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Kardinal Franz König: „Gemeinsam an Europa bauen”

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Kardinal Franz König, Alt-Erzbischof von Wien, im FURCHE-Gespräch über die EU-Volksabstimmung in Österreich: bei der EU-Entscheidung sollte weniger der „Nützlichkeitsaspekt” als die „größeren Zusammenhänge” beachtet werden.

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Kardinal Franz König, Alt-Erzbischof von Wien, im FURCHE-Gespräch über die EU-Volksabstimmung in Österreich: bei der EU-Entscheidung sollte weniger der „Nützlichkeitsaspekt” als die „größeren Zusammenhänge” beachtet werden.

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DIE FURCHE: Kommissionspräsident Jacques Delors hat einmal gemeint, die EU könne sich der Frage nach dem Sinn nicht entziehen...
Kardinal Franz König:
Ich glaube, es ist eine der Schwierigkeiten der aktuellen Europa-Debatte, daß man nur von Vor- und Nachteilen wirtschaftlicher Art spricht. Dieses Für und Wider kann man aber fast ohne Ende fortsetzen. Ich bedauere es, daß es auch den Anschein hat, daß Christen zu sehr in dieser Kategorie des Nützlichkeitsstandpunktes sprechen. Ich glaube, es ist sehr wichtig, daß man von dieser Diskussion loskommt und auch auf die geistigen Kräfte, die im Denken eines Volkes und eines Kontinentes eine Rolle spielen, Bedacht nimmt. Für Christen liegt es nahe, daß man auf die durch das Christentum geformte Geschichte Europas zurückgreift.

DIE FURCHE: Seit der Öffnung im Osten sind aber die Aggressionen gestiegen, der Westen schließt seine Grenzen. Gleichzeitig feiert der Nationalismus eine Renaissance.
König: Viele sagen, lassen wir alles so wie es ist, machen wir die Grenzen dicht. Dahinter steckt Stammesdenken, nationalistisches Denken. Daher ist es umso wichtiger, daran zu erinnern, daß Europa durch die Nationalstaaten vor dem Ersten Weltkrieg zerstört wurde, daß Europa noch einmal zerstört wurde durch falsche Ideologien, durch den Rassenwahn des Nationalsozialismus und den Fortschrittsglauben im Marxismus. Daher müßte man gerade bei solchen großen Leitgedanken wieder ansetzen und sagen, daß wir, wie die ganze Entwicklung zeigt, eine größere Einheit brauchen.

DIE FURCHE: Sie haben mehrmals dazu aufgerufen, daß die Christen aktiv an der Gestaltung des neuen Europas mitwirken sollten...
König:
Die christliche Botschaft war und ist grenzüberschreitend. Durch das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe hat das Christentum eine verbindende, versöhnende Aufgabe. Das Vatikanische Konzil mit dem Hinweis auf das Laienapostolat hat das einseitig klerikale Kirchenbild korrigiert und ausgeweitet. Wir alle, die zur Glaubensgemeinschaft gehören, tragen Verantwortung - Geistliche ebenso wie Laien. Die Päpste haben stets klare Worte gefunden für die Aufgabe der Christen in Europa, gerade auch der jetzige Papst.

DIE FURCHE: Welche Wünsche würden Sie an die EU formulieren?
König: Man sollte die christliche Soziallehre zur Grundlage nehmen und versuchen, international auszulegen. Solidarität und Subsidarität sind Stichworte, die praktisch ausgelegt werden müssen - und zwar konkret in Bereichen wie der Bildungspolitik, der Sozialpolitik, in der Wirtschaft oder in den Medien.

DIE FURCHE: Wie würden Sie den historischen Stellenwert der Entscheidung pro oder contra EU einordnen?
König: Ich bedauere, daß man nicht weiter ausschaut, die größeren Zusammenhänge betrachtet. Denn es geht um eine Entscheidung, die über Jahrzehnte Auswirkungen hat - sowohl wenn wir die Isolation als auch wenn wir die Integration wählen.

DIE FURCHE: Herr Kardinal, wissen Sie schon, wie Sie abstimmen werden?
König: Für mich ist die Abstimmung kein Problem.

DIE FURCHE: Aber Sie haben, wenn Sie pro Europa denken, andere Hintergründe im Kopf als die Details des Beitrittsvertrages?
König: Sicher. Natürlich gibt es die Ebene, darüber zu streiten, welche Vorteile der eine und welche Nachteile der andere hat. Die andere Ebene aber ist, daß ein Kontinent wieder zu sich selber erwacht. Natürlich, wir haben nach wie vor die Kräfte des Marxismus, die als erneuerter Sozialismus wiederkommen. Wir müssen uns als Christen umso mehr darauf einstellen, gemeinsam mit anderen dieses Europa zu bauen. Wir können nicht sagen, wir wollen es christlich bauen oder überhaupt nicht, sondern es ist auch eine Schule der christlichen Toleranz - nicht um sich selbst aufzugeben, sondern im Wissen, daß wir dieses „was du nicht willst, das dir man tu, das füg auch keinem anderen zu”, dieser Maßstab aus der Bergpredigt, auch international Konsequenzen hat.

DIE FURCHE: Für Sie ist also die EU bei allen Fehlern eine Chance für die Christen, ein neues Europa mitzugestalten und es christlicher zu machen?
König: Ja. Es geht um eine christliche Lebensordnung, es geht aber genauso um eine humanistische Lebensordnung, die durch die Grundgesetze des Christentums betont wird. Humanismus alleine, ohne religiöse Grundlage, kann sehr rasch ins Negative verformt werden. Im Christentum hingegen gibt es eine bleibende Basis. Dazu kommt noch ein Aspekt, nämlich die Probleme der heutigen Demokratien mit Phänomenen wie dem Drogenkonsum, Terrorismus, Sekten oder Kriminalität. Demokratien haben immer davon gelebt, daß gemeinsame Werte selbstverständlich sind. Wo sind heute die Kräfte, die imstande sind, diese Fehlentwicklungen zu korrigieren? Man muß nicht alles immer nur mit dem Strafgesetz bekämpfen. Es ist der Sauerteig des christlichen Welt- und Menschenbildes, das klarstellen muß, es gibt Werte, die außer Streit stehen.

DIE FURCHE: Hängt das nicht auch mit den ungleichen sozialen Standards in Europa zusammen?
König: Es ist sicher notwendig, einen Ausgleich zu schaffen. Wenn das nicht gelingt, ist Spannung vorhanden und im Hintergrund lauert die Gefahr des Krieges oder kriegerischer Auseinandersetzungen.

DIE FURCHE: Das heißt, Sie treten dafür ein, auch möglichst bald den Osten in dieses Europa zu holen?
König: Ja, natürlich. Es geht um eine Friedensordnung, ein Verständigungskonzept.

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