republikanischen Administration ist.

Der zweiten Frage, der Frage, ob Eisenhower imstande sein wjrd, die 1952 erhaltenen schwankenden Wählerstimmen auch diesmal wieder zu gewinnen, kommt eine womöglich noch größere Bedeutung zu. Die letzten Präsidentschaftswahlen haben gezeigt, daß Eisenhower der populärste Mann in den Vereinigten Staaten ist und das Vertrauen eines weit über die republikanische Wählerschicht hinausreichenden Teiles der Bevölkerung genießt. Alle Distrikts-, Bundesstaats- und Kongreßwahlen seither haben hingegen erwiesen, daß der Demokratischen Partei mehr Stimmen zufallen, wenn nicht die Person Eisenhowers, sondern die Politik seiner Regierung und seiner Partei zur Debatte steht. Werden nun die parteiungebundenen Wähler sich abermals dazu entschließen können, mit Eisenhower die Republikanische Partei in Kauf zu nehmen, oder werden sie lieber Stevenson wählen, um nicht die Republikanische Partei mitwählen zu müssen? Diese Frage, die noch vor einer Woche eindeutig zugunsten Eisenhowers hätte beantwortet werden müssen, ist nun durch den — wie nicht oft genug betont werden kann — bedeutungsvollen Bruch zwischen Stevenson und Truman völlig offen geworden. Truman, Harriman und die anderen linksliberalen Politiker der Demokratischen Partei sind nicht nur die erklärten Feinde der Republikaner, sondern auch Männer, die nicht das geringste mit Eisenhower gemeinsam haben. Stevenson ähnelt ihm aber in vielem, Stevenson ist wie Eisenhower ein gemäßigter Politiker, dessen Anliegen nicht der Kampf, sondern der Ausgleich der Gegensätze ist und der bereit ist, den staatspolitischen Notwendigkeiten gegenüber den parteipolitischen den Vorrang zu geben. Die zwischen dem republikanischen und dem demokratischen Lager befindlichen Unabhängigen, die niemals von Eisenhower zu Harriman oder einem anderen von Truman unterstützten Kandidaten geschwenkt wären, können jetzt getrost ihre Stimme für Stevenson abgeben, ohne ihre politische Ueberzeugung ändern zu müssen.

Selbst wenn Eisenhower völlig gesund und von einem akzeptableren Vizepräsidentschaftskandidaten begleitet wäre, als es der Hasardeur Richard Nixon ist — an dessen abermaliger N'ominierung leider nicht mehr gezweifelt werden kann —, hätte Stevenson gewisse Chancen, die Wahl zu gewinnen. Da nun aber der Gesundheitszustand des amtierenden Präsidenten schwer erschüttert und die Republikanische Partei gewillt zu sein scheint, in der Person Nixons' ihren radikalen rechten Flügel zu stärken, hat Stevenson durchaus reelle Chancen. Die gefährlichste Klippe der Wahlkampagne, die Frage der Rassentrennung, die die Demokratische Partei in zwei feindliche Lager zu spalten drohte, hat er durch ein kluges, sowohl von der farbigen Bevölkerung als auch von den Politikern der Südstaaten gutgeheißenes Kompromißprogramm umschifft: die Nominierung seines ehemaligen Rivalen Estes Kefauver wird ihm die Stimmen der mit schweren landwirtschaftlichen Sorgen ringenden Staaten des Mittelwestens sichern, die Tatsache, daß der katholische Senator John F. Kennedy mit Zustimmung Stevensons ebenfalls für die Vizepräsidentschaft kandidierte — er wurde nur um wenige Stimmen von Kefauver geschlagen dürfte breite Kreise des in Amerika politisch sehr schwach vertretenen Katholizismus ins demokratische Lager ziehen. Und schließlich hat sich Stevenson durch sein entschiedenes Eintreten für Israel im latenten Nahostkonflikt ganz gewiß der Stimmen des jüdischen Bevölkerungsteiles versichert. Demgegenüber scheinen die Aussichten der Republikaner weit ungünstiger zu sein als 1952: die Hauptlast der Wahlkampagne wird der von den parteiungebundenen Wählern abgelehnte Vizepräsident

Nixon tragen — Eisenhower selbst muß sich auf • einige Fernsehsendungen beschränken; die Farmer haben sich den Demokraten zugewandt, die Neger sind den Demokraten, trotz mancher unglücklicher Vorfälle in den Südstaaten, treu geblieben, die Außenpolitik eines John Foster Dulles' hat weite Kreise der gebildeten Schichten Eisenhower entfremdet. Diesem kann es nur unter Aufbietung seines ganzen Prestiges gelingen, wiedergewählt zu werden.

Das sind die ungefähren Ausgangspositionen vor Beginn des Wahlkampfes, der in drei Wochen mit voller Stärke einsetzen wird. Bis dahin wird Stevenson sein außenpolitisches Programm bekanntgegeben haben — das bis jetzt wohl mit Rücksicht auf die Suezkrise zurückgehalten wurde, denn Stevenson gilt als entschiedener Gegner des Obersten Nasser —. und bis dahin wird Eisenhower Gelegenheit haben, sein defensives Wahlprogramm unter Berücksichtigung der Ereignisse auf dem demokratischen Konvent zu revidieren. Der Wahlkampf wird von zwei großen Massenparteien unter Ausnützung aller technischen und publizistischen Möglichkeiten der Massenbeeinflussung geführt werden, aber der amerikanische Wähler wird diesmal mit besonderer Sorgfalt zu entscheiden haben, welcher von zwei hervorragenden Männern die amerikanische Nation und die gesamte freie Welt in eine bessere Zukunft führen kann.

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